Sturmtief über der Kammer

Das Gebäude der Wirtschaftskammer Österreich
Die Unternehmervertretung muss und will sich neu aufstellen – es geht um die Existenzberechtigung für die Zukunft.

Was haben die oberösterreichische Landesregierung und das Präsidium der Wiener Wirtschaftskammer gemeinsam? Beide sind ein geschlossener Männerklub. Seit Brigitte Jank abtrat und der Bauunternehmer Walter Ruck im Vorjahr die Spitze der Kammer erklomm, gibt es in der obersten Führungsetage der Vertretung der 130.000 Wiener Unternehmen keine einzige Frau mehr. Der old fashioned Männerverein sorgt in Wirtschaftskreisen und auch in der Kammerorganisation selbst für viel Kritik. Die Herrenrunde dürfte irgendwie übersehen haben, dass 30 Prozent ihrer Pflichtmitglieder – oder Zwangsmitglieder, je nach Betrachtungsweise – Frauen sind.

Dabei haben die Wiener Kämmerer mit sieben Vizepräsidenten ohnehin die stattlichste Führungsspitze innerhalb der gesamten Interessensvertretung. Keine einzige Landeskammer und auch nicht die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) unter Christoph Leitl leistet sich ein derart großes Präsidium. Dort sitzen die Vertreter aller wahlwerbenden Fraktionen quer durch die Parteien. Plus Josef Bitzinger, Eigentümer des (qualitativ übrigens hervorragenden) Würstelstandes bei der Wiener Albertina. Aber für eine Frau ist kein Platz.

Die Auswahl der Vizepräsidenten oblag alleine den Fraktionen, argumentiert man in der Kammerzentrale mit nobler Adresse am Stubenring. Ruck sei wichtig gewesen, dass auch kleine Fraktionen einen Vertreter fürs Präsidium nominieren konnten. Das war’s.

Wenigstens dem grünen Vizepräsidenten Johann Arsenovic dürfte dabei doch nicht ganz wohl sein. Er findet es "schon eine Katastrophe" und will beim nächsten Präsidiumstreffen den Antrag einbringen, Frauen in die Runde aufzunehmen. Ein bisschen spät munter geworden, gerade die Grünen machen sich seit vielen Jahren für Frauenquoten stark. Das Salär für die Vizepräsidentenschaft macht die Herren zwar nicht reich, aber Kleinvieh macht auch Mist. 2645 Euro pro Mann (12-mal im Jahr) ist die höchste "Funktionsentschädigung" in allen Länderkammern. Chef Ruck erhält im Monat 5290 Euro. Die Einser-Position ist allerdings ein fordernder Vollzeit-Job mit einer Arbeitswoche weit jenseits der 40 Stunden. Dafür ist die Gage bescheiden. WKÖ-Boss Leitl, der in der Woche locker mehr als 60 Stunden im Einsatz ist, erhält 11.408 Euro Aufwandsentschädigung.

Zur Klarstellung: Präsidenten sind Funktionäre und im Gegensatz zu den Kammer-Mitarbeitern weder angestellt noch mit Pensionen bedacht. Sie sollten im Idealfall aktive Unternehmer sein und davon leben können. Manche Funktionäre entsprechen diesem Anforderungsprofil freilich weniger und sind nur noch Karteileichen mit Gewerbeberechtigung. Durch eifriges Sammeln von Pöstchen in den unteren Ebenen kann man es allerdings auch auf ein Einkommen bringen, mit dem recht gut auszukommen ist.

Ex-Kämmerer und ÖVP- Vizekanzler Reinhold Mitterlehner hat mit seiner Ansage über den Reformbedarf der Sozialpartnerschaft das Kammerwesen wieder in den öffentlichen Fokus gerückt. Die politische Opposition, vor allem die FPÖ, schießt sich seit Jahren mit unterschiedlicher Schärfe gegen das System und die Pflichtmitgliedschaft ein. Zuletzt teilte der Neos-Abgeordnete Sepp Schellhorn kräftig aus. Er warf der Wirtschaftskammer im Standard vor, ihre Mitglieder auszubluten und selbst"wie die Made im Speck" zu leben. "Herabwürdigende Äußerungen" und teilweise "unrichtige Behauptungen", schoss WKÖ-Generalskretär Herwig Höllinger zurück.

Anlass war eine parlamentarische Anfragebeantwortung Mitterlehners über die Kammer-Finanzen. 864 Millionen Euro Anlagevermögen, 228 Millionen Euro bei den Banken auf der hohen Kante, als Altlasten üppige Kammer-Renten für altgediente Mitarbeiter, 694 Millionen Euro an Einnahmen aus den Pflichtbeiträgen, 179 Millionen Euro zusätzlich durch Leistungserlöse (etwa Kursgebühren) und 338 Millionen Euro Personalwaufwand für 4644 Mitarbeiter.

Keine Frage, die Wirtschaftskammer ist dringend reformbedürftig. Der Föderalismus bläht nicht nur die öffentliche Verwaltung auf und verteuert diese enorm, sondern auch die Unternehmervertretung. Neun Länder und dazu der Bund – macht zehn Kammern. Die gesamte Organisation besteht aus 694 (!) Körperschaften öffentlichen Rechts. Ein kleines Beispiel, aber symptomatisch. Wenn die Kämmerer zu Recht kritisieren, wozu man in Österreich neun Bauordnungen braucht, sollten sie die Notwendigkeit einer "Fachvertretung Seilbahnen" in Wien erklären. Bekanntlich gibt es in der Bundeshauptstadt keine Seilbahn. Nur einen kleinen Schlepplift auf der Hohe Wand Wiese.

Christoph Leitl und dem ÖVP-Wirtschaftsbund, die politisch bestimmende Fraktion in der Kammer, ist der Ernst der Lage sehr wohl bewusst. Leitl hat schon zwei Reformen durchgezogen, die letzte mit tatkräftiger Unterstützung des damaligen Vizepräsidenten Hans Jörg Schelling. Jetzt aber geht es um die Existenzberechtigung des Kammer-Systems für die Zukunft.

Im Wirtschaftsbund feilen vier Arbeitsgruppen an einer Neuaufstellung: Finanzen, Mitgliederstruktur (Mehrfachmitgliedschaften und Beiträge für ein und dieselbe Firma), Wahlsystem (kompliziert und nicht basisdemokratisch), Struktur & Prozesse. Leitl: "Wir müssen in der Organisation nicht nur schlanker werden, sondern uns auch – Stichwort Digitalisierung – zu einer Vernetzungsorganisation entwickeln". Die 500.000 Mitglieder sollen finanziell bei den Umlagen entlastet werden. Eine 30-prozentige Reduktion wie bei der letzten Beitragssenkung wird nicht mehr drin sein, aber eine Korrektur um zehn bis 20 Prozent sehen Insider als realistisch.

Volker Plass, Chef der Grünen Wirtschaft, würde,wenn er könnte, die Landeskammern abschaffen und stattdessen die Bezirksstellen für die Betreuung der Unternehmen stärken. Stichwort Föderalismus: "Jede Organisation rechtfertigt ihre eigenen absurden Strukturen mit dem Hinweis auf die absurden Strukturen der Anderen".

Landeskammern abschaffen, das kommt für Leitl gar nicht infrage. Sie seien in der Beratung und beim Service der Betriebe unverzichtbar. Die regionalen Herausforderungen seien zu unterschiedlich.

"Wir müssen über alles diskutieren, es gehört alles auf den Tisch. Das System muss in eine neue Evolutionsstufe, Stichwort Wirtschaftskammer 4.0", sieht der steirische Kammer-Chef Josef Herk "überall Spielraum. Wie bei einem Unternehmen, das schon lange keine Strukturreform durchgeführt hat". Herk leitet die Arbeitsgruppe Finanzen.

Ganz so schnell wird’s mit der Reform nicht gehen. Das Problem: Auf Druck von oben funktioniert gar nichts. Das Vermögen ist großteils in den Fachverbänden in den Ländern gebunkert, die alle eigenständig sind und selbst über ihre Strukturen entscheiden. Die gesammelten Vorschläge sollen im Herbst vorliegen und müssen vom Wirtschaftsparlament abgesegnet werden, der Vertretung aller politischen Gruppen. Frühestens Anfang 2017 kann operativ umgesetzt werden.

Um beim Reformieren mit an Bord zu sein, ließ sich ÖVP-Staatssekretär Harald Mahrer als Vize ins Wirtschaftsbund-Präsidium wählen. Sollte es zu einem Generationenwechsel kommen, gilt Mahrer als einer der Fixstarter für die Nachfolge des 67-jährigen Leitl. Gute Chancen attestieren Insider dem allseits geschätzten Steirer Herk. Auch der machtbewusste Wiener Ruck streckt schon seine Fühler aus – trotz Frauenquote null.

Nicht zu unterschätzen ist Verkehrs-Obmann Alexander Klacksa, der die flächendeckende Maut abwehren konnte – bis dato jedenfalls. Als einzige Frau ist die Zillertaler Tourismusunternehmerin und WKÖ-Vizepräsidentin Martha Schultz im Gespräch.

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