Wien hat die mühsamste Bürokratie

Wien hat die mühsamste Bürokratie
Eine Studie untersuchte Österreichs Bürokratiealltag. Das Ergebnis: Drei von vier Wiener Unternehmern stöhnen auf.

Peter Koch schäumt vor Wut. "Ich hab so einen Hals", sagt der Ottakringer Unternehmer. "Immerhin kostet mich das Parkpickerl für meinen gesamten Fuhrpark plötzlich 5500 Euro. Den ganzen bürokratischen Irrsinn noch nicht eingerechnet." Seit dem Jahr 1890 gibt es die Spenglerei Koch.

Glaubt man dem Unternehmer, dann könnte just das Pickerl im Jahr 2012 das Ende des Betriebs bedeuten. "Mehrere Firmen überlegen, ob sie zusperren oder ins Umland ziehen." Unter seinem Arm trägt Koch zwei Ordner, die er vor Beantragung des Pickerls in tagelanger Arbeit zusammengestellt hat. "Nichts als Rechnungen und Belege", sagt er. "Von Entbürokratisierung keine Spur." Unterstützung kommt von Alexander Biach. Der Chef des Wiener Wirtschaftsbunds sagt: "Das Pickerl ist die letzte bürokratische Hürde für Unternehmer, doch es ist längst nicht die einzige" (siehe Interview Artikelende).

1620 Befragungen

Wien hat die mühsamste Bürokratie

Eine Studie, die Biach in Auftrag gegeben hat, scheint dies zu belegen. Das in Wien und in Innsbruck ansässige Forschungsinstitut ICEI sah sich die bürokratischen Hürden in den Bundesländern an. 1620 Unternehmer wurden landauf landab befragt, 40 Interviews wurden geführt. "Doch bürokratischer als in Wien ist es nirgends", fasst Studienautor Florian Schwillinsky das Ergebnis kurz. "Drei Viertel der befragten Unternehmer stöhnen auf." Nur in Graz sei die Situation ähnlich problematisch. Doch wie seriös ist die Studie? Immerhin ist nicht nur Spengler Koch Mitglied des Wirtschaftsbunds, auffallend ist auch, dass vor allem SP-geführte Länder in diesem Radar schlecht abschneiden. "Die Daten sind valide, die Auswahl repräsentativ", beteuert der Studienautor.

Im Büro von Finanzstadträtin Renate Brauner (SP) wird das bezweifelt: "Das können wir so nicht stehen lassen", sagt ein Sprecher. "2011 verzeichneten wir 8200 Unternehmensneugründungen und 126 Firmen ließen sich aus dem Ausland in Wien nieder." Dass aber Optimierungsbedarf herrscht, wird nicht geleugnet. "Unser Ziel ist es , dem One-Stop-Shop-Prinzip möglichst nahezukommen. Bereits jetzt werden jegliche Behörden auf Wirtschaftsfreundlichkeit hin überprüft." Vor allem in Oberösterreich führen bereits wenige Behördengänge zum Ziel, Neugründer werden intensiv betreut. In Niederösterreich ist die Anmeldung eines Gewerbes in vielen Fällen online möglich.

Odyssee: Gründung eines Würstelstands

Von B wie Bosna... Wer professionell Würstel grillen möchte, wird erst einmal selbst gegrillt – bei Behördengängen am Magistrat. Denn ohne Bescheid, keine Bosna. Glaubt man einer Aufstellung des Wirtschaftsbunds müssen Standler in spe zig Behördengänge in insgesamt fünf Geschäftsgruppen absolvieren. Zunächst ist bei der MA 63 eine Gewerbeberechtigung einzuholen. Das Bezirksamt überprüft den möglichen Standort. Von der Größe des Stands hängt ab, ob Bezirksamt oder Marktamt zuständig sind. ...bis R wie Rauchfangbefund Nach Stopps bei MA 36 & Co. geht’s zur Betriebsanlagenverhandlung – in der Regel sind mehrere Verhandlungstage nötig, der Zeitrahmen ist ungewiss. Mit dem Bescheid – wenn Sie denn einen positiven erhalten – müssen Sie zur Baupolizei und eventuell zur MA 19 (Stadtgestaltung). Bei der MA 46 sind noch Details für die Bauzeit zu klären. Steht das Standl, gibt’s noch keine Würstel – es fehlen Abnahme durch die Baupolizei sowie Rauchfang-, Lüftungs-, Gas- und Elektrobefunde. Erst dann heißt’s: Mahlzeit.

Wien hat die mühsamste Bürokratie

Interview: "Pickerl nur Spitze des Eisbergs"

Alexander Biach ist Chef des Wiener Wirtschaftsbunds und Mitglied im Parteivorstand der Wiener VP. Er sagt: „Das Maß ist voll.“

KURIER: Herr Biach, die Unternehmer sind mit bürokratischen Hürden in Wien unzufrieden. Überrascht Sie das?
Alexander Biach: Nein, aber die Pickerlproblematik hat die Situation verschärft. Hinzu kommt, dass die Stadt zuletzt 14 Gebühren erhöhte, was die Wiener Unternehmer mit 100 Millionen Euro zusätzlich belastet. Dann ist klar, wenn drei Viertel der befragten Unternehmer mit der Situation unzufrieden sind. Das Maß ist voll.

Mit Verlaub: Die Wiener Wirtschaftskammer einigte sich mit Rot-Grün auf Pickerl-Erleichterungen für Firmen.
Ja, es ging aber bei dieser Einigung um das Ende der Diskriminierung der Unternehmen. Parkgenehmigungen sind für Firmen nun deutlich leichter zu haben. Doch der Arbeitsaufwand, der in die Antragstellung gesteckt werden muss, ist nach wie vor ungeheuer kostenintensiv. Erste Unternehmer reden von Absiedelungen.

Welche?
Group4 und vor allem mittelgroße Betriebe haben zumindest erste Überlegungen artikuliert. Da geht es um mehrere Tausend Arbeitsplätze. Es wäre eine Frage der wirtschaftlichen Vernunft, hier zu reagieren.

Was fordern Sie?
Das Pickerl ist nur die Spitze des Eisbergs. Wieso dauert in Wien die Gründung eines Betriebs drei Monate, während es in Bratislava oder in OÖ in 22 Tagen möglich ist. Laut Weltbank müssen sie für die Gründung einer GesmbH in Wien mit 22 Tagen rechnen – in New York ist dieselbe Gesellschaft in sechs Tagen gegründet.

Das heißt: Es muss eine Bündelung der Kräfte in einer Geschäftsgruppe geben?
Ja, das Prinzip des One-Stop-Shops sollte gelten. In OÖ ist man hier viel weiter.

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