Braune Augen, Blutgruppe 0, laktoseintolerant mit Hang zu Herz- Kreislaufproblemen: Der Eismann ist das besterforschte Individuum. Zum Jahrestag versucht man, den Mord an ihm aufzuklären.
Vor zwei Jahren hat Angelika Fleckinger eine "CSIÖtzi" ins Leben gerufen. Natürlich würde die Direktorin des Bozener Ötzi-Museums ihre Arbeitsgruppe nie so nennen. Fakt ist aber, dass die Archäologin die KriminalpolizeiMünchen zugezogen hat und sich seither der hippen Methoden der Profiler bedient. "Können wir so auch Rückschlüsse auf einen Mord ziehen, der vor 5000 Jahren passiert ist?", habe die Frage gelautet, erzählt sie und gesteht, dass "wir regelrecht verhört worden sind. Die Kriminalbeamten wollten wissen, welche Verletzungsmuster wir am Mann im Eis erkennen, ob die damalige Gesellschaft aggressiv, das Morden an der Tagesordnung stand oder ein Tabubruch war." Die Profiler haben sich sogar die Fundstelle nochmals angeschaut, analysierten, wie die Mumie entdeckt wurde, wo die Gegenstände aus dem Besitz des Opfers verteilt waren. Ja, die Wissenschaftler nehmen noch einmal einen Anlauf, um Licht in den bisher ungeklärten Mord an Ötzi zu bringen, sagt Albert Zink. "Den Tathergang und ein mögliches Motiv rekonstruieren" sei das Ziel, ergänzt der Leiter des Instituts für Mumien und den Gletschermann an der Europäischen Akademie Bozen" (EURAC).
Klar ist, dass Ötzi an der linken Schulter von einem Pfeil getroffen wurde. Zudem hat sich der Mann vermutlich erst kurz vor seinem Tod ein Schädel-Hirn-Trauma zugezogen – ob durch einen Schlag oder einen Sturz, blieb ungelöst. Fand da ein Nahkampf statt? Darauf deuten tiefe Schnittwunden an seiner rechten Hand hin.
Rückblick auf den März 1991: Stürme wehen
Sahara-Sand bis in die
Alpen. Unter der Sommersonne schmelzen die mit diesem Lösungsmittel bestäubten Gletscher dahin. Wegen dieser Klima-Kapriole gibt das Eis im Herbst viele Leichen frei.
Ötzi ist die sechste. Sechs Tage nach der Entdeckung der Mumie begutachtet sie – samt Beifunden – ein Archäologe, der Ordinarius für Ur- und Frühgeschichte der
Universität Innsbruck,
Konrad Spindler. Und datiert den Fund anhand des Beils auf "mindestens viertausend Jahre". Frozen
Ötzi Superstar ist geboren.
Etwa 70 Wissenschaftler-Teams aus zehn Ländern machen sich in der Folge an die teuerste Totenschau der Geschichte. Der Steckbrief steht bald fest: Ein Mann, 160,5 cm groß, 50 kg schwer, drahtig, durchtrainiert, nicht weniger als 40, nicht mehr als 53 Jahre alt. Lebenszeit: 3350 bis 3100 v. Chr., durch Radiokarbonmessung bestimmt von Labors in
Oxford,
Uppsala und
Zürich. Und gewiss kein Stubenhocker. Bald ist klar:
Ötzi, wie ihn die Medien bald tauften, ginge heute glatt als Südtiroler Urgestein durch. Setz ihm einen Hut mit Gamsbart auf – keiner würde sich wundern, wenn er auf dem Traktor durchs Dorf fahren würde. Er muss ein gemachter Mann gewesen sein, folgern die Archäologen, besaß ein wertvolles Kupfer-Beil. Bei der genauen Inspektion der Leiche fand der langjährige Leibarzt
Ötzis,
Eduard Egarter Vigl, heraus, dass "der Eismann feingliedrige Hände und Füße, keinerlei Schwielen, jedoch auffällig starke Muskelansätze an den unteren Extremitäten hatte". Also kein schwer arbeitender Bauer? "Das war jemand, der viel zu Fuß im Gebirge unterwegs war."
Auf diese Frage gab eine Isotopen-Analyse Antwort: Der Zahnschmelz jedes Menschen speichert Spurenelemente aus Wasser und Essen, die er im Alter von drei bis fünf aufnimmt. Seine Knochen wiederum enthalten das Abbild der vergangenen zehn bis 20 Jahre. Geochemiker verglichen also Ötzis Zähne und Knochen mit Wasser und Gestein der Region. Das Ergebnis: Daheim war der Eismann wohl südlich des Fundortes im Eisacktal. Seine letzten zehn Jahre verbrachte er vermutlich im Vinschgau. Archäologische Grabungen förderten am Eingang des Schnalstals bereits Reste einer neolithischen Siedlung zutage. Jetzt will man der Frage nachgehen, ob hier sein Zuhause war. Denn: "Man weiß noch nicht viel drüber, wie es zu Ötzis Zeiten dort aussah", sagt Zink.
epa02607710 The naturally mummified body of Oetzi in a cooling chamber at the exhibition '20 years of Oetzi' at the South Tyrol Museum of Archaeology in Bolzano, Italy, 28 February 2011. The exhibition runs from 01 March 2011 until 15 January 2012. EPA/ROBERT PARIGGER
Mehr weiß man über die Frozen-Fritz-Familie – Genanalysen sei Dank.
Ötzis mütterlicher Zweig dürfte ausgestorben sei, während die genetische Linie seines Vaters in der Jungsteinzeit in ganz
Europa verbreitet war und es bis heute ist. Innsbrucker Gerichtsmediziner haben sogar 19 noch heute in
Tirol lebende Verwandte von
Ötzi aufgespürt. 2012, als es gelang
Ötzis Genom zu entschlüsseln, nahm die Totenschau so richtig Fahrt auf: Der Mann aus dem Eis hatte braune Augen,
Blutgruppe 0, war laktoseintolerant und hatte eine Veranlagung für Herz-Kreislaufkrankheiten.
"Dabei dachte man immer, das sei eine moderne Erkrankung, die es seit vielleicht 100 Jahren durch unseren Lebensstil und die moderne Ernährung bedingt gibt", sagt Ötzi-Forscher
Zink und hofft, dass man mithilfe des Uralt-Role-Models herausfindet, wie sich Krankheiten entwickelt haben. "Mit den neuen Methoden der Molekularbiologie kann man ins Detail gehen." Man könne am Beispiel
Ötzi die Auswirkungen von Ernährung damals – etwa die gehypte Steinzeitdiät – und heute überprüfen.
"Ötzi ist als Untersuchungsobjekt einzigartig", sagt Bioinformatiker Thomas Rattei.
Die Erforschung einer mehr als 5000 Jahre alten Leiche ist also mehr als Selbstzweck: Neues Operationsbesteck aus Titan wurde entwickelt, um Proben ohne Kontaminierung aus dem Körper entnehmen zu können. Das ist heute Standard. Auch Verfahren zur 3-D-Rekonstruktion, die jetzt in der Medizin gang und gäbe sind, wurden zuerst für
Ötzi entwickelt. Der Rechtsmediziner
Oliver Peschel achtet als neuer Konservierungsbeauftragter des Eismannes darauf, dass
Ötzi möglichst unverändert bleibt: "Der Erhaltungszustand ist nach wie vor sehr gut, nichts lässt erkennen, dass er oder das Gewebe Schaden nimmt", versichert der neue Leibarzt. "Wir schauen immer wieder nach, ob wir eine Besiedelung mit Mikroorganismen haben, denn es gibt einige wenige, die unter Null Grad aktiv sein können." Hier setzt auch ein aktuelles Forschungsprojekt an, an dem der österreichische Bioinformatiker
Thomas Rattei beteiligt ist: "Wir wollen herausfinden, welche der Mikroorganismen in
Ötzi noch wie aktiv sein können und zur Zersetzung beitragen. Ziel: Die optimale Strategie entwickeln, um Frozen Fritz für die Nachwelt zu erhalten.
Nur so lebt die Chance, den Tod
Ötzis aufzuklären. Jeder Körperteil kann dabei helfen. Beispiel gefällig? Die Fingernägel des Eismannes zeigen drei sogenannte Beau-Streifen – Querfurchen bedingt durch Wachstumsstörungen, die auf großen Stress hindeuten. Die Ötzi-Forscher interpretieren das so: Im letzten halben Lebensjahr des Eismannes musste sich Dramatisches abgespielt haben, das Schlimmste zwei Monate vor seinem Tod – eine zweiwöchige Stress-Phase. Die, wie wir heute wissen, in
ÖtzisErmordung gipfelte.
Kommentare