Was heißt ...? Freihandel

Was heißt ...? Freihandel
TTIP und Co: Die Argumente zu Handelsabkommen sind dieselben wie in der Globalisierungsdebatte.
Was heißt ...? Freihandel
Wolle aus Neuseeland, Tonerde aus den USA und Gummi aus Malaysia: Wenn Novak Djokovic auf dem Centre Court von Wimbledon die Filzkugel in die Luft wirft, hat diese schon 81.000 Kilometer Reise hinter sich.

Seit 1902 liefert die britische Firma Slazenger die Bälle für das Tennisturnier. Wobei „britisch“ relativ ist: Die Bestandteile der Bälle kommen aus elf Ländern (Grafik), die Produktion erfolgt auf den Philippinen und die Verpackung in Indonesien. „Es erscheint aberwitzig, aber so werden Dinge heute produziert“, sagt Mark Johnson, Professor an der Warwick Business School, der diese Lieferkette analysiert hat: „Am Ende ist das wohl die kostengünstigste Methode, um Tennisbälle zu erzeugen.“

Was heißt ...? Freihandel
Warum muss ein simpler Tennisball zwei Mal den Erdball umrunden, bevor er im Geschäft landet? Die Antwort führt mitten in die hitzige Debatte über die Vor- und Nachteile des freien Welthandels.

+ + + Kosten Die Grundidee ist seit gut 200 Jahren unverändert: Wird die Arbeit aufgeteilt und konzentriert sich jedes Land auf das, was es besonders gut kann, profitieren die Konsumenten von günstigen Preisen. Vielleicht ließen sich sogar in Schweden Bananen in Glashäusern anbauen – effizient wäre es sicher nicht.

+ + + Fitte Firmen Kurzfristig können Staaten ihre Fabriken mit Strafzöllen oder anderen Handelsschranken vor Rivalen schützen. Auf Dauer geht das selten gut: Ohne Konkurrenzdruck verlieren die Unternehmen den Anschluss – sie können ihre Produkte zu überhöhten Preisen nur noch im Inland verkaufen. Stellen sie sich hingegen dem Wettbewerb, dann sichert das letztlich auch die Arbeitsplätze: Sie müssen effizient und innovativ bleiben und genau das produzieren, was die Kunden wollen.

Das Gegenteil konnte man in den einstigen Sowjetstaaten erleben – dort waren die Regale meist leer. Der Staat war sehr schlecht darin, die Bedürfnisse zu erahnen und die Produktion zu steuern.

+ + + Wertschöpfung Auch wenn einfache Jobs an Billiglohnländer verloren gehen: Anspruchsvolle Tätigkeiten wie Forschung, Design, Marketing bleiben in den reichen Industrieländern. Dort fällt also der Großteil der Wertschöpfung (und meist auch der Steuern) an.

+ + + Wohlstand und Frieden Die Geschichte lehrt: Ärmere Staaten haben dann aufgeholt, wenn sie ihre Grenzen geöffnet haben. So begann Chinas sagenhafter Aufstieg mit der Devise „Reform und Öffnung“ von Deng Xiaoping in den 1980er-Jahren. „Länder, die handeln, schießen nicht aufeinander“ – darüber lässt sich streiten. Es ist aber kein Zufall, dass Russland für die Kriegsaktionen in der Ukraine mit Handelssanktionen bestraft wird.

- - - Umwelt Natürlich sind Rohstoffe nicht überall auf der Welt verfügbar. Aber dass ein Tennisball für einzelne Verarbeitungsschritte rund um die Welt gekarrt wird, ist aus ökologischer Sicht (Treibstoffverbrauch, CO2-Ausstoß) katastrophal.

- - - Arbeit Nicht nur bei Tennisbällen, in vielen Industriezweigen wurde die Produktion nach Asien ausgelagert. Dort werden Arbeitskräfte aber nicht nur schlecht bezahlt, sie müssen oft unter katastrophalen Bedingungen und ohne soziale Absicherung arbeiten.

- - - Wirtschaftlicher Druck Die Billigkonkurrenz erhöht den Druck auch auf Beschäftigte in reichen Staaten, argumentieren Gewerkschafter. Schließlich könne ein Unternehmer bei Lohnverhandlungen immer mit Abwanderung drohen.

- - - Qualitätsverluste Intensive Konkurrenz heißt, dass so billig wie möglich produziert werden muss. Dass dabei die Qualität nicht immer an erster Stelle steht, liegt auf der Hand. Deshalb glauben viele Skeptiker nicht, dass die Angst vor Genmais, Chlorhühnern und Hormon-Rindern aus den USA unbegründet ist.

Großer Aufreger USA

TTIP, das geplante Abkommen der EU mit den USA, lässt die Emotionen besonders hochkochen. Womöglich rührten viele Ängste daher, dass die Europäer ihre eigene Wirtschaftskraft unterschätzen, vermutet ein hochrangiger Beamter in Brüssel: „Dabei ist die EU eine Produktionsgroßmacht.“ Das zeige der Handelsüberschuss von mehr als 300 Milliarden Euro.

Zugleich rümpfen Europäer gerne die Nase über die vermeintlich schlechteren Qualitätsstandards der USA. Was jenseits des Atlantik aber nicht anders und primär eine Kulturfrage ist: So manchem Amerikaner ekelt vor französischem Roquefort-Schimmelkäse – eine Delikatesse, die schon Anlass für viele Handelskonflikte war.

Zollaufschläge spielen heute eine untergeordnete Rolle. Die größere Barriere sind Unterschiede in Zulassungs- und Kontrollverfahren oder bei Standards. Gerade das macht die Verhandlungen so kompliziert. „Zollsenkungen vereinbaren war eine Sache von Wochen. Jetzt geht es um unzählige technische Details“, klagt ein Verhandler. Das zieht sich über Jahre. Und es geht den Menschen nahe, weil es sie als Verbraucher berührt – siehe Lebensmittelsicherheit.

Sache des Vertrauens

Die EU-Standards würden nicht abgesenkt, sondern nur äquivalente Ansätze anerkannt, betont die Kommission: So werden französische Austern direkt auf Schadstoffe geprüft, in den USA wird das Wasser getestet. Laut Experten ist das gleichwertig, also könne man die Exportverbote eigentlich aufheben.

Am Ende sind Handelsabkommen also eine Frage des wechselseitigen Vertrauens. Genau daran sind alle früheren Anläufe für ein Abkommen zwischen der EU und den USA gescheitert.

WTO Die Welthandelsorganisation (World Trade Organisation) in Genf wurde 1995 als Nachfolgerin des Zollabkommens GATT (General Agreement on Tarifs and Trade) gegründet. Sie soll für einfachere Regeln im Handel sorgen. Das Problem: Bei 161 Mitgliedsländern legt sich immer irgendwer quer. So steckt die Doha-Entwicklungsagenda (nach dem Ort in Katar, wo die Verhandlungen 2001 begannen) in der Sackgasse. Also verhandeln viele Länder untereinander Abkommen aus, etwa:

TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) Seit 2013 wird über den Freihandelspakt zwischen den USA und der EU verhandelt. Er soll zur
Öffnung der Märkte, Bürokratieabbau und einfacheren Vorschriften für Exporte führen.

CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) Das EU-Kanada-Abkommen wurde seit 2009 ausverhandelt, im September 2014 wurde das Endergebnis veröffentlicht. Jetzt feilen die Rechtsexperten noch am finalen Text.

TPP (Trans-Pacific Partnership) Die USA verhandeln seit 2005 mit 11 Pazifikstaaten, darunter Australien, Japan, Chile, Malaysia und Kanada. China und Südkorea haben nur vages Interesse bekundet.

TiSA (Trade in Services Agreement): 23 Staaten und Ländergruppen verhandeln seit 2012 über ein Dienstleistungsabkommen, das über das WTO-Abkommen GATS (General Agreement on Trade in Services) von 1995 hinausgehen soll. USA und EU führen die Gruppe mit dem skurrilen Namen „wirklich gute Freunde“ an.

ISDS (Investor-state-dispute-settlement) Ein Teil vieler Abkommen. Damit Konzerne vor staatlicher Willkür geschützt sind, können sie vor unabhängige Schiedsgerichte ziehen. Das hat zu absurden Klagen geführt, Kritiker lehnen das als „Paralleljustiz“ ab.

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