Wie man die IT-Riesen steuerlich erwischt

Wie man die IT-Riesen steuerlich erwischt
Das derzeitige Steuersystem basiert auf Regeln anno 1899 (!) - und ist für Google & Co. völlig unbrauchbar.

Rückblende auf den 21. Juni 1899: Das Königreich Preußen und Österreich-Ungarn schließen einen Vertrag ab, der als erstes "modernes" Steuerabkommen gilt. Warum das anno 2017 noch relevant ist? Darin kommt erstmals jener Begriff der Betriebsstätte vor, der bis heute dafür entscheidend ist, in welchem Staat Firmen ihren Obolus an den Fiskus entrichten müssen. Seit der K.-u.-k-Zeit haben sich aber nicht nur die Grenzen gehörig verschoben – noch dramatischer hat sich die Wirtschaft gewandelt.

Warum sind Konzerne wie Google, Amazon oder Facebook steuerlich so schwer greifbar?

Ende des 19. Jahrhunderts war völlig klar, was im Steuerrecht mit einer Betriebsstätte gemeint ist: eine Fabrik mitsamt den Hallen, Menschen, die darin arbeiten und Produkten, die dabei entstehen. Heute kann eine App oder Online-Dienstleistung überall auf der Welt abgerufen werden; auch die Computerserver können irgendwo stehen. Eine Betriebsstätte im alten Sinn braucht es nicht.

Warum stehen gerade Internet-Konzerne als Steuervermeider so sehr in der Auslage?

Weil es sich dabei um sehr junge Unternehmen handelt, sagte Heinz Zourek, langjähriger oberster Steuerbeamter der EU-Kommission, bei einem Gespräch in der Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE). Ein alter Industriebetrieb, der vom Firmensitz aus über die Grenzen wuchs, machte sich dann erstmals Gedanken, wie er Steuern optimieren kann. Diese IT-Konzerne sind vom Start weg global so aufgesetzt, dass möglichst wenige Steuern anfallen.

Die Industriestaatenorganisation OECD treibt globale Regeln gegen Steuervermeider voran. Wird die Digitalwirtschaft miterfasst?

Der OECD-Vorstoß soll primär die Schlupflöcher schließen, die zwischen den "alten" nationalen Systemen entstanden sind. Das erschwert zwar auch die Vermeidungspraktiken von Google, Apple, Amazon & Co. Die "Revolution" einer völligen Neuausrichtung der Steuerregeln für das digitale Zeitalter wurde allerdings bis nach 2020 vertagt.

Warum tut die EU-Kommission nicht mehr?

Weil sie nicht darf. Für Steuerfragen sind nämlich die Nationalstaaten zuständig – es sei denn, der gemeinsame EU-Markt ist gefährdet. Selbst dann braucht es aber Einstimmigkeit: Es müssen alle Staaten zustimmen. Und die kochen gerne ihre eigenen Süppchen.

Warum wird die Betriebsstätte im Steuerrecht nicht einfach neu definiert?

Das ist alles andere als trivial. Finanzminister Hans Jörg Schelling will Österreichs EU-Ratspräsidentschaft 2018 dafür nützen, das Konzept einer "digitalen Betriebsstätte" im Steuersystem zu verankern. Damit sollten die Gewinne der Online-Konzerne auf einzelne Länder runtergebrochen werden.

"Das ist die Schlüsselfrage in der Besteuerung der digitalen Wirtschaft", sagte Zourek zum KURIER. Es mache aber nur Sinn, das global zu regeln – via OECD oder G20, wo Schwellenländer wie China und Brasilien dabei sind.

Was können Länder unternehmen, die nicht auf eine weltweite Lösung warten wollen?

Einzelne Staaten wie das Vereinigte Königreich oder Australien sind vorgeprescht. Sie heben eine Steuer auf umgeleitete Gewinne (Diverted Profits Tax) ein. Simpel formuliert: Unternehmen, die ihre Steuern kleinrechnen oder Auskünfte schuldig bleiben, wird als Strafe ein höherer Steuersatz aufgebrummt als "braven" Firmen. Das wäre aber unvereinbar mit Österreichs bestehenden Verträgen, warnen Rechtsexperten. Auf eine einzelne Maßnahme als "Wunderwaffe" zu hoffen, sei zudem gefährlich, sagte Zourek.

So erlitt Frankreich gerade Schiffbruch: Ein Pariser Gericht gab Google am Mittwoch Recht. Der US-Konzern muss keine 1,2 Mrd. Euro Steuern für 2005 bis 2010 nachzahlen. Frankreich will gegen das Urteil berufen.

Was könnte Österreich sonst noch tun?

Ein Regierungsvorhaben war, die Werbeabgabe für Medien auf Online-Werbung auszuweiten, deren Umsatz 2016 auf 530 Mio. Euro geschätzt wurde. Und: Weil die Konsumenten ihre Onlinesuche oder Social-Media-Präsenz mit Nutzerdaten "bezahlen", könnten umsatzsteuerpflichtige Tauschgeschäfte vorliegen.

KURIER-Interview mit Heinz Zourek (9. Mai 2017): Warum immer nur die Firmensteuern sinken

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