Wasserkraftwerk im Kaunertal: Nachholbedarf für Tiwag

Die Tiwag will u.a. die Gurgler Ache wie auf dieser Montage aufstauen
Gutachterteam des Internationalen Wasserkraftverbandes (IHA) sieht den Großteil der Standards erfüllt, aber nicht alle. WWF sieht "Blamage"

Gutachter des Internationalen Wasserkraftverbandes (IHA) haben im Auftrag des Tiroler Energieversorgers Tiwag das Projekt im Kaunertal unter die Lupe genommen. Während die Tiwag-Verantwortlichen das Zeugnis für das Vorhaben "unter dem Strich" als "gut" bewerteten, sah der WWF eine "Blamage". Die Leiterin des IHA-Prüfteams, Helen Locher, äußerte u.a. Bedenken hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit.

Aus derzeitiger Sicht sei es etwa aufgrund der Preise am Strommarkt keine "gute Idee", das Projekt in Angriff zu nehmen, erklärte Locher am Mittwoch bei einem Hintergrundgespräch, wiewohl die Expertin betonte, dass dies allein eine ökonomische Entscheidung des Unternehmens sei. So argumentierte freilich auch Tiwag-Vorstandsdirektor Johann Herdina: "Es ist eine wirtschaftliche Entscheidung, ob wir dann (bei Vorliegen aller Genehmigungen, Anm.) das Risiko nehmen möchten. Das ist eine Zukunftsentscheidung". Gleichzeitig gab Herdina zu bedenken, dass es eine Langfristplanung sei und dass sich der "Return on Investment" bei derartigen Projekten gewöhnlich erst nach Jahren einstelle.

Der IHA hat im Rahmen seiner Nachhaltigkeitsbewertung des 1,3 Mrd. teuren Vorhabens, mit dem das bestehende Kraftwerk Kaunertal zu einer Kraftwerksgruppe ausgebaut werden soll, insgesamt 23 Themenbereiche analysiert. Vom Projektmanagement über die Wirtschaftlichkeit bis hin zu den ökologischen Auswirkungen.

Drei von 23 mal nicht gut genug

Bei acht Bereichen erhielt das Projekt laut dem Prüfbericht die beste Note, nämlich gemäß der "besten bewährten Praxis".

Zehnmal wurde die "grundlegend gute Praxis" erreicht, wobei sieben Mal ein Mangel und drei Mal zwei Mängel festgehalten wurden.

Bei den Themenfeldern "Wirtschaftliche Auswirkungen", "Betroffene Gemeinden und Existenzgrundlagen" sowie "Restwasserstrecke" blieb man jedoch unter dieser Marke.

Zwei Kriterien ("Indigene Bevölkerung" und "Umsiedelung") wurden nicht untersucht.

Kommunikation mangelhaft

Vor allem wurde die Kommunikation mit den Stakeholdern, also den Betroffenen vor Ort bzw. anderen Interessengruppen wie NGOs, als ausbaufähig angesehen. Etwa gebe es bei den Gesprächen mit den Gemeinden und den bereitgestellten Informationen, etwa die Restwasserstrecken betreffend, Aufholbedarf, so die Diagnose.

"Wir sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden, obwohl es da und dort Verbesserungsbedarf gibt", erklärte Herdina, der einräumte, dass die Einbindung und Information der Betroffenen verbessert werden kann. Aber etwa beim Themenbereich "Betroffene Gemeinden" könne man erst besser abschneiden, "wenn wir uns mit Sölden einigen". Wegen eines Widerstreitverfahrens mit der Gemeinde Sölden liegt das Projekt derzeit auf Eis.

WWF: "Schlechtestes Ergebnis"

Komplett anders fiel die Analyse des WWF aus: Das Kaunertal habe mit Abstand weltweit "das schlechteste Ergebnis eingefahren, das jemals für ein Kraftwerk veröffentlicht wurde". Gleich dreimal habe das Projekt die schlechteste jemals veröffentlichte Note (Level 2) kassiert. Das 2013 vom IHA bewertete Walchenseekraftwerk in Bayern hingegen erfüllte beispielsweise in allen Bereichen die "grundlegend gute Praxis". Auch die anderen in Europa geprüften Vorhaben, die auf der IHA-Homepage veröffentlicht wurden, blieben entweder gar nicht oder höchstens einmal unter der "grundlegend guten Praxis".

"Inhaltlich bestätigt das Assessment unsere langjährige Kritik. Ob bei wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Region, auf die lokale Gemeinschaft oder auch beim verbleibenden Restwasser: In allen unseren zentralen Kritikpunkten fällt das Tiwag-Projekt durch", argumentierte Christoph Walder, Flussexperte des WWF, der an Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) appellierte, das "Monsterprojekt" zu stoppen.

Im Zuge der Erweiterung des Kraftwerks Kaunertal ist geplant, das bestehende Kraftwerk für 1,3 Mrd. Euro zu einer Kraftwerksgruppe auszubauen. Die Pläne sehen den Bau einer Oberstufe im Platzertal (Gemeindegebiet Pfunds) und die Errichtung eines Pumpspeicherkraftwerks vor. Zusätzliches Wasser soll von der Gurgler und Venter Ache in den Gepatschstausee abgeleitet werden. Durch den Ausbau plant die Tiwag zusätzlich 913 GWh aus natürlichem Zufluss pro Jahr erzeugen zu können.

Kommentare