Große Mängel in Kinderversorgung

Große Mängel in Kinderversorgung
Rund 70.000 Kinder bekommen nicht ihre benötigte Therapie. Ein Hilfsfonds springt ein, wo der Staat versagt.

Bei einem Achtjährigen wird die Aufmerksamkeitsstörung ADHS diagnostiziert. Er hat massive Probleme in der Schule, kann kaum ganze Sätze sprechen, hat nach einer Hüftoperation auch noch Schwierigkeiten zu gehen. Die Ergo- und Psychotherapeutin Petra Marksteiner erklärt die Folgen für ihren Patienten: "Es hat ein Jahr gedauert bis der Bub einen Therapieplatz bekommen hat - man kann sich vorstellen, welche Auswirkungen das auf das Kind hat. Wenn ein Schüler nicht am Unterricht teilnehmen kann, hat das gravierende Auswirkungen auf seine späteren Berufs- und Entwicklungschancen."

Die Ausgangslage für schwer kranke Kinder und Jugendliche ist in Österreich dramatisch. Zwar machen bis zu 18-Jährige 20 Prozent der österreichischen Bevölkerung aus - sie erhalten aber nur sechs Prozent der Gesundheitsleistungen, erklärt Prim. Klaus Vavrik, Präsident der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit. "Jeder Euro, den man in die Gesundheit eines Kindes investiert, kommt später 10- bis 15-fach zurück. Alles, was man jetzt spart, muss später für die Versorgung chronisch Erwachsener bezahlt werden."

Wartezeiten bis zu einem Jahr

Schätzungen zufolge fehlen bundesweit mindestens 70.000 Therapieplätze für chronisch kranke Kinder – von Physio- über Ergo- bis hin zu Psychotherapie oder Logopädie. „Das sind Schätzungen aufgrund von internationalen Vergleichszahlen, weil nicht einmal erhoben wird, wie viel Bedarf es überhaupt gibt.“ In vielen Regionen sind Wartezeiten von fünf Monaten bis hin zu 1,5 Jahren normal – eine Zeit, in der gerade Kinder wichtige Entwicklungsschritte durchmachen.

Erschreckend für ein wohlhabendes Land wie Österreich sei außerdem, dass praktisch keine Rehabilitationsprogramme für Kinder existieren, die schwere Erkrankungen durchgemacht haben. „Es gibt etwa 60 Rehabilitationszentren mit 7700 Plätzen für Erwachsene, aber kein einziges für Kinder“, sagt Vavrik. Angesichts der aktuellen Koalitionsverhandlungen habe er das Gefühl, es werde bei den Kindern gespart, weil es dort am wenigsten Widerstand gibt.

Den dringenden Bedarf für Reha-Plätze untermauert auch die Ärztekammer. Jährlich brauchen 4000 bis 6000 Kinder und Jugendliche in Österreich Rehabilitationsmaßnahmen. „Tatsächlich gibt es gerade einmal 52 Kinder-Reha-Betten und auch die sind auf Monate hin ausgebucht“, kritisiert Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer. Trotz eines vom Ministerium abgesegneten Reha-Plans und der Bereitschaft der Sozialversicherung, ihren Anteil zu finanzieren, scheitere die Umsetzung von vier geplanten Kinder-Reha-Zentren an den Ländern.

Nicht zuletzt sollte die Bedeutung von Präventionsarbeit bei Kindern berücksichtigt werden. Für Aufsehen sorgt derzeit eine aktuelle Analyse von Studien aus 50 Ländern (darunter auch Deutschland). Demnach sind Kinder heute um bis zu 15 Prozent weniger fit als ihre Eltern in deren Jugend. Die Ausdauer der Kinder in Deutschland sei seit 1975 um sechs Prozent pro Jahrzehnt zurückgegangen.

Rund 130.000 Kinder und Jugendliche in Österreich leben in chronischer Armut (für sie stehen 6 Euro pro Tag zur Verfügung). "Diese Familien können sich nicht einmal die Anschaffung neuer Schuhe leisten - und schon gar nicht eine Therapie", sagt Prim. Klaus Vavrik von der Kinderliga. Mit der Unterstützung von Concordia Sozialprojekte wurde nun der Kinderhilfsfonds ins Leben gerufen, um betroffene Kinder dabei zu unterstützen, rasch und unbürokratisch zu nötigen Therapien zu kommen.

Vavrik erzählt, wie es dazu kam: "Ich habe Hans Peter Haselsteiner (der Bauunternehmer hat heuer den Vorsitz von Concordia Sozialprojekte übernommen) bei einer Veranstaltung angesprochen. Er konnte zunächst gar nicht glauben, wie dramatisch die Situation für Kinder in Österreich ist." Nach einem persönlichen Treffen blieb für Haselsteiner nur noch eine Frage offen: "Warum sollte ich Geld in etwas stecken, für das jemand anderes verantwortlich ist?" - Vavrik: "Weil den Kindern die Zeit davon läuft und die können nichts dafür."

Die Finanzierung des Kinderhilfsfonds ist nun (auch mithilfe anderer Spender) laut Vavrik für drei Jahre gesichert. Der Fonds will dort einspringen, wo das System auslässt damit Kinder beim Warten auf die finanzielle Unterstützung für Therapien oder Hilfsmittel keine wertvolle Entwicklungszeit verlieren.

Weitere Infos: www.kinderhilfsfonds.at

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