Geld reicht nur noch bis zum Frühsommer

epa03632207 A protester holding a banner shouts slogans during a demonstration outside the offices of the European Union against the plan to seize a part of depositors' bank savings in Cyprus in Athens, Greece, 19 March 2013. The Cypriot Parliament on 19 March rejected a 10 billion euros international bailout package under the terms of an immediate taxation of ordinary depositors. EPA/ALKIS KONSTANTINIDIS
Das Land bringt die gesamte Eurozone in eine prekäre Lage. Die Banken in Zypern bleiben bis Dienstag geschlossen.

Zypern befindet sich im Ausnahmezustand. Das Parlament lehnte Dienstagabend die Einführung einer Zwangsabgabe von einem Großteil der Sparguthaben der Bevölkerung ab – das war allerdings die Bedingung für die Freigabe der Rettungsgelder durch die EU. Die politische Führung in der Hauptstadt Nikosia sucht nun nach einem Ausweg aus der drohenden Staatspleite. Das hochverschuldete Land kann ohne Hilfe höchstens noch bis zum Frühsommer durchstehen. Die Euro-Gruppe sieht Zyperns Regierung am Zug. "Wir warten auf einen Gegenvorschlag mit gleicher Wirkung", so ein Euro-Gruppen-Vertreter in Brüssel.

Banken bleiben zu

Um 17 Uhr (MEZ) trat in Zypern der Ministerrat zusammen, um über die Lage zu beraten. Die Hoffnung der Bevölkerung, dass die Banken schon am Donnerstag unter strengen Auflagen wieder öffnen könnten, erfüllte sich aber nicht. Noch während der Beratungen teilte die zypriotische Zentralbank am Abend mit, dass die Geldinstitute wie ursprünglich angekündigt bis Dienstag geschlossen bleiben.

EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen wies in einem Gespräch mit der Zeit darauf hin, dass die EZB die überlebenswichtigen Hilfskredite stoppen könnte, wenn es zu keiner Einigung auf ein Hilfspaket kommen würde.

Frankreich: "Ein Fehler"

Versöhnlichere Töne kamen aus Paris. "Die Geschichte zeigt, dass es ein Fehler war, das Projekt (dem Parlament) so vorzulegen, wie es die zypriotische Regierung getan hat", sagte die französische Regierungssprecherin Najat Vallaud-Belkacem am Mittwoch. "Es ist legitim, dass sich die zypriotische Bevölkerung gegen eine Abgabe auf kleine Ersparnisse stemmt."

Eine Reportage von Stefan Schocher aus Nikosia über die Stimmung in der Bevölkerung lesen Sie hier.

Auch die EU-Kommission hielt am Mittwoch fest, dass Alternativlösungen" akzeptabel gewesen wären, "vorzugsweise ohne Zwangsabgabe für Einlagen unter 100.000 Euro". Die zypriotische Regierung habe aber kein alternatives Szenario akzeptiert.

Aber was sind nun die denkbaren Szenarien, um doch noch zu einer Lösung zu kommen?

Szenario 1: Das bestehende Modell modifizieren

Das bisherige Modell, das von Zypern einen eigenen Sanierungsbeitrag in Höhe von rund sieben Milliarden Euro einfordert, könnte überarbeitet werden. Denkbar wäre, dass sich das kleine Land dazu durchringt, die großen Bank-Guthaben viel stärker zu belasten. Darauf hoffen viele Politiker in Europa. Bisher sah die im Parlament durchgefallene Zwangsabgabe auf Bank-Guthaben bei Vermögen oberhalb von 100.000 Euro einen Satz von 9,9 Prozent vor. Werden die Reichen stärker in die Pflicht genommen, könnte die Masse der Sparer mit Summen bis zu 100.000 Euro geschont - und der Volkszorn beschwichtigt - werden. Eine solche Lösung hieße jedoch, dass das Land seinen Ruf als attraktive Steueroase für ausländische Investoren, insbesondere reiche Russen und Briten, verlieren würde.

Zypern könnte sich aber auch entscheiden, seinen eigenen Beitrag auf einem anderen Wege aufzubringen, etwa durch zusätzliche Privatisierungen oder Steuererhöhungen. Auch der Verkauf von Ausbeutungsrechten für große Rohstoffvorkommen wäre denkbar.

Szenario 2: Die Euro-Geldgeber bewegen sich

Eine weitere Möglichkeit ist, den Eigenbeitrag Zyperns zu verringern. In diesem Fall müssten die Hilfen der Europäer und des Internationalen Währungsfonds (IWF) für den zypriotischen Staat über die bisher vorgesehene 10-Milliarden-Euro-Marke ausgeweitet werden. Das würde allerdings die Schulden des Landes in die Höhe treiben, und zwar mittelfristig auf Werte von deutlich über 100 Prozent der Wirtschaftsleistung - ein kaum tragfähiges Maß. In diesem Fall könnte der IWF nicht mitziehen, was wiederum für viele Euro-Länder, nicht zuletzt Deutschland, eine Beteiligung ebenfalls sehr schwer machen würde.

Szenario 3: Die russische Karte

Als "weißer Ritter" könnte Russland auftreten und Zypern aus der Patsche helfen. Allerdings reichen die Streckung eines bestehenden Kredits über 2,5 Milliarden Euro sowie möglicherweise bessere Konditionen für das Darlehen nicht aus. Spätestens im Juni, wenn eine große Anleihe in Zypern fällig wird, braucht das Land noch mehr Geld. Ein neuer Kredit aus Russland könnte helfen, würde die Verschuldung des Landes aber ebenfalls in die Höhe treiben. Ein Ausweg könnte eine Art Verpfändung von Gasvorkommen an Russland sein, vielleicht auch an andere Investoren aus dem Ausland. Damit würde Zypern aber den Wohlstand von morgen verschenken.

Szenario 4: Die Staatspleite

Das schlechteste Szenario: Zypern rutscht ungeordnet in die Staatspleite. Rechnungen im In- und Ausland würden nicht mehr beglichen, Anleihen nicht mehr bedient. Leidtragende wären alle, die Forderungen an den Staat und seine Banken hätten.

Zypern steht lediglich für knapp 0,2 Prozent der Wirtschaftsleistung der Eurozone. Manche Experten hoffen deswegen, dass eine Pleite verkraftbar wäre. Allerdings haben die maßgeblichen Akteure, allen voran der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble, immer argumentiert, bei der Überwindung der Schuldenkrise gehe es vor allem um Vertrauen. Wenn nun aber mit dem Fall Zypern das Vertrauen in der Welt erschüttert wird, dass die Eurozone mit all ihren Mitgliedern stabil und verlässlich zusammensteht, könnte das an den Finanzmärkten Glaubwürdigkeit kosten. Und das würde wieder höhere Zinsen, weniger Wachstum und mehr Arbeitslosigkeit bedeuten.

„Wir bleiben hier, bis wir eine Einigung erzielt haben.“ Die Verhandlungen, sagte Zyperns Finanzminister Michalis Sarris nach der Begegnung mit seinem russischen Amtskollegen Anton Siluanow, seien „sehr konstruktiv, gut und fair“ gewesen. Nun würden sie an einem anderen Ort fortgesetzt. Bei Vizepremier Igor Schuwalow, wie sich später herausstellte. Der Grund: Plan A ist gescheitert.

Dienstagabend hatte Zyperns Parlament der Einmalsteuer für alle Konten, die die Euro-Troika zur Bedingung für die Rettung des kollabierenden Bankensystems des Inselstaates gemacht hatte, abgeschmettert. Und Nikosia aktiviert Plan B: Rettung durch Russland. Zu dessen Bedingungen.

Schon im Februar, als sich Anzeichen für den drohenden Staatsbankrott verdichteten, war die Sonneninsel in Moskau wegen Umschuldungsverhandlungen vorstellig geworden. Russland hatte Zypern schon 2011 einen ersten Rettungskredit in Höhe von 2,5 Mrd. – mit einer Laufzeit von fünf Jahren – gewährt. Nikosia will die Tilgung bis 2020 strecken. Doch das ist inzwischen eher Nebensache.

Denn Zypern will sich nach dem Scheitern der EU-Mission von Moskau weitere Milliarden leihen. Eigens dazu hatte Präsident Nikos Anastasiades zu Wochenbeginn mit Amtsbruder Wladimir Putin telefoniert. Angesichts der Risiken will dieser das Darlehen zuverlässig besichern. Medienberichten zufolge mit Übernahme zypriotscher Energievorkommen durch den staatsnahen Monopolisten Gazprom und durch Einstieg russischer Geldhäuser bei den Insel-Banken. Deren Vertreter saßen bei den Verhandlungen mit Vizepremier Igor Schuwalow mit am Tisch.

Steueroase

Moskau hat für den Deal gleich mehrere gute Gründe: Das Großkapital war schon in den Neunzigern in die damalige Steueroase im Mittelmeer geflüchtet, den Russen gehört derzeit ein Drittel der Gesamt-Einlagen von 70 Milliarden Euro. Bei einem Zusammenbruch der Insel-Banken wäre das Geld futsch. Und damit womöglich auch die Loyalität der Oligarchen. Denn Schutz nationaler Wirtschaftsinteressen gehört zu den Prioritäten russischer Außenpolitik.

Die Top Ten der Steueroasen

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REUTERSFile photo of a tennis supporter holding a Swiss national flag during a match at the Rome Masters tennis tournament May 11, 2011. Switzerland will allow banks to hand over the names of any employees and other third parties who helped wealthy Americ

Entsprechend nervös reagierten Kreml und Regierung denn auch auf die geplante Einmal-Steuer. Diese, so Putin, sei „ungerecht, unprofessionell und gefährlich“. Ministerpräsident Dmitri Medwedew drohte sogar mit „Korrektur“ des gesamten Komplexes bilateraler Beziehungen, sollte das Insel-Parlament die Forderungen der Euro-Troika absegnen.

Dabei schwang auch die Wut darüber mit, dass die EU sich nicht mit Russland abgestimmt und die sonst in Moskau wohlgelittene Bundeskanzlerin Angela Merkel Zypern sogar untersagt hatte, über die Rettung mit Partnern außerhalb der Eurozone zu verhandeln. Russland, so Finanzminister Siluanow, werde daher schon am Montag nach einer eigenen Lösung suchen.

Dabei, so kritische Experten, gehe es längst nicht mehr nur um Zypern. Die Insel sei in Moskaus strategischen Planspielen nur der Testballon für eine mögliche Rettung anderer EU-Südstaaten.

Europäische Aktienanleger haben am Mittwoch auf eine Lösung der Zypern-Krise gebaut. Trotz des Scheiterns des EU-Rettungspakets im Parlament in Nikosia zogen die Kurse europaweit an. Der Dax gewann 0,7 Prozent auf 8.000 Punkte, der EuroStoxx stieg um 1,2 Prozent auf 2.704 Zähler. Die Leitindizes in Madrid und Mailand zogen noch stärker an. Die Börse in Zypern blieb - wie auch die Banken - geschlossen. Die Wall Street startete gut gelaunt in den Handel.

"Wenn uns das vergangene Jahr irgendetwas gelehrt hat, dann, dass die europäischen Politiker bereit sind, alles zu tun, um den Euro zu retten", sagte Marktanalyst Nick Beecroft von Saxo Capital Markets. "Ich gehe davon aus, dass die Zypern-Krise gelöst wird, das ist eine einmalige und vergleichsweise kleine Sache." Börsianer sagten, dass der jüngste Rücksetzer an den Aktienmärkten von Investoren, die die vorangegangene Rally verpasst hatten, als Einstiegschance genutzt werde.

Gegen 18 Uhr kostete der Euro 1,2951 Dollar. In der Früh war er noch bis auf 1,2857 Dollar gesunken. Im Zweifel werde schon die Europäische Zentralbank (EZB) einspringen, erläuterten Börsianern die Überzeugung der Anleger.

25. Juni Zypern bittet die Eurozone um Hilfe, nachdem zwei große Banken im Fahrwasser der Griechenland-Krise Verluste von zusammen 4,5 Milliarden Euro erlitten.

1. Juli Ungeachtet der Krise übernimmt Zypern für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft.

8. Oktober Die EU drängt Zypern, einem Rettungsplan der Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) zuzustimmen. Dieser sieht für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst Gehaltskürzungen von 15 Prozent sowie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vor. In der Folge ziehen sich die Verhandlungen mit der regierenden Linkspartei Akel aber hin.

3. November Der Spiegel berichtet unter Berufung auf einen Bericht des Bundesnachrichtendienstes (BND), dass eine Rettungsaktion für Zypern vor allem Inhabern russischer Schwarzgeldkonten nutzen würde. Russische Staatsbürger hätten bei zypriotischen Banken 26 Milliarden Dollar (20,1 Milliarden Euro) gebunkert.

22. November Die zypriotische Regierung beziffert den Finanzbedarf des Landes auf rund 17 Milliarden Euro.

21. Dezember Der russische Präsident Wladimir Putin schließt Finanzhilfen für Zypern nicht aus, falls eine europäische Rettungsaktion scheitert.

11. Jänner 2013 Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) drängt Zypern bei einem Besuch auf der Mittelmeerinsel zu Reformen

24. Februar Der als Sparkursbefürworter geltende Konservative Nikos Anastasiades wird neuer Präsident Zyperns. Er erklärt zur Priorität, das Vertrauen in das Land wiederherzustellen.

4. März Angesichts anhaltender Vorwürfe der Euro-Partner, ein Paradies für Geldwäsche zu sein, stimmt Nikosia einer unabhängigen Prüfung der Finanzströme auf die Insel zu.

16. März Die Finanzminister der Eurozone und der IWF einigen sich darauf, Zypern mit bis zu zehn Milliarden Euro zu unterstützen. Die Differenz zu den ursprünglich verlangten rund 17 Milliarden Euro muss Nikosia durch höhere Staatseinnahmen aufbringen, etwa durch Privatisierungen und höhere Unternehmenssteuern, aber vor allem durch eine Abgabe auf Bankeinlagen, die insgesamt 5,8 Milliarden Euro bringen sollen.

17. März Nach empörten Protesten zypriotischer Bürger verschiebt die Regierung die geplante Parlamentsdebatte über das Krisenpaket.

18. März Unter dem öffentlichen Druck kündigt Nikosia an, das Rettungspaket zugunsten der Kleinanleger neu zu verhandeln. Die Banken werden vorerst bis einschließlich Mittwoch geschlossen, um panikartige Abhebungen von den Konten zu verhindern. Die Eurozone fordert Nikosia am Abend auf, "Einlagen unter 100.000 Euro vollkommen zu garantieren".

19. März Die zypriotische Regierung beschließt, Bankeinlagen von unter 20.000 Euro von der Zwangsabgabe auszunehmen. Dennoch fällt das Rettungspaket am Abend im Parlament durch - es gibt keine einzige "Ja"-Stimme. Vor dem Parlament jubeln tausende nach der Ablehnung.

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