"Das endet in Gangster-Wirtschaft"

Das 15,7 Millionen Euro großes Sparpaket für das kommende Jahr sieht weitreichende Einschnitte beim Personal vor.
Kein Land ist frei von Korruption, sagt der langjährige EU-Berater Wolfgang Hetzer.

Herr Hetzer, Sie schreiben, die "Europarty" sei vorbei. Findet jetzt das große Aufräumen statt?

Wolfgang Hetzer: Abwarten. Die Europäische Zentralbank steht vor der interessanten Aufgabe, 128 Großbanken einem Stresstest zu unterziehen. Es könnte sein, dass die eine oder andere die Tore schließen muss. Es gibt keine Garantie, dass all diese Kreditinstitute gesund sind und ihr Geschäftsgebaren legal gelaufen ist. Aber wem sage ich das, hier in Österreich?

Nur fällt die Hypo International nicht unter den Stresstest. Was bringt denn die Bankenunion?

"Das endet in Gangster-Wirtschaft"
Es braucht Haltelinien für die Banken, sonst ist es mit der Stabilität der Währungsunion nicht weit her. Ich sehe aber einen heiklen Punkt: Die EZB hat ihr Personal-Soll noch nicht erfüllt, die 1000 Menschen, die da gebraucht werden, wachsen nicht auf Bäumen. Deshalb werden in der Vorbereitung Aufträge an private Unternehmen erteilt. Diese arbeiten aber nicht für Gottes Lohn und haben ihre eigenen Interessen.

Sehen Sie dadurch die Unabhängigkeit gefährdet?

Wir haben, zumindest in Deutschland, erlebt, dass es in den Ministerien gar nicht mehr den Sachverstand gibt, um Gesetze wie jenes für die Finanzmarktstabilisierung zu verfassen. Deshalb erledigen das private Firmen gegen Bezahlung aus Steuergeld. Die haben aber gleichzeitig Mandanten, die sehr interessiert am Ausgang sind. Somit dankt der Gesetzgeber ab und privatisiert die urtümlichste Funktion eines demokratischen Rechtsstaates.

Kurz gesagt: Die Finanzindustrie schreibt sich die Gesetze selbst?

Ja, sicher. Das ist eine amtlich lizenzierte Form der Selbstbegünstigung, wie ich sie mir skandalöser kaum vorstellen kann.

Sachverständige wurden doch immer schon beschäftigt, oder?

Ja, aber jetzt sind dem Gesetzgeber durch die Komplexität, die Anonymisierung und die Datenmengen bei Finanzthemen die Zügel aus der Hand genommen. Ich glaube nicht, dass Beamte in der Lage sind, Algorithmen zu bewerten. Und das Kapitalmarktstrafrecht ist fast schon verfassungswidrig komplex und unanwendbar.

Geht deshalb die gerichtliche Aufarbeitung der Krise so schleppend voran?

Sehen Sie sich nur die Deutsche Bank an: Da ist beim sanktionsbedürftigen Verhalten das Ende des Tunnels nicht erreicht. Sie hat sich bei Geschäften am US-Hypothekenmarkt und der Manipulation der Euribor- und Libor-Referenzzinssätze so geschickt verhalten, wie das keine Mafiaorganisation könnte. Wenn Sie dieses Geschäftsgebaren oder das anderer Großbanken in den USA oder im Vereinigten Königreich anschauen, so ist nicht ohne Weiteres zu entscheiden, wie weit sich eine Bank von einer kriminellen Vereinigung unterscheidet.

Die Zinsfestlegung war doch bewusst an ein Gremium delegiert, das aus einer Handvoll Großbanken bestand. Wo sehen Sie da mafiöse Strukturen?

Es war aber keine Vorsorge dagegen getroffen, dass sich Händler mit Kollegen oder bankenübergreifend absprechen. So konnten sie definieren, wie viel Zins nach oben oder unten gebraucht wurde. Dagegen ist jede Absprache zwischen Mafiabossen ein primitives Stück Kommunikation.

Zumindest bisher ist der Nachweis, dass die Bankchefs davon gewusst haben, allerdings nicht erbracht.

"Das endet in Gangster-Wirtschaft"
Diese Standardreaktion aus Vorstandskreisen ärgert mich besonders. "Wir sind ein Musterhaus ethischer Unanfechtbarkeit, können aber nicht jeden völlig kontrollieren." Da konnte ein relativ harmloser junger Mann wie Jérôme Kerviel (bei Société Générale, 2008) in Frankreich ein sehr großes Rad drehen und Milliardenrisiken verwirklichen. Solange es funktionierte, war er der gute Junge. Als es platzte, war er der einzelne Böse, niemand hat etwas gewusst, keiner Weisungen erteilt, keiner profitiert. Das überzeugt mich nicht, um es zurückhaltend zu formulieren.

Wie wollen Sie Unternehmen dafür zur Verantwortung ziehen?

Dazu braucht es die Möglichkeit von Unternehmensstrafen, wenn die Aufsicht, Verantwortung, Ethik oder Sanktionen vernachlässigt wurden. Derzeit behandelt man das als Ordnungswidrigkeit – das ist lächerlich.

Alice Schwarzer, Uli Hoeneß – prominente Steuersünder sind ein Dauerbrenner. Warum ist das Problem so schwer abzustellen?

Hoeneß soll viel Geld gespendet haben und ein guter Mensch sein. Mag sein. Aber er unterliegt wie wir alle den Gesetzen. Und dann tauchen Menschen auf, die T-Shirts tragen: "Uli darf das". In Talkshows wurden schon die Strafbemessungs- und Milderungsgründe abgewogen . Nur haben sich die hinterzogenen Millionen inzwischen etwas vermehrt. Das wirft ein Schlaglicht auf das Rechtsbewusstsein, über das wir uns Gedanken machen müssen.

Wie erklären Sie sich diese Reaktionen?

Man versucht zu erklären, vergleicht Dinge, die nichts miteinander zu tun haben und rührt sich eine Entschuldigungskultur zusammen, die mit Rechtsansprüchen nicht vereinbar ist. Da findet eine versteckte Solidarisierung statt. Jeder kann sich vorstellen, ähnlich zu handeln – bei Steuerhinterziehung. Bei einem Päderasten oder Besucher von Kinderporno-Webseiten gibt es diese Identifizierung nicht, da tut sich die Öffentlichkeit mit der Verurteilung leicht.

In Österreich wird prozessiert, ob für Gelddruckaufträge in Syrien und Aserbaidschan Schmiergeld geflossen ist. Fazit: Geschäfte macht man dort so.

Kein Land ist frei von Korruption. Da müssen Sie nicht in den Nahen Osten oder nach Afrika gehen, es reicht, Rüstungsgüter oder Telekommunikationsanlagen in Griechenland verkaufen zu wollen – immerhin die Wiege der Demokratie. Korruption ist strafbar und schädlich, da stimmt jeder zu. Im selben Atemzug heißt es aber: Wer glauben Sie, bezahlt Ihr Gehalt? Früher oder später stellt sich dann doch die Frage: Will ich gewinnträchtig handeln oder gesetzeskonform? Ist das nicht zur Deckung zu bringen, dann haben wir eine Gangster-Wirtschaft.

Die Rechtfertigung lautet: "Tun wir es nicht, tut es ein anderer."

Wenn ich als Unternehmer meine Existenz nicht bewahren kann, wenn ich gesetzestreu bin, wenn also Rechtsgehorsam zur Selbstvernichtung führt, dann stimmt etwas nicht. Vielleicht sind unsere Gesetze missglückt oder wir belügen uns. Sollen wir unsere ethischen Ansprüche also nach Maßgabe der wirtschaftlichen Rentabilität modellieren? Ein bisschen schwierig für einen Rechtsstaat.

Viele sind der Ansicht, dass der EU-Beitritt für Rumänien und Bulgarien im Jahr 2007 zu früh kam. Die Korruptionsprobleme waren doch bekannt. Hat man das in Kauf genommen?

Meine Mitarbeiter und ich haben uns die Verhältnisse angeschaut und im Vorfeld Risikoabschätzungen betrieben. Manche hatten Bedenken zur Beitrittsreife, es gab aber Instrumente, mit denen der EU noch drei Jahre nach dem Beitritt viele Kontrollbefugnisse eingeräumt wurden – bei der Justiz, in der Verwaltung, beim Kampf gegen Kriminalität. Politisch gab es damals ein "window of opportunity" – der Mantel der Geschichte weht vorbei und man packt einen Zipfel.

Was ist jetzt Ihr Befund? Ist die Rechnung einfach nicht aufgegangen?

Korruption beseitigt man nicht mit einem Federstrich. Und auch nicht, indem man zwei, drei größere Strafverfahren abwickelt. Das ist ein extrem langwieriger Erziehungsprozess. Ob Siemens da ein guter Maßstab war? Waren wir beim U-Bootbau, bei Militärgütern, bei Telekommunikation ein strahlendes Vorbild? Ich habe Zweifel.

Wir verkennen zudem die Not der Menschen. Beim durchschnittlichen Einkommen eines Bulgaren (350 Euro/Monat, Anm.) kann Korruption fast eine Art Überlebenstechnik sein – und nicht Ausdruck uferloser krimineller Energie. Da machen wir es uns manchmal zu einfach.

Hochrangiger EU-Beamter

Wolfgang Hetzer (62) war von 2002 bis 2013 Abteilungsleiter im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) und beriet dessen Generaldirektor in Sachen Korruptionsbekämpfung. Davor war er in der deutschen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder zuständig für die Aufsicht über den Geheimdienst BND in den Bereichen Organisierte Kriminalität, Geldwäsche, Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen und Telekom-Überwachung. Er ist im Ruhestand und lebt in Leipzig und Wien.

Drastisch formulierte Krisen-Trilogie

Zur Aufarbeitung der Krise hat Hetzer "Finanzmafia" (2011) und "Finanzkrieg" (2013) verfasst. Seit 10. März ist sein jüngstes Buch erhältlich: "Die Euro-Party ist vorbei. Wer bezahlt die Rechnung?" Westend Verlag, 415 Seiten, 23,70 Euro.

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