Wie sich China an die Spitze kämpft

Hostessen am Tiananmen-Platz
China wächst robust und öffnet seine Türen. Vom ökonomisch erfolgreichen kommunistischen Kapitalismus profitieren auch Österreichs Firmen.

"China wird Standards in der Internet-Wirtschaft setzen", sagt Professor Yiwei Wang. "Wir wollen die Besten weltweit sein." Der Anspruch auf Technologieführerschaft mutet etwas seltsam an, bietet doch nicht einmal die Renmin Universität in Peking, auf der Wang lehrt, WLAN für Gäste. Google, Facebook, Twitter, YouTube funktionieren im "Reich der Mitte" nicht, zuletzt wurde auch WhatsApp abgeschaltet. Zu viel westlicher Einfluss für den Geschmack der emsigen Zensurbehörden. Die Chinesen bewegen sich notgedrungen auf eigenen Plattformen wie Baidu, Sina und Tencent. Europa werde seine Abhängigkeit von US-Internetriesen noch bereuen, meint der Professor trocken.

60 Prozent der Highspeed-Züge der Welt sind mittlerweile chinesisch. China baut seine Weltraum- und militärische Stärke massiv aus, setzt zunehmend auf eigene Marken, auch wenn "Made in Europa" noch immer begehrt ist. Nicht zuletzt erobert es wirtschaftlich gerade den afrikanischen Kontinent.

Wer ist stärker?

Das Land ist mit seinem kommunistischen Kapitalismus zum Global Player geworden, der mit wirtschaftlicher Vision und staatlich gestützten Unternehmen sogar die USA ausstechen könnte, die unter Donald Trump einen nationalistischen Weg einschlagen. China rücke in dieses Vakuum vor, schreibt die Nahost-Expertin Karin Kneissl in ihrem neuen Buch: "Wenn Funktionäre der chinesischen Kommunistischen Partei der US-Delegation in einer Konferenz der G20 die Vorzüge des Freihandels erläutern müssen, dann ist zweifellos einiges im Umbruch befindlich." (So geschehen beim G20-Treffen in Baden-Baden im März 2017).

Mit ihrem Projekt der Wiederbelebung der alten Handelswege zwischen Asien und Europa (Seidenstraße) könnte die chinesische Regierung gleich mehrere Fliegen auf einen Schlag treffen: Die Waren- und Energieflüsse entlang der Strecke werden sich beschleunigen. Derzeit kommen noch 90 Prozent der chinesischen Waren über den Meerweg nach Europa, was rund 35 Tage benötigt. Per Eisenbahn sollen sie künftig nur noch 14 Tage unterwegs sein.

Das bringt wirtschaftliche (sowie politische) Stabilität in Chinas Nachbarstaaten (etwa Pakistan), neue Jobs, die China dringend benötigt, und neue Absatzmärkte für seine Produkte: also in Summe ein riesiger Konjunktur-Motor.

Die EU betrachtet das Projekt skeptisch, fürchtet man doch eine Spaltung: Denn profitieren würde davon vorwiegend Ost- und Zentraleuropa. "Ihr Land könnte sich da mehr einbringen", sagt Wang im Gespräch mit einer kleinen Gruppe österreichischer Journalisten.

Heinz Fischers Mission

Während sich die heimische Regierung bisher nicht sehr ambitioniert zeigte, setzt sich Altpräsident Heinz Fischer (seines Zeichens Vorsitzender der österreichisch-chinesischen Gesellschaft) ein. Im September reiste er mit einer Delegation in die chinesischen Industrie-Metropolen. "Das hilft uns irrsinnig", sagt ÖBB-Chef Andreas Matthä im Gespräch mit dem KURIER. Auch er befand sich diese Woche auf Wirtschaftsmission in China. In Peking traf er mit einer Delegation der Wiener Wirtschaftskammer unter der Leitung von Chef Walter Ruck zusammen, um ein Partnerabkommen mit der chinesischen Wirtschaftskammer zu unterzeichnen.

Einige österreichische Firmen sind längst entlang der Seidenstraße aktiv, wie die Gebrüder Weiss. Das Familienunternehmen wird seit dem 15. Jahrhundert in der 16. Generation geführt und hat noch Rechnungen an Goethe aufbewahrt, dessen aufwendige Italienreise es unterstützte. Heute transportiert man Auto-Teile, Hightech und Konsumgüter aller Art. 1989 entschied sich die Firma für globale Expansion, hat heute weltweit 150 Standorte (18 davon in China), 6500 Mitarbeiter bei einem Jahresumsatz von 1,3 Milliarden Euro. Man profitiert davon, dass die Warenflüsse "weltweit enorm steigen", sagt Gebrüder-Weiss-Manager Dieter Buchinger. Die Seidenstraßen-Routen, auf denen die Container der Firma (via etlicher Umschlagplätze, allein schon wegen unterschiedlicher Spurweiten der Schienen) unterwegs sind, entwickeln sich positiv - und sicherer: Noch Ende der Neunzigerjahre, erzählt Buchinger, seien von 400 verfrachteten Sportschuhen 40 Paar weniger am Zielort angekommen.

Die Seidenstraße eröffnet für Firmen ja nicht nur das Geschäft mit China, sondern mit dem Gesamtraum, also auch etwa den Kaukasus oder Kasachstan. Das nutzt zum Beispiel auch dem österreichischen Unternehmen Andritz, das Kraftwerke baut. "Der Handel wird auch in diesen Regionen an Fahrt aufnehmen", ist Martin Glatz, österreichischer Handelsdelegierter in Peking, überzeugt.

Sound of music

Selbst der einfache Chinese kennt "Aodili", wie Österreich auf chinesisch heißt. Auch in China klingt "Sound of music" noch nach. Für chinesische Investoren sind heimische Firmen interessant (siehe FACC, das mittlerweile "chinesisch" ist), chinesische Touristen stürmen Österreich: Auch das nachgebaute Hallstatt in China zeigt hier Wirkung. Sie buchen zwar selten Hotelzimmer in der teuersten Kategorie, sind aber wild auf Luxus-Shopping (und stehen Sonntags fassungslos vor geschlossenen Läden). "Ihr könntet noch viel mehr Geschäft mit ihnen machen", meint Professor Wang.

Sein Lobgesang auf die Wohltaten des kommunistischen Regimes ist dann aber doch etwas dick aufgetragen. Auch wenn Millionen Chinesen in die Mittelschicht aufgestiegen sind, ist der Unterschied zwischen boomenden Städten und rückständiger Provinz noch immer hoch, Altersarmut ein großes Thema. China ist eine egozentrische Ellbogen-Gesellschaft, nur die eigene Familie zählt, ansonsten gebe es kaum Loyalität, sagen Gesprächspartner, die mit chinesischen Partnern zusammenarbeiten. Es herrscht (nach langer, bitterer Armut) Materialismus, am Heiratsmarkt preist man nicht Schönheit und Intelligenz der Kandidaten, sondern Besitz und sichere Jobs (möglichst in der Staatswirtschaft) an.

Wie lange werden sich die Chinesen die staatliche Bevormundung gefallen lassen? Mögliche soziale Unruhen zählen zu den größten Unsicherheitsfaktoren in China. Menschenrechte stehen nicht auf der Agenda von Präsident Xi Jinping. Seine Ziele: Wohlstand für alle, Korruption und Umweltverschmutzung eindämmen (der Smog in den Städten ist unerträglich). Die Ziele, die sich China setzt, erreicht es auch. "Wir vertrauen nicht auf den Himmel, sondern nur auf uns selbst", sagt Professor Wang dazu. Das Schlussbild seines Vortrages zeigt einen Pandabär, der eine erschlaffte Weltkugel aufpumpt.

Auch wenn das Wachstum in China zuletzt etwas schwächelte (6,8 Prozent im dritten Quartal), machen heimische Firmen immer mehr Geschäft mit China. Es ist Österreichs fünftwichtigster Handelspartner hinter Deutschland, Italien, der Schweiz und den USA: Allein Wiener Unternehmen exportierten 2016 Waren im Wert von 316 Mio. Euro nach China. Auch die Importe aus dem „Reich der Mitte“ steigen. Heimische Firmen wie AT&S, Andritz, Miba, Gebrüder Weiss, Frequentis, Agrana, RHI, VAMED oder Waagner-Biro sind längst vor Ort.

Österreich liefert Maschinen und Anlagen, Umwelttechnik, Fahrzeugteile, Pharmaprodukte und Medizintechnik. Da der Lebensstandard steigt, interessieren sich die Chinesen zunehmend für Konsumgüter. „Made in Europa“ ist prestigeträchtig, wenn auch die (Staats-)Wirtschaft emsig daran arbeitet, eigene Marken zu entwickeln.

Auf Shopping-Tour

China investiert massiv in Europa, 2016 gab es auch in Österreich drei Übernahmen. Dennoch sei Österreich bei diesem Boom eher nur Zaungast, schreibt das Beratungsunternehmen EY. Die Chinesen interessieren sich vor allem für einzelne Top-Betriebe mit starker Spezialisierung und führenden Technologien, etwa Ski-Firmen. Diese sind vor den olympischen Winterspielen in Peking 2022 interessant. In China ist dadurch ein kleiner Ski-Boom ausgebrochen. Die Regierung bemüht sich, den Sport populär zu machen.

Beim (alle fünf Jahre stattfindenden) KP-Kongress diese Woche hatte Staatschef Xi Jinping versprochen, Regeln „auszuradieren“, die fairen Wettbewerb behindern. Eine freie Marktwirtschaft ist China deshalb aber noch lange nicht. Es herrscht staatliche Lenkung. Nach wie vor werden viele Staatsbetriebe künstlich am Leben erhalten. Und das Wachstum Chinas ist durch hohe Schulden erkauft. Die US-Ratingagentur S&P hat daher kürzlich die Bonitätsnote des Landes auf „A plus“ heruntergesetzt. Der Internationale Währungsfonds hat Peking aufgefordert, die Kreditvergabe zu zügeln, meint aber dennoch, dass China weiterhin die Wachstumslokomotive für die Weltwirtschaft spielen kann. Wenn man das Bruttoinlandsprodukt an der nationaler Kaufkraft bemisst, dann ist China schon jetzt weltweit Wirtschaftsmacht Nummer eins.

Mehr Superreiche

Chinas Regierung plant (auf Basis von 2010) eine Verdoppelung des Bruttoinlandsprodukts und des Pro-Kopf-Einkommens. Zum ersten Mal in der Geschichte gibt es in Asien mehr Milliardäre (637), als in den USA (563). In Europa stagniert der Club der Superreichen (342).

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Mit Ausnahme von Großbritannien, Ungarn und der Schweiz hätten europäische Länder den Aufstieg Chinas übersehen, kritisiert Nahost-Expertin Karin Kneissl in ihrem neuen Buch. Die EU sei mit sich selbst beschäftigt. Doch „die neue Ära ist längst angebrochen“. China sei am Weg zur globalen Vormachtstellung. Das Nachsehen hätten traditionelle Industriestaaten.

Die Autorin schreibt provokant: Während sich die EU wie eine Gouvernante benehme, habe China einen klaren Plan. Die USA wiederum würden sich aus Regionen zurückziehen, in die China und andere asiatische Staaten still und heimlich einziehen. Vorteilhaft für China sei auch der mächtige Verbündete Russland. Und es benütze Afrika, nütze dem schwarzen Kontinent aber auch: Afrika könnte zur verlängerten Werkbank Chinas werden, was dem Land wirtschaftlich mehr bringe, als die bevormundende „Mitleidsindustrie“ der EU. Sollte es auf der arabischen Halbinsel Umbrüche geben, könnte China auch hier die Karten neu mischen.


Karin Kneissl: Wachablöse. Auf dem Weg in eine chinesische Weltordnung. Verlag Frank&Frei, 112 Seiten, € 14,90

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