Spionage dient nicht nur der Terror-Abwehr

epa03769270 An illusrtartion dated 01 July 2013 shows a folder icon on a computer screen saying 'Private' (Privat), viewed through a magnifying glass, Kaufbeuren, Germany. German Chancellor Angela Merkel's government condemned 01 July reports of spying by US intelligence agencies upon EU offices, with her spokesman saying it was unacceptable and calling for trust to be restored. 'Spying on your friends is unacceptable, it can't happen,' Merkel's spokesman Steffen Seibert told a regular press briefing in Berlin. 'We are no longer in the Cold War.' 'Europe and the US are partners, friends and allies,' he said. The German Foreign Office has called the US ambassador to Germany, Philip D Murphy, to the ministry for consultation on the issue. EPA/KARL-JOSEF HILDENBRAND
Geheimdienste arbeiten auch im Dienste der eigenen Wirtschaft. Der jährliche Schaden wird mit mehreren Milliarden beziffert.

Die Aufregung um Edward Joseph Snowden, den blassen 30-jährigen Informatiker, der seit einem Monat auf der Flucht vor den US-Behörden ist, wird so schnell nicht vergehen. Snowden, technischer Mitarbeiter der US-Geheimdienste CIA und NSA, wollte das Ausmaß der streng geheimen US-Überwachungsprogramme nicht mehr mittragen und ließ seine Informationen darüber veröffentlichten. Er konnte belegen, dass durch Programme wie Prism oder das britische Tempora weltweit jede Form von technisch gestützter Kommunikation aufgezeichnet und belauscht wird.

Informationsvorsprung

Bald war aber auch etwas anderes klar: Die Spionagetätigkeit beschränkt sich nicht auf Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung. Snowden konnte etwa belegen, dass die NSA sogar EU-Vertretungen mit Abhör-Wanzen ausspioniert. Auch das interne Computernetzwerk wurde angezapft.

„Die Spionage im Bereich Wirtschaft gehört neben der politischen und militärischen Ausforschung zu den ‚klassischen‘ Aufklärungszielen der Nachrichtendienste“, beschreibt der deutsche Verfassungsschutz das Problem. Es geht also um politische und wirtschaftliche Spionage – und damit um den globalen Informationsvorsprung. Wer bei Verhandlungen über Strategie und Taktik des Gegenübers im vorhinein Bescheid weiß, kann den „Partner“ problemlos über den Tisch ziehen. Das gilt für politische wie für wirtschaftliche Verhandlungen.

Deutschland ist, wie Snowden zeigte, für die USA wesentliches Spionageziel. Der finanzielle Schaden ist freilich enorm: „Der deutschen Wirtschaft entsteht durch Industriespionage jährlich ein Gesamtschaden von etwa 4,2 Milliarden Euro“, schätzt der deutsche Sicherheitskonzern Corporate Trust. In Österreich, sagt die Industriellenvereinigung, wird der jährliche Schaden mit rund 880 Millionen Euro beziffert. Die Dunkelziffer liege wahrscheinlich viel höher, da viele Unternehmen oft nicht wüssten, dass sie Opfer eines Angriffs geworden sind, so die IV.

Entscheidender Vorteil

„Plötzlich ist man nicht mehr der Bestbieter, oder die Firma bekommt unverschuldet eine schlechte PR, sodass man sich wieder zurückziehen muss“, erklärt Gert Polli die Auswirkungen von Spionage-Praktiken. Der langjährige ehemalige Chef des österreichischen zivilen Nachrichtendienstes, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, gründete vor einigen Jahren eine private Beraterfirma, polli Intelligence & Public Safety, die sich auf Abwehr von Betriebs- und Industriespionage spezialisiert ist. „Den Geheimdiensten geht es um eine globale Informationshoheit“, sagt der Experte. „Es geht darum zu wissen, was die Gegenseite plant, welche Technik sie verwendet, welche Verhandlungspositionen eingenommen werden, welche Verträge existieren, alles, woraus man einen Vorteil generieren kann.“ In den meisten Staaten gebe es enge Verbindungen zwischen Wirtschaft und Nachrichtendiensten, sagt Polli. Dabei sei der Schutz der Betriebsgeheimnisse nicht schwer: „Das beginnt bei der Kommunikation und der IT-Infrastruktur und dem Bewusstsein, was die eigenen Informationen wert sind.“

Beispiele, wie durch Geheimdienste gewonnene Informationen zum Vorteil der eigenen Wirtschaft verwendet werden, werden selten bekannt: Ende der 1990er-Jahre platze ein Sechs-Milliarden-Dollar-Deal zwischen dem europäischen Airbus-Konsortium und der saudischen Fluglinie, weil Medien davon erfahren hatten, dass viel Schmiergeld geflossen war.

Den Auftrag zur Modernisierung der saudischen Fluglinie bekam schließlich der US-Konzern Boeing. Jahre später bestätigte ein Bericht des EU-Parlaments, dass die NSA Faxe von Airbus abgefangen und Telefonate abgehört hatte, und die Infos in Zeitungen veröffentlichen ließ. „Richtig, meine kontinentalen Freunde, wir haben euch ausspioniert, weil ihr mit Bestechung arbeitet“, verkündete danach der Ex-CIA-Chef R. James Woolsey via Wall Street Journal Europe.

Bekannt wurde auch der jahrelange Streit um den deutschen Windkraftpionier Enercon. Die NSA, belegen Medienberichte, verschaffte einem US-Konkurrenten offenbar wichtige Betriebsgeheimnisse der deutschen Firma, indem Datenleitungen angezapft und Konferenzen abgehört wurden. Durch den folgenden Patentstreit konnten die Deutschen jahrelang vom US-Markt ferngehalten werden.

Datenschutz-Richtlinie

Im heiklen Politik-Umfeld scheint das ähnlich abzulaufen. Anfang Juni wurde bekannt, dass Washington die EU dazu drängte, die Datenschutz-Richtlinie abzuschwächen. In letzter Sekunde war ein Absatz im EU-Regelwerk, der US-Geheimdienstaktivitäten grundlegend erschwert hätte, fallen gelassen worden. Vor dem Hintergrund, dass erst danach bekannt wurde, dass die NSA EU-Institutionen verwanzt und angezapft hatte, bleibt ein fahler Nachgeschmack, ein Nachspiel nicht ausgeschlossen.

Andererseits wäre es naiv zu glauben, dass die US-Geheimdienste die einzigen sind, die für ihre Regierung und ihre Wirtschaftsbetriebe im großen Stil spionieren. In der westlichen Welt gelten auch der britische und französische Geheimdienst als äußerst schlagkräftig.

In Russland gibt es neben dem Inlandsgeheimdienst FSB noch den militärischen Auslandsgeheimdienst GRW und den zivilen Nachrichtendienst SWR. Die Russen hatten ihren „Fall Snowden“ vor einigen Jahren: Dort spielte Ex-Agent Alexander Litvinenko den Medien Informationen über die Arbeit der Geheimdienste zu. Wenige Wochen später starb Litvinenko an einer Vergiftung mit radioaktiven Pollonium. Nach eingehender Untersuchung sprach der britische Staatsanwalt Lord Macdonald offen von seinem Verdacht eines von Russland in Auftrag gegebenen Mordes.

Sehr wenig ist über Chinas Geheimdienste bekannt: Laut Bericht des deutschen Verfassungsschutzes operieren drei große Spionageeinheiten: „Die chinesischen Nachrichtendienste verfügen über etwa eine Million Mitarbeiter. Mit Sorge beobachten die Verfassungsschutzbehörden die offensive Vorgehensweise bei der Informationsbeschaffung in Deutschland.“ Einen chinesischen Snowden gab es bisher nicht.

Die politische Spionage ist so alt wie das Streben nach Macht selbst– organisierte Geheimdienste (besonders solche, die im Ausland spionieren) erleben ihre Glanzzeit aber erst seit dem Zweiten Weltkrieg.

Die wohl legendärste Spionageorganisation, die CIA (Central Intelligence Agency), wurde nach einem kolossalen Versäumnis gegründet: Als japanische Flugzeuge im Dezember 1941 die US-Flotte in Pearl Harbour in Schutt und Asche bombardierte, geschah dies vor allem, weil man in Washington zu wenig Kenntnis über die Kriegspläne der Japaner hatte. Ein eigener Auslandsgeheimdienst musste her, ordnete US-Präsident Franklin Roosevelt an – sechs Monate später wurde das Office of Strategic Services (OSS) wurde gegründet. Aus ihm ging 1947 die CIA hervor.

Man orientierte sich dabei am Modell des bereits seit 1909 tätigen, erfolgreichen britischen Auslandsgeheimdienstes Secret Intelligence Service (SIS), oder auch MI6 genannt. Die CIA wiederum hob 1947 den deutschen Auslandsgeheimdienst namens „Operation Gehlen“ aus der Taufe. Ihr Auftrag lautete: Die Ostblockstaaten und die Sowjetunion ausspionieren. Erst 1956 wurde die OG von der deutschen Regierung übernommen, die Organisation in Bundesnachrichtendienst (BND) umbenannt.

Die Sowjetunion, die wiederum mit allen Kräften den Westen ausspionierte, bündelte alle ihre Vorläuferorganisation 1954 im KGB. Bis 1991 blieb der legendäre Gegenspieler der CIA im Amt, ehe er im neuen Russland zu mehreren Nachfolgeorganisationen umgeformt wurde – darunter der SWR.

Agenten, die sich im „Feindesland“ bewegen, bleiben weiter Realität. Doch die größte Aufklärungsarbeit leisten seit Aufkommen von Internet, neuen Medien und Cyberspionage die Späh- und Horchorganisation wie etwa die amerikanische National Security Agency (NSA), die weltweit jede Form von Datenverkehr überwachen kann.

Auch österreichische Aufkläsungsdienste horchen im Ausland, speziell auf dem Balkan, mit – etwa das Heeresnachrichtenamt (HNaA).

General Muhammad Suliman saß Anfang August 2008 auf der Terrasse seines Hauses am Strand neben der syrischen Hafenstadt Tarsus. Verdiente Wochenendruhe: Nur Monate zuvor war eine syrische Atomanlage von israelischen Kampfjets zerstört worden. Suliman leitete ihren Bau. Jetzt plante er schon den Bau einer neuen. Am Morgen fanden die Bediensteten ihn am Boden. Eine Kugel im Kopf und zwei in der Brust. Von Scharfschützen erschossen, die Nachts herangetaucht waren.

Solche Attentate sind es, die den Ruf des etwa 1000 Mitarbeiter zählenden Mossad, Israels Auslandsgeheimdienst, in aller Welt ausmachen. Nirgendwo, auch nicht im Herz einer arabischen Hauptstadt können sich Terroristen sicher fühlen: Imad Murniye, Chefstratege der libanesischen Schiitenmiliz Hisbolla, erwischte es in einem abgesicherten Viertel von Damaskus. Andere in Tunis oder auf der Insel Malta. Niemand nirgendwo sicher.

Auch nicht Wissenschaftler, die an der Entwicklung von Geheimwaffen für Israels Feinde beteiligt sind. Ob im wilden Straßenverkehr Teherans oder in einem ruhigen Vorort Brüssels: Von einem Moped aus kann geschossen werden. Ein Paket kann explodieren. Geschenkte Pralinen sind vergiftet.

„Beobachten und vereiteln“ lautet der Auftrag des Mossad. Wobei die Auswertung unerwähnt bleibt. Doch geht der Mossad gezielter vor als andere Geheimdienste.

Im digitalen Zeitalter mag das Sammeln von Information sogar leichter werden. Doch wo versteckt sich im unendlich wachsenden Material der gefährliche Geheimplan? Der bisher unbekannte Terrorist? Der Akademiker mit harmloser Brille und dem Bauplan zur Massenvernichtung?

Auf der Beerdigung

Die Umwelt sieht oft erst auf der Beerdigung, wen es da getroffen hat: Wenn die Führungsriege der Hamas, der Hisbolla oder der iranischen Revolutionsgarden am Grabe weint. Oder wenn die CIA die Fahndung nach dem Waffenschmuggler und Konstrukteur der „Superkanone“, Gerald Bull, einstellt. Der Kanadier war in Brüssel untergetaucht, wo Unbekannte ihn erschossen.

Die lange Erfolgsliste geht weit zurück: Von der Entführung des Nazi-Verbrechers Adolf Eichmann bis zur Beschaffung eines geheimen sowjetischen MIG-21-Kampfflugzeugs aus irakischen Armee-Beständen. Oder einer streng geheimen Rede des kommunistischen Parteichefs in Moskau.

Wobei die wirklich großen Erfolge unbekannt bleiben. „Verdächtigen alle den Mossad, sind Zweifel angebracht. Redet keiner von ihm, ist er verdächtig“, brachte es ein Experte einmal auf den Punkt. Was durchsickert, soll den Ruf der Allgegenwart und die Angst der Feinde wecken. Was nicht durchsickert, könnte Hollywood auf Jahrzehnte mit Arbeit versorgen.

Fehlschläge

Unumstrittener sind dagegen die großen Misserfolge: Wie das misslungene Attentat auf Hamas-Chef Chaled Maschal. Danach musste Israel den Hamas-Gründer Ahmad Yassin aus dem Gefängnis entlassen. Oder die Tötung eines harmlosen Kellners in Norwegen, der mit einem Terroristen verwechselt wurde. War aber die Tötung des Waffenbeschaffers der Hamas Machmud al Mabchuch ein Misserfolg? In Dubai wurden zwar die beteiligten Agenten durch Kamerabewachung enttarnt. Da waren sie aber schon unerreichbar und Mabchuch tot.

Der Mossad hat genau umrissene Ziele. Um sie zu erreichen, nimmt er auch höhere Risiken in Kauf. Elektronische Datensammlung allein reicht nicht. Es geht nicht ohne den Agenten, der sich in Gefahr begibt und Gefahr verbreitet. Beim Bau der geheimen syrischen Atomanlage verbot General Suliman seinen Ingenieuren jeden elektronischen Datenverkehr. Nur handschriftlich wurden Informationen ausgetauscht. Bis zu jener Sommernacht bei Tarsus am Meer.

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