UN-Klimakonferenz: Das Ziel ist klar, der Weg noch nicht
Der erste global verbindliche Weltklimavertrag tritt am kommenden Freitag, dem 4. November, in Kraft. Das Ende 2015 in Paris ausgehandelte Abkommen soll die Erderwärmung auf weniger als zwei Grad begrenzen. Das Hauptziel des ab 2020 wirkenden Abkommens steht also fest, der Weg dorthin jedoch noch nicht. Mehr Klarheit wird von der UN-Klimakonferenz in Marokko, die nächste Woche beginnt, erwartet.
"Die schnelle Ratifizierung ist der Grundstein für ernsthafte Gespräche über die Umsetzung des Vertrags bei der COP22 in Marrakesch. Um die vereinbarten, ambitionierten Ziele des Weltklimavertrags erreichen zu können, müssen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft alle an einem Strang ziehen. Ich gehe erwartungsvoll in die Umsetzungsverhandlungen und bin gespannt, ob wir das Momentum aus Paris mitnehmen können ", betonte Umweltminister Andrä Rupprechter (ÖVP).
Erfolg in Paris ändert "das Setting in Marrakesch"
Das rasche Inkrafttreten des Pariser Abkommens ist vorerst einmal ein großer Erfolg, denn die Hürde dafür - 55 Staaten, die für mindestens 55 Prozent der Treibhausgase verantwortlich sind, mussten den Vertrag billigen - wurde in weniger als einem Jahr genommen. Beim Kyoto-Protokoll von 1997 dauerte dieser Prozess hingegen acht Jahre. Das Ziel wurde Anfang Oktober mit der offiziellen Hinterlegung des Abkommens seitens der Europäischen Union bei der UNO in New York erreicht. Österreich war dabei einer der ersten ratifizierenden EU-Staaten.
"Das schnelle Inkrafttreten ändert das Setting in Marrakesch", ist sich Global-2000-Klima- und Energiesprecher, Johannes Wahlmüller, sicher. Die Umweltschutzorganisation erhofft sich von der COP 22, die vom 7. bis 18. November in Marrakesch stattfindet, nun konkrete Schritte auf dem Weg zu den Klimazielen, die klarerweise einen schrittweisen Ausstieg aus den fossilen Energien, die sogenannte Dekarbonisierung, bedeuten.
Bis 2050 Ausstieg aus fossilen Energien
Global 2000 erwartet sich, dass die "Lücke zwischen den nationalen Klimaschutzplänen und den Zielsetzungen des Abkommens von Paris" anerkannt wird. Diese Ansicht stützt eine Ende Juni im Fachjournal Nature veröffentlichte Analyse des Internationalen Instituts für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien, der zufolge die zugesagten Emissionsbegrenzungen zu einem Temperaturanstieg von 2,6 bis 3,1 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts führen würden - statt der anvisierten mindestens zwei Grad Celsius.
Eine Nachbesserung der "beabsichtigten nationalen Beiträge" (Intended Nationally Determined Contributions, INDC, Anm.) zur Senkung der Treibhausgasemissionen sei daher notwendig. Als langfristigen österreichischen Beitrag haben die heimischen NGOs von Regierung zuletzt die Dekarbonisierung der Wirtschaft und den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energien bis 2050 als zentrale Ziele einer Klimastrategie gefordert.
Klimafinanzierung
Ein weiterer wichtiger Punkt wird in Marokko die Frage der Klimafinanzierung betreffen, denn ab 2020 sollen jährlich rund 100 Milliarden Dollar (rd. 91 Mrd. Euro) an die Entwicklungsländer fließen. "Entschieden werden soll über die Verwaltung der Gelder und nach welchen Kriterien und für welche Projekte diese ausbezahlt werden", heißt es von Greenpeace Österreich. Aus der Sicht der NGO ist der in Paris erzielte Vertrag zwar nicht perfekt, kann aber trotzdem zu Recht als historisch bezeichnet werden.
Dass der Klimawandel stattfindet, untermauern indes die Statistiken der US-Klimabehörde NOAA. Deren Meteorologen hatten über 16 Monate vom Mai 2015 bis zum August 2016 jeweils einen Hitzerekord mit Blick auf die globale Durchschnittstemperatur festgestellt. Und bereits die Jahre 2014 und 2015 waren jeweils die wärmsten Jahre seit Aufzeichnungsbeginn. Die Temperatur im Mittelmeerraum liegt einer aktuellen Studie von Forschern der Universität Aix-Marseille zufolge jetzt schon 1,3 Grad höher als zwischen 1880 und 1920. Im weltweiten Durchschnitt stieg die Erdtemperatur seit Aufzeichnungsbeginn um rund ein Grad.
Als großes, kulturelles Fest will Marokko den Weltklimagipfel inszenieren. Innerhalb weniger Monate hat das Land ein Konferenzdorf aus dem Boden gestampft: Groß wie 31 Fußballfelder und teilweise überspannt mit einem Baldachin, der an die folkloristischen Volksfeste im ganzen Land erinnern soll; an die kulturelle Vielfalt Nordafrikas.
Doch gerade die ethnischen Gräben brechen jetzt - nur eine Woche vor dem Beginn des Weltklimagipfels - wieder auf. Nach dem Tod eines Fischverkäufers in einer Müllpresse gehen vor allem die Berber wieder auf die Straße.
"Platz der Gaukler"
Dabei war es in den vergangenen Jahren relativ ruhig in Marokko geblieben. Während in den arabischen Ländern ringsum die Machthaber seit 2011 reihenweise aus den Palästen getrieben wurden, die Staaten teilweise in blutigen Bürgerkriegen versanken, reformierte König Mohammed VI. in Marokko die Verfassung - und blieb im Amt.
Nach einem Anschlag im Jahr 2011 mit 17 Toten baute der Herrscher die Sicherheitsvorkehrungen weiter aus. In den Straßen der großen Städte patrouillieren kaum übersehbar Dreiergruppen von Polizei und Militär mit Maschinengewehren. Der Anschlag am bei Touristen beliebten "Platz der Gaukler" in Marrakesch hatte das Land damals schwer getroffen. Jetzt kommen dort, nur unweit der ockerfarbenen Altstadt, mehr als 200 Staats- und Regierungschefs zusammen, um über die Rettung des Klimas zu beraten.
"Marokko hat es, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern der Region, geschafft, gegen den Terrorismus vorzugehen und die Kompetenz der Sicherheitskräfte zu verbessern", analysierte Scott Stewart von der US-amerikanischen Denkfabrik Stratfor kürzlich. Anfang August gab der Generaldirektor der Nationalen Sicherheit bekannt, dass mehr als 5.000 Polizisten während des Gipfels im Einsatz sein werden. Marrakesch bekam knapp 100 neue Überwachungskameras verpasst. Und das Innenministerium versendet fast täglich Erfolgsmeldungen über ausgehobene Terrorzellen.
Fast jeder Fünfte unter 25 Jahren ist arbeitslos
"Seit 2011 arbeitet die marokkanische Polizei proaktiv", sagt Abdelhak Khiame vom Zentralen Büro für juristische Untersuchungen (BCIJ). Knapp 3.000 Menschen seien wegen Terrorverdachts in den vergangenen Jahren verhaftet worden. Doch trotz der teuer erkauften Sicherheit: Die Probleme des Landes sind geblieben.
Marokko kämpft, wie seine Nachbarn auch, mit Problemen vor allem im Bereich Bildung und Wirtschaft. Fast jeder Fünfte unter 25 Jahren ist arbeitslos. Menschenrechtsbeobachter kritisieren weitverbreitete Korruption. Dennoch habe es einen Wandel im Land gegeben, sagt Politikwissenschaftler Mohamed Tozy, der sei eben bloß langsam. Zu langsam für einige.
Tozy ist Direktor der Hochschule für Regierung und Ökonomie in Rabat und arbeitete 2011 an der neuen Verfassung mit. "Was die Menschen aber vor allem wollen ist Stabilität." Libyen, Ägypten, Syrien seien für viele Menschen abschreckende Beispiele, sagt Tozy. Daher sei es bisher auch relativ ruhig in Marokko geblieben.
Tausende auf der Straße
Bis zum vergangenen Wochenende, als die Polizei in der kleinen Küstenstadt al-Hoceima den Fisch eines Fischverkäufers in einen Müllwagen wirft. Der 31-jährige Mohsin Fikri springt hinterher, die Müllpresse wird eingeschaltet, der junge Mann stirbt. Die genauen Umstände sind noch unklar.
Im ganzen Land gehen Tausende plötzlich wieder auf die Straße: vor allem Berbergruppen und die alten Protestler der "Bewegung 20. Februar", die schon 2011 vorne bei den Protesten dabei war. Der Palast erkannte die Sprengkraft der Proteste, schickte sofort den Innenminister zum Kondolieren und kündigte eine Untersuchung des Vorfalls an. Doch der Protest bleibt - sowohl im Internet als auch auf der Straße. Es sind die größten Demonstrationen seit Jahren. Und das zur Unzeit.
Protestierende Menschen mit Spruchbändern und Smartphones stören das Bild, das der König von Marokko vermitteln wollte: traditionsbewusst und trotzdem modern - und im Einklang mit der Natur.
(Von Simon Kremer/dpa)
Das nächste wichtige Zieldatum nach der UN-Klimakonferenz ist 2018. Dann soll erneut eine Zwischenbilanz beim Klimaschutz gezogen werden - und auf dieser Grundlage legen die Staaten der Welt dann 2020 neue Klimaziele vor. Wenn Klimapolitik eine große Rechenübung im Kohlendioxid-Sparen ist, dann soll Marrakesch damit beginnen, Regeln auszuarbeiten, damit niemand schwindelt oder sich verkalkuliert.
Entwickelte Länder und Regionen wie die USA oder die EU haben relativ einfach strukturierte Ziele. So soll der Ausstoß an Treibhausgasen in Europa bis 2030 um mindestens 40 Prozent sinken im Vergleich zu 1990. Entwicklungsländer können ihr Ziel ähnlich formulieren, oder auch ihre Emissionen ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung oder zur Bevölkerungsgröße setzen. Aber wie macht man das vergleichbar? Und wie vermeidet man, dass Klimaschutzanstrengungen doppelt abgerechnet werden?
"Es dürfte nicht so leicht wie sonst sein, schnell Ergebnisse aufzulisten und Dinge abzuhaken und Fortschritte festzustellen."
Da es in Marrakesch viel um solche Buchführungsprobleme gehen wird, tun sich Beobachter schwer mit der Frage, was die Konferenz zu einem Erfolg machen würde. "Es dürfte nicht so leicht wie sonst sein, schnell Ergebnisse aufzulisten und Dinge abzuhaken und Fortschritte festzustellen", räumt Elliot Diringer von der US-Denkfabrik Center for Climate and Energy Solutions ein.
Und es gibt Faktoren, die selbst die engagiertesten Klima-Unterhändler nicht beeinflussen können. Am 8. November, einen Tag nach Beginn der Konferenz von Marrakesch, wird in den USA ein neuer Präsident gewählt. Der republikanische Kandidat Donald Trump leugnet den vom Menschen gemachten Klimawandel als chinesische Erfindung und wollte, dass die USA vom Pariser Klimaabkommen zurücktreten. Dafür ist es zwar inzwischen zu spät. Aber einen Schwenk könnte ein Präsident Trump dennoch einleiten - am Ende kann die Weltgemeinschaft kein Land zum Klimaschutz zwingen.
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