Vom Asylwerber zum Musterlehrling

Kopfwäsche für den Chef: Bei Herrenschnitten ist Lehrling Amin ein Profi, an Damenfrisuren muss er sich noch herantasten.
Die Geschichte von Amin oder wie in Österreich die Integration in den Arbeitsmarkt klappen kann.

Welcher Lehrling kann heute noch rasieren? Mit dem Messer in der Hand beginnt das große Zittern. Nicht so bei Amin. "Für ihn ist das wie Butterbrot schmieren", lobt Friseurmeister Jonny den 19-jährigen Syrer. Kein Wunder. Mohammad Amin Ali tut einfach das, was er immer schon getan hat: Haare schneiden und rasieren. Als Jugendlicher in Syrien hat er begonnen und seither nie aufgehört: "Ich hab’ hier einfach weitergeschnitten." Schon in der Flüchtlingsunterkunft in Hirtenberg (NÖ), wo Amin zwei Jahre lang wohnte, widmete er sich der Haarpflege seiner 45 Mitbewohner.

Aleppo-Moskau-Wien

In Österreich ist Amin vor gut drei Jahren gelandet. AleppoMoskauWien lautete die Flugroute, ermöglicht durch einen Schlepper und viel Geld. Eigentlich hätte er nach Deutschland wollen, wo Verwandte lebten. Unmöglich, dieses Ticket zu besorgen, habe der Schlepper signalisiert. Wien, das ging – wie, weiß Amin selbst nicht.

Einige Freunde aus Syrien nahmen jetzt den gefährlichen Weg mit Booten über das Mittelmeer. "Wirklich schlimm." Er kennt diese Geschichten gut, viel mehr sagt er dazu aber nicht. Außer, dass er es einfach gehabt habe. Einfach. Mit 16 Jahren allein in einer fremden Stadt.

In Syrien war es für Amin zu gefährlich geworden. "Bei einer Demonstration hat mich die Polizei aufgegriffen und ins Gefängnis gesteckt", erzählt der junge Kurde. Die Eltern beschlossen, ihn nach Europa zu schicken: "Wir waren eher reich. Mein Vater hatte Geschäfte; ein Restaurant, eine Trafik."

Akuter Lehrlingsmangel

In Österreich holte Amin den Pflichtschulabschluss nach, er spricht heute fast fehlerlos Deutsch. Seit etwa zwei Jahren ist er als Flüchtling anerkannt. Die Lehrstellensuche war trotzdem mühsam, mithilfe des Vereins lobby16 hat es geklappt: Anruf bei Parkring City Coiffeur, vorgestellt, eingestellt. Für seinen Lehrherrn Jonny ein Glücksfall: "Wir finden momentan überhaupt keine Lehrlinge." Friseur ist ein sogenannter Mangelberuf, bestätigt das AMS Wien. 162 offene Lehrstellen sind gemeldet, so viele wie für keinen anderen Beruf.

Warum sind dann so viele junge Leute ohne Lehrstelle? "Ein Problem unserer Gesellschaft", sagt der Friseurmeister. Ambitionierten Jugendlichen stünden alle Wege offen, die meisten wollten aber studieren. Viele, die das AMS schickt, erscheinen nie. Oder geben auf: "Das viele Stehen, die Dämpfe, der Haarstaub. Das unterschätzen viele."

Kultureller Unterschied

Amin, Fatima, Jenny, Nico, Hassan: Die Lehrlinge in dem Salon, der sich in einem noblen Wiener Innenstadt-Hotel befindet, sind aus Syrien, Nepal, Tschetschenien und, ganz "exotisch", Bruck an der Leitha. Die Kulturvielfalt ist hier aber kein großes Thema. Sprachprobleme gibt es nicht – oder ständig, je nach Sichtweise.

"Die Lehrlinge sprechen alle Sprachen, aber alles nur ein bissl", sagt der Chef amüsiert. Das trifft sich, denn bei den Hotelgästen unter den Kunden ist es auch nicht anders. Gröbere Probleme gab es nur einmal – ein Missverständnis, just mit einem Araber. Auch dessen Frisur konnte gerettet werden.Einzig bei den Damenfrisuren kennt Amin noch "ein bisserl Berührungsängste". Zu wenig Übung, sagt der Lehrling. Gesellschaftlich anerzogen, sagt sein Chef. In Syrien bedienen nur wenige Friseure Männer und Frauen. Und wenn, dann strikt getrennt. Amin tastet sich also heran – mit Haarewaschen.

Mittlerweile ist auch die Familie in Wien. Die drei Geschwister gehen zur Schule, die Eltern lernen Deutsch. Der Vater, erst 42 Jahre alt, will wieder ein Restaurant führen. Und Amin? "Ziel ist die Meisterprüfung, dann selbstständig machen." Sein Chef lächelt: "Wir brauchen eh einmal Nachfolger."

Hürden

Anerkannte Flüchtlinge (wie Amin) sind bei der Jobsuche Österreichern gleichgestellt. Asylwerber, deren Verfahren läuft, haben es schwerer. Zwar steht ihnen bis 25 Jahre die Lehre für Berufe mit Lehrlingsmangel offen.

Beim AMS Wien stehen auf dieser Liste viele Handelslehrberufe, aber etwa auch Friseur/Friseurin, Koch/Köchin oder Stahlbautechnik. Aber: Asylwerber brauchen eine AMS-Bewilligung – österreichweit wurden 2015 bis Ende August 51 für Lehrlinge erteilt, davon 6 beim AMS Wien. Lehrlingsbestand aktuell unter Asylwerbern: 107 österreichweit, 25 in Wien.

Im Zuge des Integrationspakets soll jetzt die Lehre in allen Berufen mit Fachkräftemangel ermöglicht werden. Schwerpunk: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

Das Problem für Arbeitgeber: Ob die Lehre beendet werden kann, ist ungewiss. Seit Juli steht im Gesetz, dass ein Lehrverhältnis bei negativem Asylbescheid vorzeitig endet.

Erfahrung mit jungen Flüchtlingen hat Porr bereits. Vier Afghanen – allesamt anerkannte Asylwerber – beschäftigt der Baukonzern bereits als Lehrlinge. „Das sind tolle Burschen, hochmotiviert, leistungsbereit und sehr gut“, ist Porr-Chef Karl-Heinz Strauss voll des Lobes.

Aufgrund der aktuellen Flüchtlingswelle hat er sich entschlossen, zehn zusätzliche Lehrstellen anzubieten, die er in Wien über den Verein lobby16 und in Niederösterreich über das AMS zu finden hofft. „Es zeigt sich aber, dass das gar nicht so einfach ist“, sagt Strauss. Vor allem in den Bundesländern außerhalb Wiens gebe es keine klare Kompetenzverteilung. „Wir werden von einer Stelle an die nächste verwiesen, zumal die Lehrlinge ja anerkannte Flüchtlinge sein müssen“, betont er. Dennoch hofft Strauss, dass er es schafft, einigen dieser Jugendlichen neue Perspektiven bieten zu können.

Auch die ÖBB haben viele junge anerkannte Flüchtlinge als Lehrlinge aufgenommen. Insgesamt 120 Jugendliche, die nicht Österreicher seien, hätten bei der ÖBB eine Lehrstelle bekommen, erklärt ÖBB-Chef Christian Kern.

„PR-Gag“

Andere große heimische Unternehmen sind zurückhaltender bei der Beschäftigung der jungen anerkannten Flüchtlinge. Die voestalpine überlegt derzeit noch, wie sie diese Jugendlichen unterstützen könne. Beschlüsse gebe es noch keine, betont ein Sprecher der Voest. Von Aktionen wie jene des deutschen Daimler-Chefs Dieter Zetsche, der in Flüchtlingsunterkünften sich nach qualifizierten Mitarbeitern umsieht, halten heimische Industrielle wenig. Sie sehen das eher als PR-Gag. Realistisch gesehen, dauere es viele Monate, bis Flüchtlinge fähig seien, hier eine qualifizierte Arbeit zu übernehmen.

Arbeitserlaubnis "von Anfang an": So human der Juncker-Vorschlag klingen mag, so wenig durchdacht ist er in der Praxis. Die Frage ist nicht, ob Asylwerber arbeiten dürfen, sondern welche Arbeit kann von Flüchtlingen, die soeben in Freiheit angekommen sind, meist nur Pflichtschulabschluss haben und kein Deutsch sprechen, überhaupt geleistet werden? Und zu welchen Bedingungen? Dem AMS bleiben im hoch kompetitiven Arbeitsmarkt jetzt schon die Ungelernten über, die Langzeitarbeitslosigkeit steigt.

Es kann nicht Ziel der Arbeitsmarktpolitik sein, Menschen um jeden Preis in prekäre, mies bezahlte Tagelöhner-Jobs zu drängen und damit die Mindeststandards aller in der Branche Beschäftigten nach unten zu drücken. Viel vernünftiger klingt die Idee eines Integrationsjahres bei Hilfsorganisationen, um einerseits dort zu arbeiten und andererseits Sprache und Qualifikationen zu erwerben.

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