VW-Chef Winterkorn tritt zurück

Martin Winterkorn nimmt den Hut
Die Affäre um manipulierte Abgas-Werte hat Konsequenzen. Fehlverhalten will Winterkorn aber nicht zugeben.

VW-Chef Martin Winterkorn tritt wegen des Abgas-Skandals zurück. "Volkswagen braucht einen Neuanfang - auch personell", erklärte der 68-Jährige am Mittwoch im Anschluss an eine Sitzung des engeren Führungszirkels in Wolfsburg. Er habe daher den Aufsichtsrat des weltgrößten Autobauers gebeten, ihn von seinen Aufgaben zu entbinden.

Ein Nachfolger soll in den nächsten Tagen präsentiert werden. Vorschläge zur Neubesetzung (siehe unten) des Chefpostens sollten bis zur Sitzung des Aufsichtsrats am Freitag vorliegen, kündigte das Präsidium an.

Insidern zufolge gehören Porsche-Chef Matthias Müller, Audi-Chef Rupert Stadler und der neue VW-Markenchef Herbert Diess zu den Kandidaten. Müller habe dabei größere Chancen, weil er schon lange bei Volkswagen sei und den Konzern in- und auswendig kenne, sagten zwei Person mit Kenntnis der Beratungen Reuters. Demnach wurden bereits am Dienstagnachmittag Gespräche mit den potentiellen Kandidaten geführt.

Winterkorn "bestürzt und fassungslos"

Winterkorn musste offenbar erst zum Rücktritt bewegt werden. Er tue dies im Interesse des Unternehmens, obwohl er sich keines Fehlverhaltens bewusst sei, erklärte er. "Ich bin bestürzt über das, was in den vergangenen Tagen geschehen ist." Vor allem sei er fassungslos, dass Verfehlungen dieser Tragweite im Volkswagen-Konzern möglich waren.

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Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel sagte, er habe großen Respekt vor Winterkorns Entscheidung. "Er übernimmt die Verantwortung für etwas, was zu einem Zeitpunkt passiert ist, wo er noch gar nicht Vorstandsvorsitzender von Volkswagen war sondern bei Audi." Winterkorn war Anfang 2007 von der VW-Tochter in Ingolstadt an die Konzernspitze in Wolfsburg gewechselt.

Der amtierende Aufsichtsratschef Berthold Huber zollte Winterkorn Respekt für seine Leistungen in den vergangenen Jahren an der Spitze des Zwölf-Marken-Konzerns. "Zugleich sind wir entschlossen, einen glaubwürdigen Neuanfang mit aller Entschiedenheit anzupacken", sagte der frühere IG-Metall-Chef. Winterkorn habe selbst keine Kenntnis von der Manipulation der Abgaswerte gehabt.

Strafanzeige

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, der das Land als VW-Aktionär im Aufsichtsrat vertritt, sagte, das Unternehmen werde gegen die Verantwortlichen Strafanzeige erstatten. Wolfgang Porsche, Vertreter der Eigentümer-Familien, erklärte, die Familien Porsche und Piech stünden weiter zu VW.

Nach Meinung von Analysten war der Rücktritt nicht unvermeidlich: "Winterkorn hat einen guten Job gemacht und hat es nicht verdient, geopfert zu werden", sagte Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler. "Aber bei der Größe des Problems und da er für Entwicklung im Konzern zuständig war, muss man diese Pille auch schlucken, wenn es schief läuft wie jetzt." Marc-René Tonn von M.M. Warburg sagte, es sei wichtig, dass Winterkorn die Verantwortung übernehme, ohne dass ihn eine Schuld treffe. "Entscheidend ist, ob sich der Skandal noch ausweitet und wie viele von den elf Millionen betroffenen Fahrzeugen diese Softwaremanipulation im Einsatz haben."

Der Diesel-Skandal hat inzwischen weltweite Ausmaße angenommen und beschäftigt mehrere Staatsanwaltschaften. Bei internen Untersuchungen wurden bei bis zu elf Millionen Fahrzeugen Unstimmigkeiten in den Messwerten festgestellt. Allein für die Rückrufe und weitere Schritte, um Vertrauen in die VW-Technik zurückzugewinnen, legt der Konzern im dritten Quartal rund 6,5 Milliarden Euro zurück und kappt seine Gewinnziele. Die Aktie verlor massiv an Wert. Seit Bekanntwerden der Abgas-Manipulationen büßte VW bis zu 30 Milliarden Euro seines Börsenwerts ein.

Abgasvorschriften umgangen

Begonnen hat der Skandal in den USA: Die US-Umweltschutzbehörde EPA hat VW nachgewiesen, bei zahlreichen Diesel-Fahrzeugen die Abgasvorschriften vorsätzlich umgangen zu haben. Dort geht es um fast eine halbe Million Autos. Volkswagen droht deshalb eine Strafe von bis zu 18 Mrd. Dollar (16,14 Mrd. Euro).

In den Milliarden-Rückstellungen sind mögliche Strafzahlungen und Schadensersatzansprüche von Anlegern sowie Kosten für die Rücknahme unverkäuflicher Autos noch nicht enthalten. Der Generalstaatsanwalt des Staates New York untersucht den Fall zusammen mit anderen Ermittlungsbehörden. In Braunschweig prüft die Staatsanwaltschaft noch, ob sie gegen Verantwortliche des Konzerns ermitteln soll.

Machtkampf gegen Ferdinand Piech

Im April hatte Winterkorn den Machtkampf gegen Firmenpatriarch Ferdinand Piech gewonnen. Danach ging er daran, den Konzern umzubauen. Die zwölf Marken könnten Insidern zufolge in vier Gruppen zusammengefasst werden, um den Konzern flexibler zu machen sollen. Die Pläne für den Umbau sollen einem Insider zufolge am Freitag Thema im Aufsichtsrat sein.

Unter Winterkorns Leitung wuchs VW in den vergangenen Jahren rasant. Der Umsatz verdoppelte sich fast, der Gewinn verdreifachte sich sogar nahezu. 2014 hatte das Auto-Imperium weltweit erstmals mehr als zehn Millionen Fahrzeuge verkauft. Im ersten Halbjahr 2015 verdrängte Volkswagen den japanische Rivalen Toyota von der Weltmarkspitze. Allerdings lag dies vor allem daran, dass der Absatz von VW langsamer schrumpfte als der von Toyota.

Was wusste Winterkorn?

Offiziell weist er jedes Mitwissen von sich, er ist sich "keines Fehlverhaltens bewusst". Nach außen hin teilt der Aufsichtsrat diese Ansicht. Fraglich ist, ob das Zerwürfnis zwischen Winterkorn und dem VW-Patriarchen Ferdinand Piëch im heurigen Frühjahr auf diese Manipulationen zurückzuführen ist.

Wer könnte Winterkorn nachfolgen?

Aus dem eigenen Konzern gelten Porsche-Chef Matthias Müller (62) und Audi-Chef Rupert Stadler (55) als Favoriten. Außenseiterchancen werden Herbert Diess gegeben. Der 56-Jährige wechselte im Juli von BMW an die Spitze der Kernmarke VW.

Wie viele Autos sind betroffen?

In den USA wurde bei einer halben Mio. Fahrzeugen getrickst. Weltweit sind es elf Millionen. Allerdings sind (bis dato nachgewiesen) nur in den USA die richtigen Messwerte über den dort strengeren Grenzwerten (als etwa in Europa) gelegen.

Mit welchen Kosten muss VW rechnen?

Der Konzern hat zunächst 6,5 Milliarden Euro zur Seite gelegt. Das könnte deutlich zu wenig sein. Schon alleine die Strafe in den USA könnte 18 Mrd. Dollar ausmachen. Hinzu kommen Klagen von Käufern, die den Wert ihrer Fahrzeuge geschmälert sehen, sowie Kosten für mögliche Rückrufe und Umbauten. JP Morgan schätzt die maximalen Kosten auf bis zu 40 Mrd. Euro.

Ist VW damit in seiner Existenz gefährdet?

Nein, der Konzern verfügt über eine gut gefüllte Kriegskasse (zuletzt rund 21 Mrd. Euro). Zudem werden sich Strafzahlungen über Jahre ziehen. Möglich ist aber, dass das Investitionsprogramm von rund 12 Mrd. Euro pro Jahr gekürzt werden muss. Dies hätte natürlich negative Folgen für die Schlagkraft des Konzerns.

Die VW-Aktie ist stark eingebrochen. Geht es noch weiter abwärts?

Am Mittwoch sank die Aktie zunächst auf unter 100 Euro, um später um 7,5 Prozent auf 114 Euro zu steigen. Sollte es aber weitere negative Meldungen geben, halten Experten ein Kursniveau von 90 Euro für denkbar.

Welche Auswirkungen hat der Skandal auf die Verkaufszahlen von VW?

Auf dem für VW schwierigen Markt USA dürfte es einen Einbruch geben. Anderswo könnte VW mit einem blauen Auge davonkommen. Schließlich sind Abgaswerte beim Autokauf eher zweitrangig. Leiden könnten aber auch andere deutsche Hersteller sowie deren Zulieferer (auch aus Österreich), da möglicherweise deutsche Qualität generell in Frage gestellt wird.

Haben auch andere Hersteller getrickst?

Andere Autobauer weisen dies zurück, Branchenkenner vermuten aber sehr wohl Tricks. Die deutsche Regierung weiß laut einem Schreiben an die EU-Kommission laut Reuters bereits seit mindestens einem Jahr von vielfach überhöhten Abgas-Werten bei Diesel-Autos im Realbetrieb. Das EU-Parlament fordert neue Tests unter realen Fahrbedingungen.

Winterkorns Rücktritt war für die Analysten die richtige Entscheidung: Ihre ersten Reaktionen:

Analyst Frank Biller, LBBW:

"Nach den Irritationen der letzten Tagen gab es verstärkt den Wunsch nach einem Neuanfang. Sicherlich wäre das mit dem bestehenden Vorstandsvorsitzendem schwierig geworden." Es stelle sich auch die Frage, hätte er es nicht wissen müssen und stärker hinschauen müssen als CEO. "Das erwartet man von einem Vorstandsvorsitzenden, dass er Verantwortung übernimmt. Nun ist die Chance da für einen Neuanfang und damit ein Zurückgewinnen des Vertrauens in VW." Jetzt müsse man versuchen, das Vertrauen massiv wiederherzustellen.

Analyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler:

"Es sieht so aus, als ob das unvermeidlich war, die Größe dieses Skandals hat keine andere Möglichkeit gelassen. Winterkorn hat einen guten Job gemacht und hat es nicht verdient, geopfert zu werden. Aber bei der Größe des Problems und da er für Entwicklung im Konzern zuständig war, muss man diese Pille auch schlucken, wenn es schiefläuft wie jetzt."

Für einen Neuanfang würde dafür sprechen, dass man jemand von außen nimmt, der sich aber auskennt. Kandidaten sind nach Einschätzung von Pieper: Porsche-Chef Matthias Müller, Audi-Boss Rupert Stadler und VW-Markenchef Herbert Diess.

Marc-René Tonn, Analyst bei M.M. Warburg:

"Das ist der erste einer ganzen Reihe von Schritten. Der Rücktritt kam nicht völlig unerwartet, war aber auch nicht zwingend." Es sei wichtig, dass Winterkorn die Verantwortung übernehme, ohne dass ihn eine Schuld treffe. Auf die Aktie dürften sich die Personalentscheidungen weniger auswirken. "Entscheidend ist, ob sich der Skandal noch ausweitet und wie viele von den elf Millionen betroffenen Fahrzeugen diese Softwaremanipulation im Einsatz haben."

Robert Halver, Kapitalmarktexperte bei der Baader Bank:

"Die Börse hatte fest damit gerechnet, dass Winterkorn zurücktritt, er war angesichts dieses Skandals nicht mehr im Amt zu halten." Daher habe die Aktie nicht so heftig reagiert. Der Rückzug sei der erste Schritt, um die Affäre aufzuklären - das sei positiv. "Andererseits verliert VW in Winterkorn einen Topmanager, der Benzin im Blut hatte." Nun warte der Markt gespannt auf seinen Nachfolger. "Aber da ist mir nicht bange, es gibt in Deutschland einige fähige Automanager."

VW-Chef Winterkorn tritt zurück
Konzernmarken, Aktionäre, Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzender Grafik 1094-15-VW.ai, Format 88 x 166 mm

Als Kandidaten für die Nachfolge von VW-Chef Martin Winterkorn werden folgende Topmanager gehandelt.

Herbert Diess:

VW-Chef Winterkorn tritt zurück
Chairman of Volkswagen Passenger Cars Dr. Herbert Diess poses for a photo as he presents the new Volkswagen Tiguan GTE during the media day at the Frankfurt Motor Show (IAA) in Frankfurt, Germany September 15, 2015. REUTERS/Ralph Orlowski

Der Chef der Hausmarke VW Pkw gilt als Routinier und in Aufsichtsratskreisen als einer der Top-Favoriten. Er trat seinen Job erst im Juli an, nachdem ihn VW von BMW abgeworben hatte. Ohne den Abgas-Skandal, wäre das für Diess im Rennen um die Nachfolge Winterkorns möglicherweise ein Nachteil gewesen. Nun könnte es sich als Pluspunkt erweisen. Bei den Münchnern leitete er zuletzt im Vorstand den Entwicklungsbereich, zuvor war er für den Einkauf zuständig und gilt als knallharter Kostendrücker. Der 56-Jährige soll die renditeschwache Pkw-Kernmarke bei Volkswagen wieder aufpolieren. Der studierte Maschinenbauer muss sich dabei mit dem mächtigen VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh gut stellen. Zwar wirkt Diess auf den ersten Blick recht unscheinbar, hat aber als Maschinenbauer und promovierter Fertigungstechniker den fachlichen Hintergrund zum Produktionsmanager - und erfüllt so eine Bedingung Osterlohs, der stets für einen Techniker an der Spitze eingetreten ist.

Matthias Müller:

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CEO of German carmaker Porsche Matthias Mueller (2R) and CFO Lutz Meschke attend the 2014 results news conference in Stuttgart, March 13, 2015. REUTERS/Ralph Orlowski (GERMANY - Tags: TRANSPORT BUSINESS)

Der Porsche-Chef wird vor allem in den Medien vielfach als Favorit für die Nachfolge genannt. Er arbeitet seit Jahren eng mit Winterkorn zusammen. Der 62-Jährige ist als besonnener, aber zugleich zupackender Manager bekannt, der auch mal Kante zeigen kann. In der Autobranche hat er den Ruf eines exzellenten Produktstrategen. Der im sächsischen Chemnitz geborene und in Bayern aufgewachsene Manager kennt nicht nur den Sport- und Geländewagenbauer Porsche, sondern weiß auch, wie Audi und VW in ihren Produktplanungen ticken. Der gelernte Werkzeugmacher und Informatiker leitete von 2003 bis 2007 das Produktmanagement der Audi-Marken. Anschließend folgte er seinem Chef Winterkorn in gleicher Funktion nach Wolfsburg. Den Posten als Porsche-Chef übernahm Müller im Herbst 2010 nach der Übernahmeschlacht zwischen Porsche und VW.

VW-Chef Winterkorn tritt zurück
Volkswagen Member of the Board of Management Andreas Renschler addresses the annual news conference in Berlin March 12, 2015. REUTERS/Fabrizio Bensch (GERMANY - Tags: TRANSPORT BUSINESS)
Andreas Renschler:

Der 57-jährige Nutzfahrzeugchef des VW-Konzerns kam erst im Februar vom Mitbewerber Daimler zu VW. Sein Plus ist sein Bemühen, einen guten Draht zum Betriebsrat aufzubauen. Beobachter bescheinigen dem gebürtigen Stuttgarter eine bodenständige Art und bezeichnen ihn als hervorragenden Strategen. Während seiner Zeit bei Daimler baute er unter anderem das erste Auslandswerk von Mercedes-Benz in den USA auf. Bei Daimler war der schwäbische Bauernsohn vor seinem überraschenden Abgang ein echtes Urgestein: Bereits 1988 nach seinem BWL-Studium in Tübingen startete er seine Karriere bei dem Autobauer - damals noch im Bereich Organisation und EDV im Werk Sindelfingen.

Rupert Stadler:

Als Kronprinz gilt auch schon lange der 52-jährige Audi-Chef Rupert Stadler. Sein Aufstieg im Konzern begann 1997 als Büroleiter des damaligen VW-Chefs Piech. Bei Audi übernahm er 2003 zunächst das Finanzressort und rückte 2007 an die Spitze der Premiumtochter, die zusammen mit Porsche den Löwenanteil zum Konzerngewinn beiträgt. Unter seiner Führung hat Audi als zweitgrößter Premiumhersteller weltweit aber damit zu kämpfen, vom Platzhirsch BMW in den Schatten gestellt zu werden. Zuletzt wurde Stadler als Nachfolger von VW-Finanzchef Hans Dieter Pötsch gehandelt, der neuer Aufsichtsratschef von VW werden soll. Dass Stadler Winterkorn beerben könnte, bezweifeln manche Experten allerdings mit dem Hinweis auf die VW-Tradition, wonach ein Ingenieur an der Spitze des Konzerns stehen muss. Stadler ist Betriebswirt.

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