Als der Sommer ein ganzes Jahr ausblieb

Pierre Jacques Volaire, Der Ausbruch des Vesuv, um 1780, Öl auf Leinwand, © Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien
Wie der Tambora vor 200 Jahren den Sommer stahl. Und warum es heute wieder passieren kann.

1816 sehnen die Menschen in Amerika nach einem bitterkalten Winter den Sommer herbei. "... der Körper zittert und schrumpft durch die Kälte, die wir durchmachen", notiert Ex-Präsident Thomas Jefferson im Jänner. Doch statt des Sommers kommt der Winter zurück. "Die Häuser, die Straßen, die Plätze der Stadt sind vollständig mit Schnee bedeckt", schreibt die Quebec Gazette. Es ist der 8. Juni, "und dem ganzen umgebenden Land geht es genauso; es sieht aus wie im Dezember."

"Auch in Bad Gastein lag der Schnee knietief und das 14 Tage", weiß der Salzburger Meteorologe Alexander Ohms aus Aufzeichnungen. In ganz Salzburg waren "die Feldfrüchte ,nicht gedeihlich‘, wie man damals sagte, das Getreide reifte nicht". In Ungarn fiel aus schweren Gewitterwolken rotbrauner Schnee. In Süditalien waren die Flocken gelb. Die Ernte fiel aus, und die Menschen haben in der Not ihre Zugtiere geschlachtet und die Saatkartoffeln wieder ausgegraben. Das Katastrophenjahr erhielt bald bitter-spöttisch den Namen "Achtzehnhundertunderfroren". 1816 ging als "Jahr ohne Sommer" in die Geschichtsbücher ein.

Kochendheißer Regen

Dass die Not auf eine Katastrophe auf einer weit entfernten Insel im Pazifik zurückging, ahnten die Menschen vor 200 Jahren nicht: In Indonesien war der Vulkan Tambora gut ein Jahr zuvor regelrecht explodiert. Es regnete kochendes Wasser. Wirbelstürme entwurzelten Bäume, fegten Häuser und Menschen fort. Sieben Tage dauerte das Inferno. Dann war der Vulkan erschöpft.

So unmittelbar die Gewalt des Ausbruchs auf den Inseln war, gewaltiger noch und von globaler Dimension waren die Veränderungen in der Atmosphäre. Die bis in die Stratosphäre geblasenen Schwefelgase des Tambora verbanden sich mit Feuchtigkeit zu Schwefel-Aerosolen; als Wolken zogen diese um den Globus und absorbierten das Sonnenlicht.

Als der Sommer ein ganzes Jahr ausblieb

"Schwefel ist sehr klimarelevant", sagt Ohms. Und so versank die Welt im darauffolgenden Jahr in Kälte, Schnee und Regen. "Keine Region blieb verschont. Denn man weiß, dass alle Teilchen, die hoch in die Luft geworfen werden, sich schnell rund um die Erde verteilen." Der Zusammenhang Wetter-Kapriolen – Vulkanausbruch wurde aber erst 1920 vom US-Klimaforscher William Jackson Humphreys erkannt.

Die mittleren Tagestemperaturen in Mitteleuropa lagen im Sommer 1816 tatsächlich um ein bis zwei Grad unter dem Durchschnitt der Jahre 1810 bis 1819 – einer Dekade, die ohnehin eine der kältesten war. "Am schlimmsten traf es Frankreich, die Schweiz und Süddeutschland bis nach Österreich hinein mit bis zu 3 Grad unter normal. Und das ist gewaltig", sagt Ohms.

Das "Jahr ohne Sommer" ereignet sich just zu einem Zeitpunkt, als der Kontinent ein Vierteljahrhundert fast permanenter Kriege und sozialer Umwälzungen hinter sich hat. Die Napoleonischen Kriege hatten weite Landstriche verwüstet zurückgelassen, Zehntausende ehemalige Soldaten waren auf der Suche nach Arbeit und Brot. Und dieses Brot wurde nun knapp.

Tolle Sonnenaufgänge

Zu dem wenigen Guten, das der Vulkan-Ausbruch mit sich brachte, gehörten die bombastisch farbenprächtigen Sonnenuntergänge (wenn es nicht gerade regnete oder schneite), zu denen die Aerosole in den oberen Luftschichten beitrugen. Der englische Maler William Turner bannte diese Pracht auf Leinwand. Auch Mary Shelleys "Frankenstein" ist ein Echo jenes Sommers. Und George Byron schreibt das Gedicht "Die Finsternis": "Die helle Sonn’ war ausgelöscht ..."

Im badischen Karlsruhe hingegen – eine Stadt, in der der Sommer 1816 besonders kalt ausfiel – beflügelt die Wetterkatastrophe den Erfindergeist. Dort sah sich Karl Freiherr Drais durch das Pferdesterben infolge des Futtermangels dazu motiviert, eine neue Form der Fortbewegung zu konzipieren. Im folgenden Jahr meldet er seine "Laufmaschine", die Draisine, zum Patent an – ein zweirädriges Gefährt, aus dem sich später das Fahrrad entwickeln sollte.

„Es wird definitiv wieder passieren.“ Roman Leonhardt, Geologe und Leiter des Conrad-Observatoriums, lässt keinen Zweifel daran, dass ein Vulkan-Ausbruch mit anschließenden weltweiten Wetterkapriolen die Menschheit jederzeit ereilen kann. „Die Frage ist nur, wann und wo. Es gibt eine Reihe von Kandidaten, sogenannte Supervulkane.“ Die werden sicher wieder ausbrechen.

Nicht immer falle danach der Sommer aus, aber es sei im Laufe der Erdgeschichte immer wieder passiert. Im 18. Jahrhundert beispielsweise brach in Island ein Vulkan aus. „Diese sogenannte Laki-Eruption bescherte der Welt eine zweijährige Klima-Beeinträchtigung, Missernten inklusive, was wohl zur ersten große Auswanderungswelle von Europa nach Amerika geführt hat“, sagt Leonhardt.

Supervulkane

Die größte Katastrophe in der Menschheitsgeschichte war wahrscheinlich die Eruption des Supervulkans Toba auf Sumatra vor 76.000 Jahren.
Als Supervulkan werden Ausbrüche mit einem Vulkanexplosivitätsindex von 8 (VEI-8, auf einer Skala von 0 bis 8) bezeichnet, wobei gelegentlich auch Ausbrüche der Stärke VEI-7 dazu gerechnet werden. Auf so ein VEI-7-Vulkangebiet schauen die Forscher gerade sorgenvoller: die Phlegräischen Felder westlich des Vesuv. Da braut sich etwas zusammen. „Er rumort derzeit heftig“, sagt auch Leonhardt.

Aber ob und wann es zu einem Ausbruch kommt, kann niemand sagen. Auch die Folgen lassen sich nicht prognostizieren. Das hänge unter anderem davon ab, welche Mengen Asche und Aerosole in die Stratosphäre gelangen. Viel hänge davon ab, welche Jahreszeit gerade sei und welche Luftströme es gebe. Eines aber sei sicher: Ein VEI-7-Ausbruch hat immer globale Auswirkungen. „Und der Vesuv ist einer der gefährlichsten Vulkane, die wir in Europa haben“, sagt Leonhardt. Vor 40.000 Jahren brach er mit etwa doppelt so starker Intensität aus wie 1816 der Tambora.

Ganz so unvorbereitet wie vor 200 Jahren wären wir heute nicht: Der Vesuv wird wie alle anderen Supervulkane ständig beobachtet. Auch die Klimawirkung eines Ausbruchs könnten unmittelbar simuliert werden, so dass wir uns auf die Folgen einrichten und in gewissem Maße sogar gegensteuern könnten. Fakt ist aber: Die Landwirtschaft werde in gleichem Maße beeinflusst wie einst. Doch könnten die Landwirte möglicherweise auf andere Feldfrüchte ausweichen – von Winter- auf Sommerweizen etwa, der Kälte und Dunkelheit besser verträgt.

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