TTIP: Ein großes, großes Missverständnis
Empörtes Raunen im Saal: Eine große Mehrheit der Europäer halte das umstrittene Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) für eine gute Idee, hat EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström soeben behauptet. Das kritische Publikum in der Arbeiterkammer Wien, wo sich Malmström der Debatte stellt, quittiert es mit hörbarem Misstrauen. Wer hat recht?
Der KURIER beantwortet einige der wichtigsten Fragen
Ist die Mehrheit der EU-Bürger wirklich für TTIP?
Es klingt aus heimischer Sicht unglaublich, stimmt aber. EU-weit sind 53 Prozent der Bürger für TTIP. Nur in vier EU-Staaten überwiegt die Ablehnung – in Österreich, Deutschland, Luxemburg und Slowenien. Nirgendwo ist dabei der Widerstand so groß wie in Österreich, wo sich zuletzt 70 Prozent dagegen aussprachen. Fakt ist allerdings auch: EU-weit nimmt die Zustimmung zu TTIP langsam, aber stetig ab.
Wie geheim sind die TTIP-Verhandlungen wirklich?
Mit offenen Karten kann man nicht pokern: So erklärt Malmström, warum die Verhandlungen nicht vor den Augen der Öffentlichkeit geführt werden. Sie spricht von einer "Transparenzoffensive", weil die EU die eigenen Verhandlungsvorschläge publiziert. Dazu, die US-Vorschläge zu veröffentlichen, habe sie kein Recht.
Und wo finde ich die ausverhandelten Texte?
Noch nirgends. Erst wenn das gesamte TTIP-Abkommen steht, wird der Text im Internet zugänglich sein. Im Moment dürfen die Papiere nur EU- und nationale Abgeordnete in speziellen Leseräumen sehen. Unter skurrilen Bedingungen: Handys sind verboten, geschrieben werden darf nur mit bereitgestellten Stiften auf Wasserzeichen-Papier. Das Lesen ist auf zwei Stunden begrenzt und wird überwacht. Die Abgeordneten müssen strikte Geheimhaltung geloben. "Beklemmend", schildert die EU-Abgeordnete Karoline Graswander-Hainz (SPÖ). Für die Öffentlichkeit stellt die EU-Kommission nur Zusammenfassungen online. Die seien zwar oberflächlich, würden die Hauptpunkte aber getreu wiedergeben, sagt die EU-Abgeordnete, die die Originaltexte kennt.
Wann ist ein Abschluss von TTIP zu erwarten?
Offiziell hält Malmström daran fest, dass der TTIP-Text vor der US-Präsidentenwahl im November fertig sein soll. "Unrealistisch", sagt hingegen Graswander-Hainz zum KURIER. Derzeit gebe es nur zu 13 von 24 Kapiteln abgestimmte Textfassungen. Die ganz heißen Eisen wurden noch gar nicht angetastet. Und bis Sommer stehen nur noch zwei Runden im April und Juni an.
Worum geht es in den aktuellen Verhandlungen?
Von 22. bis 26. Februar läuft in Brüssel die zwölfte Verhandlungsrunde zu einigen der brisantesten Themen. So wird erstmals nach zwei Jahren wieder über den Investorenschutz diskutiert – jene Vertragsklauseln, die es ausländischen Unternehmen ermöglichen, Staaten vor privaten Schiedsgerichten zu klagen, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen.
Heikel ist auch die regulatorische Zusammenarbeit: Ein Regulierungsrat könnte frühzeitig neue Gesetze auf Abstimmungsbedarf mit den US-Behörden abklopfen. "Für Handelsexperten besteht die ganze Welt nur aus Handelshemmnissen", befürchtet Arbeiterkammer-Präsident Rudolf Kaske. Das Gremium erhalte nur beratende, keine gesetzgeberische Funktion, heißt es von EU-Seite. Konfliktträchtig ist auch das Thema öffentliche Ausschreibungen. EU-Firmen würden gerne Aufträge von US-Bundesstaaten erhalten können. Die Amerikaner haben allerdings nach der Krise "Buy America"-Regeln geschaffen, die lokale Lieferanten bevorzugen.
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