Stepic: "Putin ist EU um Lichtjahre voraus"

Herbert Stepic: Russland gehört zu Europa.
Osteuropa-Pionier Herbert Stepic hat Verständnis für Russland und findet die EU-Politik dilettantisch.

KURIER: Was macht eigentlich ein Senior Advisor to the Board?

Herbert Stepic: Ich stehe dem RBI-Vorstand für Beratung und strategische Überlegungen zur Verfügung. Ich habe auch etliche Aufsichtsratsmandate, überwiegend in den eher anspruchsvolleren Ländern, wie zum Beispiel Russland und Ukraine.

Sie haben immer schon Wladimir Putin verteidigt.

Das tue ich immer noch. Die mediale Berichterstattung über den Konflikt war total einseitig, die Meinungsbildung wird von New York und London vorgegeben.

Für diese Meinung bekommen Sie sicher großen Applaus, in Österreich herrscht ja starker Antiamerikanismus.

Den habe ich nicht. Ich habe eine sehr, sehr differenzierte Haltung zur Weltpolitik. Die Amerikaner haben unglaubliche Verdienste um Europa und sind letztlich für den Wiederaufbau verantwortlich. Sie haben allerdings nach der Zerschlagung der alten Sowjetunion das Bild des armen Neffen Russland und das Bild des Kalten Krieges nie aufgegeben. Aber auch Russland hat sich in den letzten 25 Jahren entwickelt!

Und die Ukraine?

Da gab es einen atemberaubenden Dilettantismus der EU, die sich 15 Jahre lang nicht um die Ukraine gekümmert hat. Ich selbst war mehrmals erfolglos aktiv, um Kommissare, auch österreichische, zu überreden, dort einmal hinzufahren, um zu signalisieren: "Ihr seid uns wichtig – als Handelspartner, aber auch als Verbindungsglied zu Russland."

Die Wirtschaft hatte den Fuß in der Tür, die Politik nicht?

Ja. Später hat man sich dann aufgrund der Initiative der Polen um die Ukraine gekümmert und wollte geschwind ein Assoziierungsabkommen schließen, ohne mit den Russen zu sprechen ...

... die das offenbar als feindlichen Akt auffassten.

Ja, natürlich. Und das, nachdem die Amerikaner Raketen in Tschechien und Polen nahe der russischen Grenze aufstellen wollten! Fadenscheinige Begründung: Abwehrsystem gegen den Iran.

Aber die Ukrainer hofften auf Aufschwung durch die EU.

Natürlich waren die Ukrainer extrem frustriert über fünf verlorene Jahre unter Juschtschenko und Timoschenko. Das war ja ein Saustall. Nachfolger Janukowitsch hat das Land stabilisiert, aber so ausgeräumt, dass nichts mehr übrig blieb. Er soll es auch gewesen sein, der die Aufständischen finanzierte. Es handelt sich um bezahlte Legionäre, vorwiegend Tschetschenen, die pro Tag 420 Dollar bekamen – deutlich mehr als ein Monatsgehalt in der Ukraine.

Aber steckt nicht auch Putin hinter den Aufständischen?

Natürlich muss es eine Kooperation gegeben haben. Putin und Janukowitsch sind aber schon lange nicht mehr auf bestem Fuß miteinander.

Muss man Putin nicht dennoch vorwerfen, dass er im Falle der Krim völkerrechtliche Regeln gebrochen hat?

Gar keine Frage, ich bin kein Verweigerer politischer Realitäten. Aber der gesamte Prozess einer "westlichen Annexion der Ukraine" musste zu dieser Reaktion führen. Ziel Russlands war, keine Nato an die Grenzen zu kriegen. Das ist die Kernangst.

Wie geht’s jetzt weiter?

Die Krim wird inoffiziell als vollendete Tatsache betrachtet. Mit der Wahl des neuen ukrainischen Präsidenten Poroschenko sehe ich aber ein deutliches Entspannungszeichen: Ende der Gewalt, Abzug der Separatisten. Poroschenkos Antrittsrede war clever: Er hat die EU-Mitgliedschaft nur mehr als ökonomische Mitgliedschaft bewertet. Und die EU hat spät, aber doch erkannt, dass es ohne Russland keine Ukraine-Lösung gibt. Ein Thema wird jetzt sein, wie man Putin einen gesichtswahrenden Rückzug ermöglichen kann. Und da wird die Krim wieder ein Argument sein können.

Agiert Putin vielleicht sogar rationaler als die EU?

Putin ist in der Umsetzung seiner Pläne der EU um Lichtjahre voraus – ganz einfach, weil er selbst entscheiden kann. Schauen Sie sich doch bei der EU nur das Chaos bei der Wahl des Kommissionspräsidenten an! Sie lassen sich von den Briten erpressen, weil Juncker nicht willfährig die englische Politik erfüllt. Unfassbar!

Hat die USA auch ein Interesse, dass Europa und Russland wirtschaftlich nicht zusammenrücken, weil hier eine unschlagbare Wirtschaftsweltmacht entstehen könnte?

Natürlich. Es ist unbestritten, dass die USA das Gebilde der EU nie mochten. Aber mit der Ukraine-Krise gibt es eine Beschleunigung der Achsenbildung zwischen Russland und China. Damit werden die USA die Weltpolitik nicht mehr unangefochten dominieren können.

Hätte die EU näher zu Russland heranrücken sollen?

Das wäre die Ideallösung gewesen.

Warum will Putin die alte Sowjetunion bewahren?

Er will zumindest seine minimale Einflusssphäre wahren, wozu ein Gutteil der Ukraine zählt. Die EU sollte mit der von Putin erwünschten Zollunion kooperieren. Die Ukraine könnte ein Partner in beiden ökonomischen Gebilden sein.

Österreich müsste das vorantreiben?

Für uns ist Russland ein ganz wesentlicher Handelspartner ...

... wo wir noch Geld verdienen.

Russland war in den vergangenen 20 Jahren der Markt, wo man weltweit das meiste Geld verdienen konnte. Ich glaube, dass letztlich die wirtschaftlichen Folgen der Ukraine-Krise Putin zum Einlenken gebracht haben. Weitere Sanktionen wären für ihn echt problematisch.

Europa und Österreich können also hoffen, dass das Geschäft mit Russland weiterhin läuft?

Österreich und Deutschland sind die Technologie-Lieferanten, die Know-how-Provider. Im Bankbetrieb haben wir dort wesentlich geholfen, den lokalen Kapitalmarkt, einen moderneren Zahlungsverkehr und das Kreditkartenwesen zu entwickeln. Russland gehört zu Europa, man muss zusammenarbeiten. Das ist auch Putin völlig klar. Das Ärgste, was man tun kann, ist, Putin in eine Lade zu schieben. Der ist hochintelligent.

Er stilisiert sich allerdings oft wie ein billiger Diktator und Volksheld.

Ja, aber das ist ein ganz anderes Land mit einer völlig anderen Geschichte. Er hat ein Land von Jelzin übernommen, das ein einziger Selbstbedienungsladen mit dem Recht des Stärkeren war.

Was sind Russlands aktuelle Probleme?

Es verzeichnet einen starken Rückgang des Wirtschaftswachstums – eine Folge der Ukraine-Krise und des Preisverfalls bei Gas. Es gibt eine Zurückhaltung ausländischer Investoren. Und reiche Russen schicken ihr Geld erst einmal raus und warten.

Davon haben Österreichs Banken profitiert, oder?

Ganz wenig, auch wenn das alle glauben. Das Geld fließt in die Schweiz, London, Gibraltar und Zypern.

Vom österreichischen Immobilienmarkt scheinen die Russen auch verschwunden zu sein.

Warum sollen sie Immobilien zu überhöhten Preisen kaufen? Mag auch sein, dass sie deshalb woanders investieren, weil Österreich aufgrund neuer Gesetze und diverser Vermögenssteuerdiskussionen nicht mehr so attraktiv ist. Die gehen dann lieber in den Schweizer Kanton Zug. In Österreich sollte man endlich auf breiter Front über den Wirtschaftsstandort nachdenken. Alles, was da jetzt passiert, hat langfristige negative Auswirkungen.

2013 trat der damalige Chef der Raiffeisenbank International zurück. Seither ist er „Senior Advisor to the Board“ und äußert sich zur RBI nicht mehr öffentlich. Stepic gilt als Ostpionier, trieb die Geschäfte mit Russland und der Ukraine voran und kennt Wladimir Putin auch persönlich.

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