Wirtschaftsexperte: "Spanien hat riesige Chance"

Wirtschaftsexperte: "Spanien hat riesige Chance"
Im KURIER-Interview erklärt der Wirtschaftsdelegierte der WKO in Madrid, Michael Spalek, wie Spanien seine Gegenwart verspekulierte, warum der Schwarzmarkt Zahlen verfälscht und was junge Spanier nach Österreich bringt.

KURIER: Herr Mag. Michael Spalek, die Berichterstattung über die Wirtschaft Spaniens ist fast durchgehend negativ. Gibt es noch Hoffnung?

Michael Spalek: Die Makrozahlen in Spanien täuschen. Es gibt einen sehr großen Schwarzmarkt in Spanien, der laut inoffiziellen Zahlen bis zu 24 Prozent des BIPs ausmacht. Was wiederum ein Grund ist, weshalb nicht alle Spanier sofort auf die Straßen laufen. Innerhalb des Schwarzmarktes finden sie sehr wohl ihre Möglichkeiten und kommen über die Runden. Würde dieser große Prozentsatz wegfallen, hätte die Regierung aber einige Sorgen weniger, vor allem von steuerlicher und finanzieller Seite. Spanien hat jetzt eine riesige Chance. Sie haben die letzten Jahre vom Bausektor gelebt: Infrastruktur und Baumarkt waren die Säulen der Wirtschaft. Dieser Sektor ist jetzt tot. Jetzt müssen die Spanier sich neu positionieren.

Wie ist Ihre Einschätzung bezüglich der Situation der spanischen Wirtschaft für die Jugend des Landes? Immerhin findet fast jeder zweite junge Spanier keinen Job?
Man muss unterscheiden: Wir haben die Hochschulabsolventen, für diese sehe ich mittelfristig kein großes Problem. Für alle, die mit dem Baugewerbe zu tun hatten, schaut es düster aus. Sie sind meist nur in diese Richtung ausgebildet, wenn überhaupt. Der Staat macht nichts um diese umzuschulen, sie sind auf sich alleine gestellt. Die gut Ausgebildeten wandern derzeit aus.

Wie reagiert die Regierung auf die Auswanderung ihrer Fachkräfte?
Die jungen Spanier werden von der Regierung animiert auszuwandern. Sie sollen Sprachen lernen, andere Kulturen kennenlernen und Kontakte knüpfen. Denn dieser Know-How-Zuwachs wird sich auf die Zukunft der spanischen Wirtschaft sehr positiv auswirken. Im Zuge der Globalisierung werden die Spanier viel mehr ins Ausland gehen. Nehmen wir als Beispiel die Fußballspieler. Vor 20 Jahren hat es keinen einzigen spanischen Fußballspieler außerhalb der spanischen Liga gegeben. Mittlerweile spielen z.B.: in der deutschen Bundesliga 14 Spanier. Nicht nur die Fußballer, alle trauen sich jetzt mit einem gewissen Stolz hinauszugehen. Allerdings wie jeder gute Spanier: Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, werden sie wieder zurückkommen.

Und wenn sie nicht zurückkommen?
Wenn die Fachkräfte nicht zurückkommen, könnte Spanien in ein Loch fallen. Aber die andere Version: Sie wandern aus, der Staat spart sich die Arbeitslose und die Leute werden im Ausland weitergebildet. In der Hoffnung, dass bei einer Besserung der Lage, die jungen Menschen wieder zurückkommen. Viele, die auswandern, sind in einem, wenn auch schlecht bezahlten, Arbeitsverhältnis. Dadurch hat die Auswanderung einen statistischen Vorteil, weil jeder Posten neu besetzt werden muss.

Wirtschaftsexperte: "Spanien hat riesige Chance"

Die meisten jungen Akademiker, die einen Job finden, verdienen weit unter 1000 Euro. Ein eigener Name hat sich eingebürgert: "Mileuristas" – die "Tausend-Euro-Verdiener".
Ja, es ist ein Trauerspiel. Nicht nur die Jugend, auch viele Ältere verdienen kaum mehr. Mit 1000 Euro netto ist man hier gut bedient. Die Leute arbeiten und arbeiten und kommen mit dem Geld nicht über die Runden. Viele sind sehr gut ausgebildet und können sich trotzdem nicht einmal Wohnung, Schule oder eine Familie leisten. Diese Entwicklung könnte aber ein gesamteuropäisches Problem werden. Österreich trifft das noch nicht, aber auch bei uns ist ein enormer Verlust an Gehalt zu verzeichnen im Verhältnis zu früheren Generationen.

Wie wird sich diese prekäre Situation weiterentwickeln?
Entweder man macht eine Inflationsabgeltung - denn es ist nichts anderes, als eine versteckte Inflation: Restaurants, Wohnungen etc. sind extrem zu teuer. Oder es kommt zu einer noch schlimmeren Krise. Denn wer den ganzen Tag arbeitet, der will auch ordentlich davon leben.

Die Nachfrage nach Deutschunterricht in den Goethe-Instituten des Landes ist seit 2010 um 80 Prozent gestiegen. Viele verlassen das Land in Richtung Deutschland und auch Österreich. Wie geht Österreich damit um?
Österreich sucht vor allem hochqualifizierte Ingenieure, das heißt Uni-Absolventen. Wir führen dazu mehrere Rekrutierungsaktionen durch und organisieren Treffen zwischen Kandidaten und österreichischen Firmen (mehr dazu hier). Vor allem Vorarlberg ist gefragt, schließlich trainiert dort die spanische Nationalmannschaft.

Vor fünf Jahren noch soll das Gesamtvermögen spanischer Familien zu 80 Prozent aus Immobilien bestanden haben. Wie hat sich die Situation in der letzten Zeit verändert?
Der Spanier braucht Eigentum. Die Spanier mieten nicht, sie kaufen. Das ist eine Familiensache, die Kinder kriegen im Idealfall eine Wohnung zur Hochzeit. Es war den Käufern vollkommen egal, wie der Preis einer Immobilie war. Die Zinsen waren gering. Dadurch sind die Preise unglaublich gestiegen. Und jetzt nach dem Platzen der Blase ist die Wohnung nur mehr die Hälfte wert. Die ganzen Probleme der Banken sind darauf zurückzuführen.

Anders als die Banken erhalten die Betroffenen der Immobilienkrise kein Rettungspaket. Was bedeuten die hohen Schulden für den Alltag der Spanier?
Es ist katastrophal. Viele haben auch Bürgen hergeben müssen. Damit verlieren auch Leute ohne Schulden ihre Wohnung, weil die Bank sie für die Schulden anderer pfändet. Das Bankenrettungspaket zahlt die ausfallenden Kredite. Die leer stehenden Wohnungen könnten später den ehemaligen Käufern wieder günstig verkauft werden. An der Küste stehen allerdings viele Immobilien, die nur aufgrund Spekulation gebaut wurden. Diese bleiben wohl leer.

Zur Person: Der österreichische Außenwirtschaftsexperte Michael Spalek verbrachte seine Jugend in Spanien. Seit einem Jahr ist er Wirtschafts- und Handelsdelegierter der Wirtschaftskammer Österreich in Madrid.

Dieses Interview ist im Rahmen von eurotours 2012 entstanden – einem Projekt der Europapartnerschaft, finanziert aus Gemeinschaftsmitteln der Europäischen Union.

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