"Gas-Krieg": Putin und EU spielen mit hohem Einsatz

Niederlage für Putin? Sein Prestige-Projekt South Stream musste er absagen, Gas liefert er dafür statt in die EU in die Türkei.
Auf lange Sicht brauchen die Kontrahenten einander: Moskau den Absatz im Westen, die EU das Gas.

Rund um den Ukraine-Konflikt hat Russlands Präsident Wladimir Putin den Bau der Gaspipeline South Stream gestoppt. South Stream sollte unter Umgehung der Ukraine ab 2017 Gas bis nach Österreich pumpen. Putin wirft der EU vor, die Pipeline zu blockieren. Für den heimischen Ölkonzern OMV ist das Aus bitter. Im Sommer hatte die OMV mit dem staatlichen russischen Energiekonzern Gazprom, der das Sagen bei South Stream hat, trotz Kritik der EU den Bau des rund 50 Kilometer langen Teilstücks auf österreichischem Boden vereinbart. Lesen Sie die Folgen des Baustopps für die Gasversorgung Österreichs und der EU.

Ist Österreichs Gas-Versorgung ohne South Stream gefährdet?

Nein, die Liefermenge ist vom Bau der Pipeline unabhängig. Österreich bezieht derzeit jährlich 4 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland, das sind 50 Prozent des jährlichen Bedarfs. Das Gas fließt über Pipelines, die durch die Ukraine führen (siehe Grafik), die bekannteste heißt "Druschba" (Freundschaft). Allerdings bleibt Österreich ohne South Stream stark abhängig von den Transportrouten über die Ukraine.

"Gas-Krieg": Putin und EU spielen mit hohem Einsatz

Was sind die Gründe für das Aus?

Putin gibt der EU die Schuld. Sie sei an der Pipeline nicht interessiert und blockiere den Bau. Im Hintergrund gibt es allerdings noch andere Gründe. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage sowie des Verfalls des Ölpreises und der Landeswährung Rubel kann sich Russland nach Meinung von Experten das bis zu 25 Milliarden Euro teure Projekt nicht leisten. Bisher wurden laut russischen Medienberichten rund 3,7 Milliarden Euro in South Stream investiert.

Warum lehnt die EU den Bau der Pipeline ab?

Die EU sieht vor allem durch die Konstruktion des Projekts EU-Regeln verletzt. Denn der Mehrheitseigentümer der Pipeline, die Gazprom, ist gleichzeitig auch der einzige Gaslieferant. Außerdem sollen bei der Vergabe von Bauaufträgen in Bulgarien ebenfalls EU-Gesetze verletzt worden sein. Bulgarien hat auf Druck der EU die Arbeiten am Projekt gestoppt. Außerdem will die EU die Position der Ukraine stärken, weil Russland ohne South Stream auf die Pipelines durch die Ukraine angewiesen ist.

Ist das Aus endgültig?

Offiziell muss noch der Aufsichtsrat der Firma South Stream Transport zustimmen. Allerdings hat der Staatskonzern Gazprom dort das Sagen. Manche politische Beobachter meinen allerdings, dass Putin mit dem angedrohten Stopp des Projekts den Druck auf die EU in der Ukraine-Krise erhöhen will.

Wie reagiert die OMV auf den Stopp des South-Stream-Projekts?

Die OMV hat South Stream offenbar noch nicht abgeschrieben. "Ich sage nicht, dass es vorbei ist", reagierte Konzernchef Gerhard Roiss auf Putins Ankündigung. Offiziell sei man von Gazprom noch nicht informiert worden. Mit Gazprom-Chef Alexej Miller hatte Roiss im heurigen Sommer den Bau der Leitung von der ungarischen Grenze bis zum Gasknoten Baumgarten (NÖ) um rund 100 Millionen Euro vereinbart. Über eine Auflösung der Verträge müsse verhandelt werden. Die EU-Energiepolitik kritisiert Roiss scharf, es sei ein Fehler, "Gas als Waffe" zu gebrauchen. Europa brauche für seine Energieversorgung dringend Gas-Highways, in die die Politik nicht eingreifen sollte. Bei der Gasförderung setzt die OMV mittelfristig auf das Schwarze Meer, zu dem sie über die rumänische Tochter Petrom Zugang hat (siehe Bericht unten).

Sind noch andere heimische Firmen betroffen?

Der Stahlriese voestalpine liefert gemeinsam mit einem russischen Partner Pipeline-Rohre. Insgesamt geht es um zwei Aufträge von je rund 100 Millionen Euro. Den ersten Auftrag habe die Voest bereits im heurigen Sommer zur Gänze erfüllt. Auf den Gewinn werde sich der Wegfall des zweiten Auftrages nicht auswirken, die Auslastung in der Sparte Grobblech sei auch ohne South Stream gut.

Details zum voestalpine-Deal

Gibt es Alternativen zu South Stream?

Derzeit nicht. Aber in Zukunft könnte von einer Pipeline in der Türkei ein Gasknoten an der Grenze zu Griechenland gebaut werden.

"Es ist die Entscheidung unserer europäischen Freunde. Sie sind die Kunden." Russlands Präsident Wladimir Putin zeigte sich nach seinem "Aus" für das South-Stream-Projekt gewohnt offensiv. Und in Richtung Bulgarien, das nach Bedenken in Brüssel und Washington die Vorarbeiten an der Pipeline nach Europa im Sommer ausgesetzt hatte, schnappte Putin: "Wenn Bulgarien außer Stande ist, sich wie ein souveräner Staat zu benehmen, dann soll es von der EU-Kommission das Geld für den nicht erhaltenen Vorteil einfordern." Das Geld, das sind 400 Millionen Euro, die Bulgarien nur aus dem Transit von russischem Gas eingenommen hätte.

Der russische Präsident präsentierte sich also als Sieger. Andere, wie die New York Times, sehen in der von Europa faktisch erzwungenen Beendigung des Putin’schen Prestigeprojekts eine seiner seltenen diplomatischen Niederlagen; und einen Sieg der EU und USA.

Wer sind nun tatsächlich die Gewinner und die Verlierer der Entscheidung?

Russland: "Moskau wollte mit seinen Gaslieferungen die Ukraine umgehen, weil die Instandsetzung des ukrainischen Netzes zu teuer ist, und weil es politisch mit Kiew in Konflikt liegt. Dass es das jetzt nicht kann, weil die EU das Genehmigungsverfahren für die Pipeline vom russischen Verhalten abhängig machte, macht aus Russland sicher keinen Gewinner", sagt Christian Wipperfürth, Russlandexperte der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik, zum KURIER. "Aber ob Putin Verlierer ist, wird sich erst weisen. Europa wird russisches Gas noch länger brauchen, vielleicht auf Dauer." Diese Abhängigkeit könnte sich noch rächen.

Türkei:Ankara ist der große Gewinner des South-Stream-Endes. Die Türkei werde von allen Seiten umworben, sagt Wipperfürth. Tatsächlich will Russland das für Europa bestimmte Gas an das NATO-Mitglied Türkei liefern: Ein Memorandum für eine Offshore-Pipeline wurde unterzeichnet, die genau jene 63 Milliarden Kubikmeter Gas befördern kann, die South Stream liefern hätte sollen. Zu einem um sechs Prozent gesenkten Preis.

Ukraine: Für die Ukraine ist die Situation laut Wipperfürth "prekär". Es sei nur kurzfristig Gewinner, weil weiter Gas durch seine Leitungen fließe. "2013 waren es nur noch 50, heuer 40 Prozent des russischen Gases für Europa – in zehn Jahren wird so gut wie keines mehr durch die Ukraine fließen."

Bulgarien:Das ärmste EU-Land ist der große Verlierer. Es hätte mit den erwähnten 400 Millionen Euro Transitgeld von South Stream enorm profitiert. Ob und wie die EU das "Wohlverhalten" Sofias honoriert und den Ausfall kompensiert, ist offen.

Serbien: Auch ein Verlierer. Belgrad, wo Putin im Vormonat noch innige Freundschaft zelebrierte, ist Russland bei South Stream so weit entgegengekommen wie kaum ein anderer Staat (z. B.: Verkauf der Mehrheit seines Erdölkonzerns NIS zum Schnäppchenpreis) – und steht jetzt mit leeren Händen da.

EU: Brüssel hat Putins Prestigeprojekt abgewürgt – ein sehr kurzfristiger Gewinn. "Die EU braucht russisches Gas, und es ist die Frage, ob das konfrontative Vorgehen klug ist", sagt Wipperfürth und verweist auf die russisch-türkische Gas-Annäherung: "Ankara und Moskau sind auch in vielen Dingen uneinig – wieso schaffen die das?"

Die wahre Wachstumsgeschichte für die OMV liege im Schwarzen Meer, nicht in der South Stream, setzte Konzern-Chef Gerhard Roiss am Tag nach dem Stopp des Pipeline-Projekts gleich einen neuen Akzent. Gemeinsam mit dem Öl-Multi Exxon steckt die OMV eine Milliarde Euro in die Suche nach Erdgas im rumänischen Teil des Schwarzen Meeres. In zwei bis drei Jahren soll klar sein, wie viel Gas aus dem Meer geholt werden könne. Und in weiteren zwei bis drei Jahren sei mit einer endgültigen Investitionsentscheidung zur wirtschaftlichen Erdgasproduktion zu rechnen. Mehrere Milliarden Euro müssen dafür aufgebracht werden, "Vor 2020 wird kein kommerzielles Gas aus dem Schwarzen Meer fließen", betonte Roiss. Seien die Funde groß, werde wohl eine Pipeline nach Westeuropa gebaut werden müssen.

Den Zugang zur Exploration im Schwarzen Meer hat der OMV der rumänische Öl- und Gaskonzern Petrom eröffnet. Vor genau zehn Jahren hat die OMV – in zwei Schritten – 51 Prozent an Petrom gekauft und insgesamt 1,5 Milliarden Euro dafür bezahlt. 2004 sei der Einstieg bei Petrom "ein Wagnis, aber auch die letzte Chance" für die OMV gewesen. Die OMV hätte in ihrer damaligen Form ohne internationales Standbein im Wettbewerb gegen die Großen der Branche kaum bestehen können. Petrom war nach dem erfolglosen Werben um die ungarische MOL, um die Raffinerie in Bratislava und um die kroatische INA der vierte Versuch, über Österreich hinauszuwachsen.

Für die OMV die vor zehn Jahren 6500 Mitarbeiter hatte, war der Einstieg bei Petrom mit damals noch gut 50.000 Beschäftigten ein Meilenstein und eine enorme Herausforderung für das Management, immerhin mussten hoch defizitäre Raffinerien saniert und massive Umweltschäden repariert werden. Die Zahl der Mitarbeiter wurde in den zehn Jahren halbiert – "und das ohne eine Stunde Streik", wie Roiss stolz betont. Petrom ist für die OMV zu einem wesentlichen Gewinnbringer geworden. rund die Hälfte des Ertrags liefert die rumänische Tochter. Und Petrom ist schon jetzt – ohne Schwarzmeer-Förderung – ein starker Gas-Produzent. Europäische Gasquellen würden für Europa, dessen Gasproduktion jährlich schrumpfe, immer wichtiger, sagt Roiss. In Rumänien hat es die OMV mit Hightech geschafft, die Produktion in alten Gaslagerstätten, die in früheren Jahren stetig gesunken war, zu stabilisieren. Zumindest bis 2020 soll das so bleiben. Und dann sollte Gas aus dem Schwarzen Meer gepumpt werden.

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