Steuersünder: Statt großer Fische zappeln kleine Firmen

Steuersünder: Statt großer Fische zappeln kleine Firmen
Unternehmenssteuern: Verschärfte Regeln zielen auf Apple & Co. Getroffen werden Mittelständler.

Einfach die Gewinne dorthin verschieben, wo es günstig ist oder gar keine Unternehmenssteuer anfällt: So konnten Apple, Amazon, Google und Co. ihre Steuerlast kleinrechnen.

In der Praxis ist das natürlich etwas komplizierter. Wie es konkret abläuft, war aber seit Jahrzehnten bekannt und wurde sogar an den Unis gelehrt. Viele dieser Steuersparkonstrukte waren zudem nur dank kräftiger Mithilfe der beteiligten Staaten möglich, sie wurden also zumindest geduldet.

Steuerliche Zeitenwende

Das hat sich durch das Auffliegen von Skandalen wie Lux- und Offshore-Leaks oder Panama Papers gehörig gewandelt. Seit 2012 ist die Industriestaaten-Organisation OECD in Paris die Vorreiterin gegen aggressive Steuerplanung und Gewinnverlagerung (BEPS – Base Erosion and Profit Shifting). Sie hat Zehntausende Seiten produziert, wie die Regeln und Mindeststandards auszulegen sind, die seit Anfang 2017 schrittweise in Kraft treten.

Aber sorgt das für mehr Fairness? Iris Burgstaller von der Steuerberatungskanzlei TPA hegt daran Zweifel: "Die Modelle von Apple oder Google dreht man damit zwar ab. Man trifft in diesem Rundumschlag aber viele Mittelständler, die das gar nie betrieben haben", sagte die Expertin. In Österreich betreffe das 60.000 Unternehmen, die grenzüberschreitend agieren.

Steuersünder: Statt großer Fische zappeln kleine Firmen
Iris Burgstaller, Steuerexpertin TPA
Bei einem vom Forum der Finanzjournalisten organisierten Hintergrundgespräch schilderte Burgstaller einige der bizarrsten Auswüchse:

Vertreter? Betriebsstätte!

Nur wenn eine Firma in einem Land eine Betriebsstätte hat, können die Behörden vor Ort Steueransprüche erheben. Klingt logisch. Nur: Was ist eine Betriebsstätte? Laut OECD kann das bereits ein Vertreter im Außendienst sein. Schickt also eine österreichische Firma jemanden etwa nach Tschechien, um Kunden abzuklappern, wird es heikel.

Bisher durfte der Vertriebler keine Vertragsvollmacht haben, sonst würde er flugs zur Betriebsstätte (deshalb oft die Order: "Nix unterschreiben"). Künftig reicht es, wenn er Geschäfte angebahnt hat, sagt Burgstaller. Dann droht eine Doppelbesteuerung. Oder die Staaten müssten sich in einem – für die Firma aufwendigen – Verfahren einigen.

Ratings wie an der Börse

Die Tochterfirma in Ungarn soll von der Mutter in Österreich ein Darlehen erhalten, oder umgekehrt: Kein großes Ding? Doch. Damit könnten Gewinne verschoben und Steuern vermieden werden. Also müssen marktübliche Zinsen verrechnet werden. Aber wer kennt diese schon?

Sind die Finanzbehörden pingelig, können sie teure Bonitätsratings verlangen. Und zwar unabhängig davon, ob es um 100.000 Euro oder um 100 Millionen Euro geht. Voraussichtlich ab 2024 soll überhaupt gedeckelt werden, wie viel von den Kreditzinsen steuerlich absetzbar ist ("Zinsschranke").

Alles schön aufschreiben

Werden Waren, Services oder Lizenzrechte unter Ländergesellschaften ausgetauscht, ist das immer verdächtig: Bei den verrechneten Preisen könnte getrickst werden. Deshalb müssen die Unternehmen künftig alles dokumentieren.

Das benachteiligt kleinere Firmen: Bei ihnen machen die Bürokratie- und Beraterkosten 30 Prozent der Steuerleistung aus, bei Großkonzernen nur zwei Prozent. In Österreich werden dazu alle Unternehmen über 50 Mio. Euro Jahresumsatz vergattert. Das sei "nicht sehr exportfreundlich", sagt Burgstaller; in Deutschland und Frankreich liege die Schwelle höher.

Das sei wohl als "Beschäftigungsprogramm für Großbetriebsprüfer" gedacht, sagt Steuerberater Gottfried Schellmann. Die Dokumentationserfordernisse sieht er "nur noch als eine Pflanzerei der Unternehmen".

Fazit: Wo bleibt die Fairness?

Die Experten orten mehr Unsicherheit denn je, weil die OECD-Auslegung viel Spielraum lässt. Die Konsequenzen für Unternehmer wiegen dafür umso schwerer, denn ab 100.000 Euro Schaden droht ein Finanzstrafverfahren. So wird der Wettbewerb zwischen Konzernen und Mittelständlern wohl nicht fairer – eher im Gegenteil.

Mangelnden Weitblick konnte man dem 2011 verstorbenen Apple-Gründer Steve Jobs nie vorwerfen. Die 1976 gegründete Firma war kaum der Garage entwachsen, da übertrug er die Rechte für Auslandsverkäufe 1980 einer irischen Gesellschaft. Mit Duldung der US-Behörden. Der Grundstein für ein Steuersparmodell war so gelegt.

Lizenz zum Kassieren

Aber wie kommen die Einkünfte eigentlich nach Irland? Weil dort die Rechte und Patente liegen, fließt für jedes in Europa oder China verkaufte Apple-Gerät eine Lizenzgebühr auf die grüne Insel.

Staatenloses Geld

Warum fielen auf die Einkünfte aber nicht einmal die ortsüblichen 12,5 Prozent Körperschaftsteuer an? In den USA entscheidet der Sitz der Gesellschaft, wo besteuert wird. In Irland ist relevant, von wo aus diese gemanagt wird. Praktisch: Weil die irische Gesellschaft kein lokalisierbares Management hatte, generierte sie "staatenlose Einkünfte"– abgesichert durch einen Deal mit irischen Behörden.

Geldbunker

Die US-Finanz verlangt zwar, dass im Ausland erzielte Gewinne besteuert werden – aber erst, wenn die zurückgeholt ("repatriiert") werden. Was viele US-Firmen ganz einfach vermeiden, indem sie das Geld im Ausland belassen. Dort sind somit insgesamt geschätzte 2500 Milliarden (!) Dollar gebunkert. Um Dividenden an seine Aktionäre in den USA ausschütten zu können, machte Apple sogar lieber Schulden, als den irischen Milliardentopf anzuzapfen. Das kam billiger.

Sankt-Nimmerlein

Eine Hürde gab es für den IT-Riesen noch. Er hätte in der Bilanz hohe Rückstellungen für die künftige Steuerlast treffen müssen. Das wurde umschifft, indem man sich von Gutachtern bestätigen ließ, dass das Geld nie in die USA zurückgeholt werden soll.

Hickhack mit EU

Im August 2016 verdonnerte EU-Kommissarin Margrethe Vestager Apple dazu, 13 Milliarden Euro an Irland zurückzuzahlen. Der IT-Riese klagte postwendend dagegen. Und auch Irland selbst will das Geld gar nicht und klagte seinerseits. Warum verzichtet ein Finanzminister freiwillig auf diesen vermeintlichen Jackpot? Weil das gesamte Standort-Modell der Insel kippen würde, wenn sich die Steuerabsprachen mit der irischen Finanz als wertlos herausstellen.

Der Rechtsstreit wird die Gerichte wohl noch jahrelang beschäftigen. Rückendeckung erhielt Apple dabei von US-Finanzminister Jack Lew, der in einem bitterbösen Brief die unfaire Behandlung durch die EU beklagte.

Kurioses Detail: Auf die Fährte gebracht hatte die EU-Kommission erst eine äußerst kritische Anhörung vor dem US-Senat, die Apple im Mai 2013 über sich ergehen lassen musste. Darin wurde die Irland-Konstruktion penibel unter die Lupe genommen und zerlegt.

Trump legt nach

Der Streit mit der EU wird sich in den kommenden Monaten unterdessen wohl noch zuspitzen: Der 45. US-Präsident Donald Trump will die internationalen Geldbunker nämlich anzapfen. Eine moderate "Repatriierungssteuer" von 5 oder 10 (statt 35) Prozent soll das Geld in die USA locken. Was durchaus Erfolg verspricht.

Allerdings will Trump damit in denselben Topf greifen, den die EU-Kommission den Iren - und in der weiteren Folge auch anderen EU-Ländern, in denen Apple Geschäfte macht, zugedacht hat.

Reformbedarf in USA

Apple betont unterdessen, man befolge überall die lokalen Steuergesetze. Der IT-Riese spielt den Ball an die US-Regierung zurück: Das amerikanische Steuersystem sei überaltet. Man befürworte deshalb eine groß angelegte Reform – selbst wenn man dann künftig mehr zahlen müsste.

Das ist nicht ganz so uneigennützig, wie es zunächst klingt. Denn während die Steuerrechnung für Apple und Co. bei den Auslandsgewinnen durch eine Reform in den USA tatsächlich größer ausfallen könnte, kann es bei den Unternehmenssteuern, die im Inland fällig werden, fast nur besser werden. Da haben die Vereinigten Staaten mit 35 Prozent Körperschaftsteuer (und staatenweise noch mehr) nämlich einen der höchsten Sätze weltweit.

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