TTIP: Ein großes, großes Missverständnis

Ein Anti-TTIP-Aktivist vor der 12. Verhandlungsrunde zwischen den USA und der EU in Brüssel.
Freihandelsabkommen mit den USA: EU-Kommissarin Malmström und die Kritiker reden aneinander vorbei.

Empörtes Raunen im Saal: Eine große Mehrheit der Europäer halte das umstrittene Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) für eine gute Idee, hat EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström soeben behauptet. Das kritische Publikum in der Arbeiterkammer Wien, wo sich Malmström der Debatte stellt, quittiert es mit hörbarem Misstrauen. Wer hat recht?

TTIP: Ein großes, großes Missverständnis

Der KURIER beantwortet einige der wichtigsten Fragen

Ist die Mehrheit der EU-Bürger wirklich für TTIP?

Es klingt aus heimischer Sicht unglaublich, stimmt aber. EU-weit sind 53 Prozent der Bürger für TTIP. Nur in vier EU-Staaten überwiegt die Ablehnung – in Österreich, Deutschland, Luxemburg und Slowenien. Nirgendwo ist dabei der Widerstand so groß wie in Österreich, wo sich zuletzt 70 Prozent dagegen aussprachen. Fakt ist allerdings auch: EU-weit nimmt die Zustimmung zu TTIP langsam, aber stetig ab.

Wie geheim sind die TTIP-Verhandlungen wirklich?

Mit offenen Karten kann man nicht pokern: So erklärt Malmström, warum die Verhandlungen nicht vor den Augen der Öffentlichkeit geführt werden. Sie spricht von einer "Transparenzoffensive", weil die EU die eigenen Verhandlungsvorschläge publiziert. Dazu, die US-Vorschläge zu veröffentlichen, habe sie kein Recht.

Und wo finde ich die ausverhandelten Texte?

Noch nirgends. Erst wenn das gesamte TTIP-Abkommen steht, wird der Text im Internet zugänglich sein. Im Moment dürfen die Papiere nur EU- und nationale Abgeordnete in speziellen Leseräumen sehen. Unter skurrilen Bedingungen: Handys sind verboten, geschrieben werden darf nur mit bereitgestellten Stiften auf Wasserzeichen-Papier. Das Lesen ist auf zwei Stunden begrenzt und wird überwacht. Die Abgeordneten müssen strikte Geheimhaltung geloben. "Beklemmend", schildert die EU-Abgeordnete Karoline Graswander-Hainz (SPÖ). Für die Öffentlichkeit stellt die EU-Kommission nur Zusammenfassungen online. Die seien zwar oberflächlich, würden die Hauptpunkte aber getreu wiedergeben, sagt die EU-Abgeordnete, die die Originaltexte kennt.

Wann ist ein Abschluss von TTIP zu erwarten?

Offiziell hält Malmström daran fest, dass der TTIP-Text vor der US-Präsidentenwahl im November fertig sein soll. "Unrealistisch", sagt hingegen Graswander-Hainz zum KURIER. Derzeit gebe es nur zu 13 von 24 Kapiteln abgestimmte Textfassungen. Die ganz heißen Eisen wurden noch gar nicht angetastet. Und bis Sommer stehen nur noch zwei Runden im April und Juni an.

Worum geht es in den aktuellen Verhandlungen?

Von 22. bis 26. Februar läuft in Brüssel die zwölfte Verhandlungsrunde zu einigen der brisantesten Themen. So wird erstmals nach zwei Jahren wieder über den Investorenschutz diskutiert – jene Vertragsklauseln, die es ausländischen Unternehmen ermöglichen, Staaten vor privaten Schiedsgerichten zu klagen, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen.

Heikel ist auch die regulatorische Zusammenarbeit: Ein Regulierungsrat könnte frühzeitig neue Gesetze auf Abstimmungsbedarf mit den US-Behörden abklopfen. "Für Handelsexperten besteht die ganze Welt nur aus Handelshemmnissen", befürchtet Arbeiterkammer-Präsident Rudolf Kaske. Das Gremium erhalte nur beratende, keine gesetzgeberische Funktion, heißt es von EU-Seite. Konfliktträchtig ist auch das Thema öffentliche Ausschreibungen. EU-Firmen würden gerne Aufträge von US-Bundesstaaten erhalten können. Die Amerikaner haben allerdings nach der Krise "Buy America"-Regeln geschaffen, die lokale Lieferanten bevorzugen.

Wie will die EU den Konflikt rund um den Investorenschutz lösen?

TTIP: Ein großes, großes Missverständnis
ABD0072_20160222 - WIEN - ÖSTERREICH: Die TTIP-zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström am Montag, 22. Februar 2016, während einer PK anl. eines Arbeitsbesuches in Wien. - FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER
Im EU-Parlament gibt es keine Mehrheit für TTIP, solange die Sonderklagsrechte für US-Konzerne gegen EU-Staaten (und vice versa) nicht entschärft sind. Das weiß auch Malmström. Sie hat deshalb im November einen Investitions-Gerichtshof vorgeschlagen – mit öffentlich bestellten Richtern, transparenten Verhandlungen und der Möglichkeit, gegen Urteile zu berufen. "Ein völlig neues System", schwärmt die Schwedin. Und es könnte noch in das fertig ausverhandelte Abkommen mit Kanada aufgenommen werden: "Wir verhandeln darüber mit der kanadischen Regierung." Kritiker wie Attac und AK-Chef Kaske halten das für alten Wein in neuen Schläuchen. Sie lehnen den Investorenschutz kategorisch ab.

Wie steht Österreichs Regierung zu TTIP?

TTIP: Ein großes, großes Missverständnis
ABD0119_20160209 - WIEN - ÖSTERREICH: Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) anl. des Ministerrates am Dienstag, 9. Februar 2016, im Bundeskanzleramt in Wien. - FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER
Bundeskanzler Werner Faymann sieht die Sonderrechte für Konzerne kritisch, hält sich aber mit Äußerungen zu TTIP merklich zurück. Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner sagte am Montag nach dem Treffen mit EU-Kommissarin Malmström, das Abkommen könne Österreich Wachstum und neue Arbeitsplätze bringen. Die hohen EU-Standards müssten aber garantiert bleiben. Ein "gutes" Abkommen sei wichtiger als ein "schnelles".

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