Vor EU-Gipfel liegen die Nerven blank

Vor EU-Gipfel liegen die Nerven blank
Die Staats- und Regierungschefs streiten vor dem Treffen Donnerstagabend in Brüssel über Änderungen des EU-Vertrages. Die sind dringend nötig, um die Märkte zu beruhigen.

Donnerstagabend kommen die 27 Staats- und Regierungschefs zu ihrem 15. Gipfeltreffen in eineinhalb Jahren in Brüssel an.

 

Die Nervosität ist jetzt schon sehr groß, es geht um alles oder nichts. Schaffen die Staatenlenker Beschlüsse, die so stark sind, um als Firewall gegen die Ausbreitung der Schuldenkrise zu wirken, oder schaffen sie es nicht – das ist die Frage. Eines ist klar: Die ganze Europäische Union und ihre Politiker stehen unter Beobachtung der Ratingagenturen und der internationalen Finanzmärkte.

Vor EU-Gipfel liegen die Nerven blank

Das Diner im Ratsgebäude – so exquisit es sein mag – wird den EU-Granden vermutlich nicht schmecken. Zu groß und deftig sind die inhaltlichen Brocken, die Ratspräsident Herman Van Rompuy, Gastgeber und Koordinator, den 27 Regierungen vorgelegt hat.

 

Konkret geht es um zwei Optionen, wie die Schuldenkrise bekämpft und die Budgetdisziplin dauerhaft garantiert werden kann. Dass die entscheidenden Punkte noch nicht geklärt sind, zeigt ein Faksimile mit vielen offenen Punkten.

 

Anders als der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die eine große Änderung des Vertrages von Lissabon wollen, kann sich Van Rompuy auch eine Ergänzung des Protokolls Nummer 12 des Lissabon-Vertrages vorstellen. Die Ergänzung zielt auf die Euro-Staaten ab und soll die Selbstverpflichtung der Mitglieder stärken, ihre Haushalte zu sanieren, eisern zu sparen und die Defizite abzubauen.

 

Die Vertragsreform bezeichnen Europarechts-Experten als „Minimalvariante“, die keine Referenden erfordert, weil es keine große Vertragsänderung ist.

Entmachtung

Der Ratspräsident fällt damit Merkel und Sarkozy in den Rücken. Beide wollen eine Vertragsänderung mit automatischen Sanktionen gegen Schuldensünder und eine Kontrolle der Haushaltsdisziplin aller Euro-Länder durch den Europäischen Gerichtshof. Das käme einer Entmachtung der nationalen Parlamente gleich und würde das Durchgriffsrecht des Währungskommissars auf nationale Budgets ermöglichen.

 

Van Rompuy verfolgt einen pragmatischen Ansatz. Der Grund für diese Van Rompuy’sche Flexibilität ist die Fundamental-Opposition gegen jede Vertragsreform, die vom britischen Premier David Cameron ausgeht. Der Tory-Politiker lehnt jede Reform ab. Sollten seine Amtskollegen vom Kontinent eine solche vorschlagen, dann will er „zur Rettung britischer Interessen“ etliche Ausnahmeregelungen (Opting-out-Klauseln) für das Königreich verlangen: für das EU-Sozialprotokoll und für alle Bestimmungen des Binnenmarktes, des Herzstücks der EU.

 

Faule Kompromisse

Um ein Vorangehen der EU nicht am britischen Veto scheitern zu lassen, fasst Van Rompuy die Protokoll-Änderung ins Auge. In Berlin löst das aber Entsetzen aus. In deutschen Regierungskreisen wurde im Vorfeld des EU-Gipfels bereits von „Pessimismus“ gesprochen und vor „faulen Kompromissen“ gewarnt. „Wir fordern eine klare Entscheidung am EU-Gipfel“, heißt es in Berlin.

 

Merkel und Sarkozy gehen vom schwierigsten Gipfel ihrer Amtszeit aus. In Paris und Berlin wird von „nach hinten offenen Verhandlungen“ gesprochen. Im Klartext heißt das, die Regierungschefs werden Nachtschichten einlegen. Noch vor dem Abendessen treffen Merkel und Sarkozy führende Vertreter der Eurozone: den Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, Ratspräsident Van Rompuy, Kommissionschef José Manuel Barroso und Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker.

Schutzwall

Bundeskanzler Werner Faymann dämpfte ebenfalls die Erwartungen auf einen „allumfassenden Schutzwall für die Euro-Zone vor Spekulanten“. Dafür wären weitreichende Vertragsänderungen nötig, die es „diese Woche nicht geben wird“, sagte der Bundeskanzler am Mittwoch im Hauptausschuss des Parlaments.

 

Faymann verlangt eine rasche Koordinierung der Finanz- und Wirtschaftspolitik auf „freiwilliger Basis“ und Schuldenbremsen, die für die Einhaltung der Maastricht-Kriterien sorgen. Der Kanzler plädierte dafür, dass die Maßnahmen von möglichst allen 27 Mitgliedern mitgetragen werden. Er sei aber auch für Lösungsvarianten außerhalb der EU-27 offen.

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