Warum sich EZB-Chef Draghi die Note "gut" verdient

Ökonom Brunnermeier: "Ohne seine Rede würde es den Euro nicht mehr geben." Die Währung sei aber noch nicht gegen Krisen gefeit.

Am Sonntag wird Mario Draghi 70 Jahre alt. Das Agieren des EZB-Chefs in der Euro-Schuldenkrise habe sich die Note "Gut" verdient, urteilt der deutsche Ökonom Markus Brunnermeier, Professor an der US-Eliteuni Princeton, im Gespräch mit dem KURIER.

Der Grund: Draghi habe mit seiner berühmten Rede in London im Juli 2012 die Gemeinschaftswährung gerettet. Damals überraschte der Italiener die Finanzmärkte mit der Versicherung, die EZB werde "alles Notwendige tun" (Whatever it takes), um den Euro zu erhalten. Das sei der entscheidende Wendepunkt in der Krise gewesen: "Und die Worte waren so vage gewählt, dass die deutsche Seite nicht dagegen klagen konnte."

Die Euro-Architektur sei heute zwar stabiler, vor allem dank der europäischen Bankenaufsicht. Die aktuelle Ruhe könnte aber trügerisch sein, denn es seien noch einige Euro-Baustellen offen:

- Sichere Anleihen

Um zu verhindern, dass Spekulanten Krisenländer in die Pleite treiben können, hat Brunnermeier European Safe Bonds konzipiert ("ESBies"). Die Euroländer sollen dabei einen Teil ihrer Staatsschulden einbringen dürfen, die in ein sicheres und ein spekulatives Wertpapier geteilt würden. Im Krisenfall würden somit nicht deutsche und griechische Papiere gegeneinander ausgespielt, sondern Investoren würden von den riskanten zu den sicheren europäischen Titeln "flüchten".

So intensiv Ökonomen die Idee diskutierten, so rasch war sie politisch vom Tisch. Brunnermeier glaubt aber, dass sich nach den Wahlen in Deutschland ein Zeitfenster für Reformen öffnet. "Sonst müssen wir dafür auf die nächste Krise warten."

- Banken-Teufelskreis

Der Teufelskreis, dass Geldinstitute ganze Staaten in den Abgrund reißen können und umgekehrt, ist nicht durchbrochen: Banken müssen noch immer kein Kapital für mögliche Staatspleiten zur Seite legen.

- Europäischer Währungsfonds

Der Rettungsschirm ESM soll zum Europäischen Währungsfonds ausgebaut werden.

- Kommunikation

Das grundsätzliche Problem des Euro sei, dass Franzosen und Deutsche in der Wirtschaftspolitik aneinander vorbeireden. Bestes Beispiel: Alle sind sich einig, dass ein europäischer Finanzminister über die Währung wachen sollte. "Darunter verstehen nur beide Seiten sehr unterschiedliche Dinge", sagt Brunnermeier: "Die Franzosen erwarten sich ein europäisches Budget, um damit etwas zu finanzieren. Die Deutschen sehen darin einen Aufpasser, der nationale Budgets kontrolliert."

So prallen am Ufer des Rheins ständig ideologische Konzepte aufeinander: Hier der Ruf nach Verantwortung, dort nach Solidarität, hier Sparkurs und Reformen, dort Konjunkturankurbelung und Flexibilität. Typisch deutsche Disziplin und französischer Schlendrian? Sein jüngstes Buch zeigt, dass diese Gegenpole historische Gründe haben, die bis heute wirken.

Regeltreue versus Flexibilität

Fazit: Im deutschen Föderalismus lebt die frühere Kleinstaaterei fort – das Zusammenleben in dieser Vielfalt konnte nur funktionieren, wenn Regeln rigoros befolgt wurden. Deshalb auch der für Außenstehende schwer nachzuvollziehbare Stellenwert des deutschen Bundesverfassungsgerichtes. Die Struktur der Wirtschaft ist ein Abbild der Kleinteiligkeit: Bis heute bilden mittelständische Betriebe das Rückgrat.

In Frankreich hingegen dominieren Großfirmen und nationale Champions. Der Staat ist extrem zentralistisch, greift ohne Zögern ins Wirtschaftsgeschehen ein - dabei gibt es aber Ermessensspielräume, Flexibilität steht über Regeltreue. Diese unterschiedliche politische Struktur spiegelt sich sogar im Eisenbahnnetz wieder: Speichenförmig von Paris aus in Frankreich, netzförmig die Städte verbindend in Deutschland.

Wie wirken sich diese Gegenpole auf die Zukunft des Euro aus? Können Deutschland und Frankreich ihre Differenzen unter einen Hut bringen? Langfristig könne daraus sogar eine Stärke erwachsen, weil Kompromisse nötig seien und keine Seite naiv an Probleme herangehen könne, sagt der Ökonom. "Allerdings funktioniert das nur, solange man nicht rein aneinander vorbei redet. Und es dauert länger, Lösungen zu finden - so viel Zeit geben einem die Finanzmärkte manchmal nicht."

Sinneswandel durch Trump und Brexit

Generell glaubt Brunnermeier, dass das Chaos, das die Trump-Wahl und der Brexit verursacht haben, der gemeinsamen europäischen Idee hilft. "Da hat sich die Einstellung bei Vielen gewandelt: 'Ja, es braucht Europa doch.'"

War er sich als Deutscher eigentlich mit seinen britischen und französischen Co-Autoren immer einig? "Nein", schmunzelt Brunnermeier: "Genau daraus ist die Buchidee ja entstanden."

Warum sich EZB-Chef Draghi die Note "gut" verdient
Markus Brunnermeier
Buchtipp: Markus Brunnermeier, Harold James, Jean-Pierre Landau: Euro. Der Kampf der Wirtschaftskulturen. Beck (erscheint am 27. Jänner 2018, die englische Ausgabe ist bereits verfügbar).

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