"Aids ist für uns kein Thema mehr"

Beim Sex ohne Kondom ist es doch, wie wenn man bei Rot über die Kreuzung geht: Manchmal macht man es, obwohl man sich der Gefahr eigentlich bewusst ist“, sagt der 23-jährige Gabriel, der gerade mit Arbeitskollege Auriel im Wiener Museumsquartier unterwegs ist.
Wie er denken viele Österreicher. Aids scheint kein großes Thema zu sein: In einer Studie aus dem Jahre 2010 zum Thema HIV gaben 46 Prozent der Befragten an, sich nicht vor HIV zu schützen. Als häufigster Grund wurde eine feste Beziehung genannt. Gleich danach kam das Argument: „Das betrifft mich nicht.“ Der 43-jährige Thomas versteht dieses Verhalten nicht. „Als wir jung waren, hieß es: Pass auf vor Aids, das ist eine Krankheit, an der du sterben kannst.“
Kein Todesurteil mehr
Doch die Sorgen vor HIV-Ansteckung schwinden. Sexologe Wolfgang Kostenwein sieht die medizinischen Fortschritte als Hauptgrund für diesen Sinneswandel. „Als die Krankheit aufkam, war man besorgt, dass eine Epidemie die halbe Bevölkerung ausrotten würde.“ Heute wisse man um die Übertragungswege, und es gebe gute Therapiemöglichkeiten. Das habe den Umgang mit HIV verändert. „HIV bedeutet heute kein Todesurteil mehr“, findet auch der 25-jährige Auriel. „Aids ist in meinem Freundeskreis nicht wirklich Thema“, fügt die 21-jährige Carina hinzu.
Schauplatzwechsel. Das Café Willendorf im 6. Bezirk gehört zu Wiens bekanntesten Treffpunkten für Homosexuelle. Dort denkt man anders über Aids: „Vor allem, wenn man gesehen hat, wie es den Leuten trotz ,guter Therapien‘ oft geht“, sagt ein Besucher. Tom Hofer, Geschäftsführer des Cafés, findet den leichtfertigen Umgang mit der Krankheit beunruhigend. „Durch die einseitige Berichterstattung, bei der tolle Therapieerfolge gelobt werden, hat Aids an Brisanz verloren.“ Auch Café-Besucher Mario (46) findet es schade, „dass Aids nur mehr ein Mal im Jahr, zum Life Ball, ein Thema ist“. Nicht einmal das trifft noch für alle zu. „Ich habe ganz vergessen, wofür der Life Ball eigentlich steht“, gibt Museumsquartier-Besucherin Lisa zu.
Einen positiven Trend sehen Experten dennoch: Die Bereitschaft, einen HIV-Test durchzuführen, steigt. 2012 wurden bei der Aids Hilfe Wien 5654 Blutuntersuchungen durchgeführt, 260 mehr als im Jahr davor. Doch dass immer häufiger auf Kondome verzichtet wird, bestätigt auch die Aids Hilfe Wien.
Manche Menschen entscheiden sich sogar bewusst gegen Safer Sex. „Es gibt einige junge Menschen, die die Gefahr suchen“, erzählt der 32-jährige Max im Café Willendorf. Er spielt auf „Barebacking“ an. Damit ist Sex in der schwulen Szene gemeint, bei dem bewusst auf Kondome verzichtet wird. Grund für das riskante Verhalten sieht der 43-jährige Thomas in der Orientierungslosigkeit der jungen Menschen.
Es gibt aber auch Gegenbeispiele: „Ich gehöre zu den Doppelverhüterinnen: Pille und Kondom “, sagt die 19-jährige Lisa. „Manchmal habe ich das Gefühl, Männer ruhen sich bei dem Thema eher aus.“ Und das, obwohl laut einer Studie vom August 2012 mehr als zwei Drittel der Aids-Erkrankten in Österreich Männer sind.
Umdenken
Sexologe Wolfgang Kostenwein fordert ein breites gesellschaftliches Umdenken. Man müsse die Jugendlichen im Risikoverhalten schulen. „In einer ruhigen Straße mit wenig Verkehr überquert man schnell einmal die Straße, ohne dass etwas passiert. Am dreispurigen Ring sollte man lieber die Ampel benützen“, meint der Fachmann. „Ebenso sollten Jugendliche lernen, beim Thema Aids Gefahrensituationen zu erkennen und sich dementsprechend zu verhalten.“
Kommentare