Zahl der Arbeitslosen steigt dramatisch

Johannes Kopf, Chef des Arbeitsmarktservice Österreich: „Die Jugendarbeitslosigkeit ist die größte Bombe, auf der die EU sitzt“.
AMS-Chef Kopf rechnet mit einem kräftigen Anstieg im Winter und sieht bis Ende 2015 kaum Besserung.

Seit 27 Monaten steigt die Zahl der Arbeitslosen in Österreich. Für den AMS-Chef ist der österreichische Weg – die hohe Flexibilität am Arbeitsmarkt, dafür viel Unterstützung für Arbeitslose – der richtige Weg durch die kritische Phase am Jobmarkt.

KURIER: Über 361.000 Menschen sind derzeit ohne Arbeit.
Johannes Kopf:
Das ist besorgniserregend, weil sich die Situation seit dem Frühjahr besonders verschärft hat. Wir haben jedes Monat eine höhere Steigerungen in der Arbeitslosigkeit. Höher als von uns erwartet.

Das wird weiterhin steigen, es gibt auch 2014 keine Erholung.
Heuer wächst die Wirtschaft um ein halbes Prozent, nächstes Jahr um 1,6 Prozent – das reicht nicht. Ende Jänner werden wir erschreckende Zahlen sehen: ich rechne mit 450.000 Menschen ohne Arbeit. Erst Ende 2015 wird die Zahl erstmals sinken. Trotzdem sage ich: die Situation 2014 wird besser sein als heuer, weil mehr Dynamik da ist.

Über 50-Jährige und Ausländer haben die größte Steigerung bei der Arbeitslosigkeit. Der Jobmarkt ist offenbar stark diskriminierend.
Man muss bedenken, dass die Zahl der Älteren in der Bevölkerung insgesamt steigt. Trotzdem haben sie es am Arbeitsmarkt schwerer, ebenso Ausländer. Firmen nehmen uns in Krisenzeiten Problemgruppen schlechter ab.

Wo sehen Sie das größte Problem am Arbeitsmarkt?
Bei Unqualifizierten, bei Personen, die nur Pflichtschule haben. Sie werden nicht mehr gebraucht. 47 Prozent aller Arbeitslosen haben nur Pflichtschule. Der Wegfall von Jobs für Unqualifizierte ist die größte Veränderung am Arbeitsmarkt. Für die, die nix können, wird’s wirklich finster werden.

Der heimische Arbeitsmarkt ist sehr flexibel, anders als etwa in Deutschland. Trotzdem haben wir keine Hire-and-Fire-Kultur.
Aber wir haben die Möglichkeit, das macht den großen Unterschied. In Italien dauert das durchschnittliche Kündigungsverfahren 60 Monate. Deshalb wird erst gar nicht eingestellt. Der hohe Kündigungsschutz in südlichen Ländern ist der wesentliche Hemmschuh bei der Jugendbeschäftigung. In Österreich gibt es den Kündigungsschutz nur für bestimmte Gruppen (Anm.: rund um die Geburt für Frauen, für Betriebsräte, für Menschen mit Behinderung, für Ältere wenn sie zehn Jahre im Betrieb waren), sonst haben wir gute Möglichkeiten, jemanden wieder loszuwerden. Diese Flexibilität wird mit einer starken Arbeitsmarktpolitik ausgeglichen, damit die Person rasch wieder einen Job findet. Das ist insgesamt ein gutes Rezept. Denn die Langzeitarbeitslosigkeit müssen wir scheuen. Uns ist viel lieber, vier Menschen sind drei Monate lang arbeitslos als einer ein Jahr.

Wie groß ist die Gruppe der Langzeitarbeitslosen?
Rund 25 Prozent aller Arbeitslosen sind länger als ein Jahr ohne Arbeit. Das ist niedrig. In Deutschland liegt der Wert bei 45,5 Prozent – das ist ein Problem, auch wenn die Konjunktur wieder läuft.

Wie machen wir das besser?
Unsere Arbeitsmarktpolitik konzentriert sich genau auf diese schwierigen Gruppen. Wir sagen den Firmen: Wenn ihr den Langzeitarbeitslosen nehmt, zahlen wir eine Zeit lang einen Teil des Gehalts oder eine Weiterbildung. Das kostet Geld, löst aber ein großes Problem.

Tun wir genug gegen die Arbeitslosigkeit?
Die österreichische Politik hat es nicht leicht. Unser Land ist stark von der internationalen Konjunktur abhängig. Natürlich könnte man noch mehr Geld aufwenden. Man muss aber ehrlicherweise sagen, dass die Regierungen seit 2006 diesem Thema hohe Priorität geben, auch ständig das Budget erhöhen. Nächstes Jahr sind das 1,12 Milliarden Euro für aktive Arbeitsmarktpolitik – das ist ausgesprochen hoch, der vierthöchste Wert der EU. Europa spart auf diesem Gebiet, das halte ich für einen schweren Fehler.

Europaweit ist die Jugendarbeitslosigkeit ein großes Problem: Griechenland, Spanien, Kroatien – 50 Prozent der Jugendlichen am Arbeitsmarkt sind dort ohne Job.
Das ist die größte Bombe, auf der die EU sitzt. Die Jugendarbeitslosigkeit hat das Potenzial, den Zusammenhalt der Union zu sprengen. Das führt zu einer Radikalisierung, da dürfen die Länder von Nordeuropa nicht länger zuschauen. Die Arbeitslosigkeit im Süden ist ein europäisches Problem. Außer man sagt, die EU ist mir wurscht.

In einem Blog (ECFR) stand kürzlich: Die EU-Förderung für eine Kuh liegt bei 12,7 Euro, für einen arbeitslosen Jugendlichen 1,26 Euro. Die Prioritäten der EU liegen offenbar anderswo, nicht aber am Jobmarkt.
Der Kuh-Vergleich ist originell, stimmt aber so nicht: Agrarförderung ist vergemeinschaftet und damit EU-Sache, die Arbeitsmarktförderung ist hauptsächlich Ländersache. Man müsste also die Budgets der Staaten dazurechnen. Was aber stimmt: Die Arbeitslosigkeit hat viel zu wenig Beachtung in der Europäischen Union, obwohl sie mit Abstand das wichtigste Thema für die Bevölkerung in der EU ist.

Applaus, Applaus. Es ist schon fast pervers. Im Inland werden Monat für Monat neue Arbeitslosen-Höchststände beklagt, aber im europäischen Ausland wird das „Beschäftigungswunder Österreich“ laut beklatscht. Von diesem Applaus ganz beduselt, verharrt die neue alte Regierung in dem Gefühl, eh alles richtig gemacht zu haben und wird nicht müde, sich bei jeder Gelegenheit selbst auf die Schulter zu klopfen: „Super, wir sind die besten von Europa“. Da werden schon mal 450.000 oder gar eine halbe Million Arbeitslose in Kauf genommen; solange es anderen EU-Ländern noch viel mieser geht, ist ja eh alles paletti ...

Bitte aufwachen! AMS-Chef Johannes Kopf kündigt im KURIER-Interview „erschreckende Zahlen“ an. Über den Winter wird es am Arbeitsmarkt finster und bleibt es wohl für längere Zeit. Österreichs Arbeitsmarkt hat nicht nur ein konjunkturelles, sondern auch ein demografisches Problem. Schon jeder zweite (!) neue Arbeitslose ist über 45 Jahre. Und das ist erst der Anfang.

Während man bei den Jugendlichen die Auffangnetze breit aufgespannt hat, kommen die Maßnahmen für Ältere über oft fragwürdige Schulungen oder läppische Eingliederungsbeihilfen nicht hinaus. Die nächste Regierung muss daher dringend ein umfassendes Paket zur Bekämpfung der Altersarbeitslosigkeit vorlegen.

Angesichts der massiv steigenden Altersarbeitslosigkeit nach einem höheren gesetzlichen Pensionsalter und einer vorzeitigen Angleichung des Frauenpensionsalters zu rufen, ist geradezu zynisch. „Wir müssen alle länger arbeiten, aber doch nicht in meinem Betrieb“, sagte kürzlich ein Firmenchef und setzte gleich mehrere über 50-Jährige Mitarbeiter vor die Tür. Applaus, Applaus.

361.056 Arbeitslose (inklusive Schulungsteilnehmer) gab es im Oktober, plus zwölf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zugleich sank die Zahl der offenen Stellen um zehn Prozent. Besonders hart trifft es über 50-Jährige und Ausländer, besonders hoch war der Anstieg der Arbeitslosigkeit in Oberösterreich (+17 Prozent).

Das AMS versucht, vor allem jene Gruppen am Arbeitsmarkt zu vermitteln, die es besonders schwer haben: mit Schulungen für niedrig Qualifizierte, mit Boni für Firmen, die Ältere oder Menschen mit Behinderung einstellen. „Akademiker sind nicht unsere Zielgruppe“, sagt Johannes Kopf. Er ist gemeinsam mit Herbert Buchinger AMS-Vorstand.

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