Verbund-Chef: "Billigen Atomstrom gibt es nicht"

Verbund-Chef: "Billigen Atomstrom gibt es nicht"
Wolfgang Anzengruber kontert die Vorwürfe, der Verbund mache mit Atomstrom-Handel sprudelnde Gewinne.

Im Zuge der Kernkraft-Debatte hatten sich NGOs und die Grünen zuletzt auf den Wasserkraft-Konzern eingeschossen. Der Verbund-Boss ist um Sachlichkeit bemüht.

KURIER: Eigentlich ist der Verbund ja Österreichs größter Wasserkraft-Produzent. Jetzt wird ihm aber mehr und mehr das Mascherl des größten Atomkonzerns des Landes umgehängt. Was läuft da schief?
Wolfgang Anzengruber: Man hat halt immer den Größten im Visier. Aber die ganze Diskussion beruht auf Mutmaßungen und Polemik, und nicht auf Fakten. Das Thema Strom ist leider nicht so einfach, dass man es in einem Satz erklären kann. Aber man kann leicht in einem Satz dagegen sein. Das ist so ähnlich wie bei Griechenland. Faktum ist: Der Verbund ist kein Strom-Importeur a priori, sondern Produzent. Lediglich zwei Prozent des nach Österreich importierten Stroms entfällt auf den Verbund.

Dreiviertel der Österreicher sind laut Umfragen für ein generelles Import-Verbot von Atomstrom...
Ich bin kein Fan der Kernkraft. Aber von heute auf morgen kann man nicht alle AKW abschalten, das dauert mindestens noch 30 Jahre. Wichtig ist, dass bei der Diskussion Statistik und Physik nicht vermengt werden. Wir können die Physik nicht biegen. So lange Atomkraftwerke in Europa arbeiten, so lange wird es im Netz Atomstrom geben. Da gibt es keine Filter. Physikalisch ginge es nur, wenn wir alle grenzüberschreitenden Leitungen kappen.

Mit welcher Konsequenz?
Ganz abgesehen von erheblichen Problemen für die Versorgungssicherheit, würden die Strompreise massiv steigen. Denn man müsste jene 20 Terawattstunden (TWh) pro Jahr, die in Österreich wegen jahreszeitbedingter Produktionsschwankungen importiert werden - immerhin fast 30 Prozent des heimischen Verbrauchs -, durch neue Kraftwerke abdecken. Wir sprechen hier von 20 zusätzlichen Donaukraftwerken.

Österreich importiert rund sieben TWh aus Tschechien. Gibt es, wie NGOs behaupten, direkte Stromlieferverträge des Verbund mit tschechischen AKW-Betreibern?
Nein, natürlich nicht. Strom ist kein Produkt, dass in bilateralen Verträgen gehandelt wird. Die gesamte Jahres-Importmenge des Verbund aus Tschechien beträgt gerade einmal 0,008 TWh. Wer den Rest importiert, das weiß ich nicht. Das Übertragungsnetz steht so wie Straßen ja allen offen.

Der gesamte Stromabsatz des Verbund betrug 2010 rund 56 TWh. Die Eigenerzeugung belief sich lediglich auf etwas mehr als die Hälfte. Woher stammt der Rest?
Wir sprechen hier von Handelsvolumina, die Österreich nie erreichen. Am Heimmarkt verkaufen wir ja nicht einmal so viel Strom, wie wir selber erzeugen. Der Verbund ist ein internationales Unternehmen. Wir kaufen und verkaufen Strom an der Börse und beliefern auch Kunden außerhalb Österreichs, so wie alle anderen auch. In Europa wird mittlerweile eine vielfache Menge des Strombedarfs gehandelt.

Laut E-Control hat die Verbund-Tochter Austrian Power Sales, die Industriekunden beliefert, einen rechnerischen Atomstromanteil von rund 25 Prozent...
Zu dieser verkürzten Darstellung kommt es, weil unser gesamtes Handelsvolumen herangezogen wird und nicht nur jenes für den österreichischen Markt. Unser Produktionsmix ist zwölf Prozent thermisch, fast 90 Prozent ist Wasserkraft.

Würde es dem Verbund nicht gut anstehen, auch die Industriekunden 100 Prozent "grün" zu beliefern - sprich die entsprechenden Zertifikate zu kaufen?
Erstens wollen Kunden Wahlfreiheit. Und zweitens wäre das Etikettenschwindel. Wenn man zu einem anderen Erzeuger geht, ihm seine Grünstrom-Zertifikate abkauft und diese auf den eigenen, z. B. fossilen Strom "klebt", dann verdeckt man doch nur den eigenen Erzeugungsmix. Wir setzen uns für ein anderes System ein: Es wäre viel transparenter, wenn jeder Erzeuger in Europa seinen Strom nach dem eigenen Produktionsmix - Wasser, Kohle, Atom, Wind - zertifizieren muss. Dann könnten sich für diese Produkte auch unterschiedliche Preise bilden, und der Kunde könnte gezielt darauf reagieren und ganz konkret sagen: "Jetzt kauf' ich Atomstrom. Oder aber Wasserkraft." Die Verbund-Wasserkraft ist bereits zu 100 Prozent zertifiziert.

Was entgegnen Sie Kritikern, die monieren, die Verbund-Speicherkraftwerke waschen lediglich billigen Atomstrom sauber?
Billigen Atomstrom gibt es nicht. Strom, egal aus welcher Erzeugung, hat nur einen Preis, gebildet an der Strombörse. Aber zur Erklärung: Wenn wir, um das Wasser in die Speicher zu pumpen, Strom aus dem Ausland zukaufen würden, was wir praktisch nicht tun, dann könnten wir diesen Strom sogenannter "unbekannter Herkunft" gar nicht reinwaschen. Denn der Strom, den wir daraus im Pumpspeicherkraftwerk erzeugen würden, wäre per Definition keine Wasserkraft, sondern nach wie vor Strom "unbekannter Herkunft".

Zur Person: Wolfgang Anzengruber

Karriere Der 55-jährige Oberösterreicher studierte an der TU Wien Maschinenbau und Betriebswirtschaft. Seinen ersten großen Karrieresprung schaffte Wolfgang Anzengruber 1993, als er in den Vorstand der ABB Energie AG einzog. Nach Gastspielen bei den Salzburger Stadtwerken und der Salzburg AG, stand er ab 2003 dem Kranhersteller Palfinger vor. Seit 2009 leitet der verheiratete Vater dreier Kinder den Verbund. Sportlichen Ausgleich findet er beim Bergwandern und Joggen.

Konzern Der halbstaatliche Verbund ist Österreichs größter Stromkonzern. Er verfügt über 123 Wasserkraftwerke und jeweils drei Wärmekraftwerke bzw. Windparks. Die Stromerzeugung betrug im Vorjahr 31,1 Terawattstunden. 2010 setzte das börsenotierte Unternehmen mit 3000 Mitarbeitern 3,3 Milliarden Euro um und erwirtschaftete einen Gewinn von 400 Millionen Euro. Über internationale Beteiligungen ist der Verbund auch in der Türkei, in Italien, Frankreich und Albanien tätig.

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