Veranstalter erhöhen Budgets für Security

Publikum vor der Ö3-Bühne
Terrorangst stellt Sicherheitsbranche vor neue Herausforderungen.

Headbangen beim Nova Rock, abtanzen beim Frequency, die Stones live erleben – am 16. September auf dem Red Bull Ring, Spielberg. Österreich ist ein Land der Feste, Festivals und Konzerte. Eine enorme Herausforderung für Veranstalter – mehr denn je. Die Angst vor Terror ist nach Ereignissen wie dem Selbstmordattentat beim Konzert der Popsängerin Ariana Grande in Manchester oder in Barcelona stets präsent, daher wird intensiv über Sicherheitsmaßnahmen nachgedacht. Videoüberwachung ist bei vielen Events längst Standard – wie beim Donauinselfest 2017, wo neben 1000 Beamte rund 600 private Securitys im Einsatz waren. Dazu kommen Checks am Eingang und individuelle Maßnahmen, je nach Risikoanalyse. Was das für private Sicherheitsunternehmen bedeutet, und welchen Problemen sich die Branche derzeit stellen muss, erzählt Martin Wiesinger, Geschäftsführer des Sicherheitsunternehmens Securitas und Vorstandsmitglied des Verbands der Sicherheitsunternehmen Österreichs (VSÖ) im Gespräch mit dem KURIER.

Veranstalter erhöhen Budgets für Security
Interview mit VSÖ-Vorstand Martin Wiesinger in seinem Büro. Wien, 02.08.2017

KURIER: Das Bedürfnis nach Sicherheit bei Veranstaltungen steigt. Wie macht sich das bemerkbar?

Martin Wiesinger: Die Branche wächst – jährlich um rund sechs Prozent. Andererseits sind aber die Erträge nach wie vor gering, was daran liegt, dass es etwa 400 Anbieter gibt und sich sehr viele davon nicht an die Rahmenbedingungen halten, die die Gesetzgebung vorgibt. Das bedeutet viele nicht angemeldete Mitarbeiter oder welche mit Werkvertrag, was rechtlich nicht möglich ist, aber so wird die Sozialversicherung umgangen. Auf diese Weise entsteht ein großer Preisdruck im Markt. Der Wettbewerb ist leider weiterhin schmutzig.

Schmutzig... ?

Ja. Ein Beispiel: Wir bieten für eine Veranstaltung an, mit – selbstverständlich angestellten – Mitarbeitern zu arbeiten, die sicherheitsüberprüft, uniformiert, ausgebildet sind. Der Konkurrent setzt sechs, sieben Supervisoren aus seinem Personalstand ein, und sonst 400 Arbeitskräfte aus der Slowakei. Diese werden über Eventagenturen mit Bussen angekarrt, vielleicht nicht nach dem österreichischen Gesetz bezahlt, geschweige denn, dass Lohnnebenkosten gezahlt werden. Da wird die Geschichte unfair, da sind wir klar im unlauteren Wettbewerb.

Wie hat sich die Branche insgesamt verändert?

Auf der Kundenseite merken wir gestiegene Nervosität und eine zum Teil irrationale Nachfrage. Die aber, wenn man näher hinschaut, rational wird. Es geht um die Idee, jedenfalls vorgesorgt zu haben. Wir sehen bei vielen Kunden, dass sie mehr über Sicherheit nachdenken. Damit tun wir uns, da wir Lösungsanbieter sind, leichter, ein durchdachtes Sicherheitskonzept, eine Sicherheitslösung anzubieten. Es gibt in dieser sehr Mitarbeiter-orientierten Branche allerdings nur wenige, die in der Lage sind, Lösungen anzubieten.

Was waren Ihre größten Projekte ?

Der Song Contest 2015 war eine Mega-Geschichte für uns. Unser Unternehmen ist außerdem für die Sicherheit vieler Fußball-Bundesligavereine zuständig, seit 20 Jahren sind wir für den österreichischen Fußballbund tätig. Wir liefern Sicherheitsdienste für Spielberg, wir betreuen Eishockeyvereine. Das größte Event, das ich selbst betreut habe, war die EURO 2008. Da haben wir mit etwa 3.500 Sicherheitskräften gearbeitet. Wie bereitet man sich da vor?

Vor jeder Veranstaltung gibt es Einsatzbesprechungen. Dabei sitzen vorab alle Sicherheitsorganisationen zusammen – von Rettung bis Feuerwehr, Sicherheitsdienst und Polizei. Die Veranstaltung wird analysiert und ein Konzept erarbeitet. Bei einem Fußballstadion kann man auf verschiedenen Sicherheitsstufen planen – je nachdem, welcher Gegner kommt oder ob es andere Bedrohungslagen gibt. Dementsprechend adaptieren wir die Manpower-Leistung, die Videoanalyse dahinter, die Anzahl der Zutrittskontrollen und die Genauigkeit.

Ein enormer Aufwand.

Eine Großveranstaltung sicherheitstechnisch zu betreuen, heißt, Hunderte Mitarbeiter gleichzeitig im Einsatz zu haben. Bei einem Ländermatch sind das schnell mehr als 700 Personen. Hier braucht es eine geeignete Struktur. Aber auch laufende Schulungen dahingehend, dass jeder weiß, was zu tun ist. Dabei ist es wichtig, gewisse Themen in die Köpfe der Ordner zu bringen, etwa, was Terrorismus-Awareness heißt. Es gibt einfache Dinge, auf die man achten kann und soll. Deshalb ist es besonders wichtig, dass alle Führungskräfte ein entsprechendes Sensibilisierungstraining absolvieren. Wir bieten das an. Damit wird man nicht zum Terrorbekämpfer, aber es geht um Wahrnehmung und Prävention.

Ihre Mitarbeiter kommen oft in sensible Bereiche, was das Recruiting schwierig macht?

Richtig. Da ist Österreich in Europa aber leider Schlusslicht, weil wir eine Gewerbeordnung haben, in der in Bezug auf Mitarbeiter nur folgendes gefordert ist: Sie müssen volljährig, sicherheitsüberprüft und geeignet sein. Dennoch arbeiten immer wieder Minderjährige in der Branche, die Sicherheitsüberprüfung findet im Veranstaltungsdienst häufig gar nicht statt. Zum Thema "geeignet": Wenn es keine Definition gibt, was geeignet im Detail bedeutet, ist das ein zahnloser Begriff. Da gibt es keine verbindlichen Richtlinien. Deshalb kämpfen der Verband der Sicherheitsunternehmen und ich seit Langem dafür, dass wir ein Bewachergesetz oder eine Gewerberechtsnovelle bekommen. Eine entsprechende Regelung ist im Grunde politisch paktiert, zieht sich derzeit aber aufgrund der politischen Situation. Wir warten dringend auf eine gesetzliche Regelung, in der verbindliche Ausbildungsrichtlinien und eine Ausweistragepflicht festgelegt werden. Wir fordern, dass jeder Mensch, der für eine Sicherheitsfirma tätig ist und eine Uniform trägt, ein Mindestmaß an Ausbildung mitbringen muss. Diesen Level müssen wir in die österreichische Branche bringen, das ist unumgänglich.

Sie arbeiten gut und intensiv mit der Exekutive zusammen?

Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir in Österreich eine gute Zusammenarbeit haben. In vielen Ländern werden Sicherheitsdienste als Bedrohung für die Exekutive gesehen. Das ist in Österreich nicht der Fall. Voraussetzung dafür ist unter anderem, dass wir Sicherheitsanbieter klar wissen, wie weit wir gehen können und dürfen. Denn wenn Sicherheitsorgane privater Sicherheitsdienstleister nicht gut genug geschult sind, besteht die Gefahr, dass sie über das Ziel hinausschießen und meinen, sie müssten die Welt retten. Wir sind aber nicht da, um die Welt zu retten. Wir sind vor allem da, um präventiv tätig zu sein.

Die hundertprozentige Sicherheit war und bleibt eine Illusion?

Wir müssen verstehen, dass wir in einer höheren Risikosituation leben als noch vor zehn Jahren, das Risiko in Österreich aber immer noch niedrig ist. Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht, es bleibt immer ein Restrisiko.

Einfach nur ein Hindernis aufzustellen, kann fatal enden, weil der Fluchtweg fehlt„Die Sensibilität hat sich seit Paris verändert – ein bis dahin bereits hoher internationaler Standard erfuhr ein weiteres Upgrade. Das Aufstocken von Kontrollpositionen ist selbstverständlich“, sagt Ewald Tatar von Barracuda Music GmbH. Er veranstaltet das Konzert der Stones in Spielberg, mit 90.000 Besuchern. ,Die Nervosität merken zwei weitere Player aus dem Bereich Veranstaltungssicherheit. Herbert „Hank“ Wagner – Ex-Kriminalbeamter, nun zertifizierter Risikomanager – ist für die Sicherheit vieler Events verantwortlich, auch für das Stones-Konzert. Alexander Kollaritsch, Geschäftsführer des Event- und Securityconsultings „4mation“ arbeitet seit 26 Jahren im Bereich Veranstaltungssicherheit. Er sagt: „Die neue Lage fördert unser Business, wobei das tatsächliche und das – durch soziale Medien angeheizte – Risiko zwei Paar Schuhe sind“.

Da braucht es kühlen Kopf. „Die Gefahren bei solchen Veranstaltungen sind vielschichtig. Es wäre ein Fehler, ein einziges Risiko zu identifizieren und nur im Hinblick darauf Maßnahmen zu setzen“, sagt Wagner. Und spielt auf Fahrzeuge an, die – wie zuletzt in Barcelona – in Menschenmassen gelenkt wurden. „Da um jeden Preis Hindernisse aufzustellen, kann kontraproduktiv sein, wenn andere Gefahren schlagend werden und die Menschen nicht flüchten können“, sagt er. Eine fundierte Risikoanalyse sei wichtig, um zu schauen, mit welchen Gefahren tatsächlich zu rechnen ist. Viele Parameter müssen berücksichtigt werden – von der Art der Veranstaltung über Besucherzahlen bis hin zu Risiken wie Menschenbewegungen bei Ansturm, Unwetter, Panik.

In die gleiche Kerbe schlägt Kollaritsch: „Die Nachfrage nach guten Sicherheitskonzepten ist seit den Vorfällen bei der Loveparade in Duisburg 2010 gestiegen“, sagt er. Bei dem Unglück kamen 21 Menschen ums Leben, 541 wurden schwer verletzt. Der Vorfall, missverständlich oft als „Massenpanik“ beschrieben, geschah an einer Engstelle. Durch fehlgeleitete Besucherströme und Planungsfehler kam es zu einem Gedränge. Hier kritisiert Kollaritsch das österreichische Gesetz: „Wenn es eine Engstelle gibt, wo 5000 Leute in einer bestimmten Zeit durchgehen müssen, sagt das Gesetz dazu nichts“. Dazu komme die Problematik, die Besucher richtig zu leiten. „Ungeleitet rennen die meisten dort hinaus, wo sie hineingegangen sind“, sagt er. Und zitiert den Soziologieprofessor Dirk Helbing, ETH Zürich: „Physik, nicht Psychologie führt meist zu Massenunglücken.“

Am Abend des 8. Dezember 1881 war das Ringtheater am Wiener Schottenring fast ausverkauft, 1760 Menschen befanden sich darin. Man gab das Offenbach-Stück „Hoffmanns Erzählungen“. Um circa 18.45 Uhr brach hinter dem Vorhang, auf der Bühne, Feuer aus. Ausströmendes Gas einer Beleuchtung hatte sich entzündet.

Erst als die Flammen den Bühnenvorhang ergriffen und das Feuer in den Zuschauerraum durchbrach, war dem Publikum klar, was gerade passierte. Zugluft entfachte den Brand noch mehr, es kam zur Panik. Viele der Eingeschlossenen liefen zum offenen Balkon auf der Ringstraßenseite und sprangen in panischer Angst auf die Straße in den Tod. Flüchtende öffneten die Bühnenrolltür, durch die Luftzufuhr kam es zu einem Feuersturm, es begann nun auch der Zuschauerraum zu brennen. Das Theatertor war nur nach innen zu öffnen – ebenso wie die Türen des Zuschauerraums. Alle Gänge waren eng, es fehlte an der Notbeleuchtung. Viele weitere fatale Fehler führten zu der Katastrophe, bei der hunderte Menschen ums Leben kamen.

WendepunktDas Ereignis gilt als Wendepunkt in Sachen Sicherheit. Nach diesem furchtbaren Brand wurden viele Maßnahmen für den vorbeugenden Brandschutz sowie das Rettungswesen entwickelt. Schließlich wurde ein strenges, für Europa vorbildliches, Veranstaltungsrecht eingeführt. Dessen Grundzüge gelten bis heute.

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