Streicher: "Wir brauchen keine Dritte Republik"

Streicher leitete in den 1980er-Jahren die Verstaatlichten-Privatisierung ein
Der ehemalige SP-Minister und Hofburg-Kandidat lobt Kern und erinnert sich gern an Rot-Blau.

KURIER: Christian Kern hat als neuer Kanzler und SPÖ-Chef ganz entgegen bisherigen Usancen hart mit seinen Vorgängern und der ganzen Regierung abgerechnet. Er hat beiden Seiten wörtlich Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit vorgeworfen. Was sagen Sie zu diesem Befund?

Rudolf Streicher: Der Wechsel an der Spitze der SPÖ war –angefangen von der Art des Rücktritts von Werner Faymann bis hin zu der Art der öffentlich ausgetragenen Personaldiskussionen, alles andere als elegant. Er war aber überaus wirkungsvoll und effektiv und es hat sich gezeigt, dass der spektakuläre und riskante Paukenschlag des Christian Kern ein richtiger und offenbar auch notwendiger Weg war, die Partei aufzurütteln und neu auszurichten. Kern war offenbar sehr gut vorbereitet, und zweifellos war dieser Auftritt schon seit Längerem geplant.

... also ein Putsch mit Anlauf ...

(lacht) ... das könnte man fast so sagen. Christian Kern war jedenfalls sattelfest. Das hat man daran gemerkt, dass jede seiner wichtigen Äußerungen inhaltlich und sprachlich perfekt gesessen ist. Das war eine brillant komponierte Ouvertüre. In dieser Koalition muss man allerdings auch ein besonders guter Chormeister sein und das wird in Kenntnis der handelnden Personen schwierig. Es gibt ja jetzt schon innerhalb der Koalition Stimmen, die meinen, man sollte das mögliche Entstehen eines Kanzlerbonus schon im Keim ersticken.

Auffallend war, dass er massive Kritik an seinen Vorgängern geübt hat ...

Das hat auch mich überrascht, zumal eine der zentralen Management-Grundsätze im Zusammenhang mit der Übernahme von Führungsfunktionen immer war und ist: "Schimpfe nie über Vorgänger (und Nachfolger)". Diese Regeln kennt natürlich auch Christian Kern, aber es war ihm offenbar die Kritik an der bisherigen Regierung aus taktischen Gründen deshalb so wichtig, weil er damit alle anderen wichtigen Aussagen in seiner Rede wirkungsvoll unterstreichen und verstärken konnte. Auf Basis dieser Kritik konnte er auch das Ende des bisherigen Regierungsstils glaubwürdiger ankündigen. Jedenfalls waren seine Aussagen der erste, wichtige Schritt, die pessimistische Stimmung in unserem Land zu reduzieren. Diese massive Schelte in die Rede einzubauen war daher richtig.

Ist Kern der richtige Mann?

Zweifellos. Eine Führungsfigur seines Typs mit einem so ausgeprägten Führungswillen und so großer Erfahrung ist für die derzeitige politisch extrem schwierige Phase sicher eine gute Wahl. Er kann ohne einen vergangenheitsbezogenen Fehler-Rucksack und damit mit einer politisch weißen Weste antreten. Das ist schon die halbe Miete.

Hatte dieser Erstauftritt des Kanzlers Einfluss auf die Bundespräsidentenwahl?

Ganz sicher. In Hinblick auf das knappe Ergebnis muss man sogar sagen, dass er sie entschieden hat.

Dennoch wäre vor einer Woche fast der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer zum Bundespräsidenten gewählt worden. Hätte das aufgrund seiner Aussagen im Wahlkampf das Ende der 2. Republik, wie wir sie kennen, bedeutet? Brauchen wir ein anderes politisches System?

Nein, wir brauchen kein anderes politisches System und schon gar nicht eine Dritte Republik mit einer monocoloren Machtkette. Allein die Spekulation in diese Richtung macht mir schon Angst.Die Regierung sollte aber schnellstens in die vorhandene politische Ordnung neue Inhalte und Ideen, verbunden mit einem entsprechenden Durchsetzungselan, einbringen. Wenn wir etwas über Bord werfen müssen, dann ist es die derzeitige politische Kultur.

Halten Sie eine solche monocolore Macht-Kaskade wirklich für möglich?

Sie ist nach der Wahl von Van der Bellen vorerst ohnehin nicht zu befürchten. Die Verfassung schließt sie allerdings nicht aus. Die erste Voraussetzung dafür wäre ein der Regierungspartei höriger Bundespräsident und eine absolute Mehrheit. In einem so unwahrscheinlichen Fall glaube und hoffe ich doch, dass es in Österreich letztendlich ausreichend viele besonnene Wähler gibt, die einen solchen Zustand abwehren würden. Im Übrigen hat sich der Wähler-Wunsch nach Machtbalance bisher bei allen Präsidentschaftswahlen seit dem 2. Weltkrieg gezeigt. Kein Kandidat, der von der jeweiligen Kanzlerpartei nominiert wurde, gewann im ersten Durchgang.

Rudolf Kirchschläger schon ...

Sie haben Recht, das war aber die einzige Ausnahme. Sie hat nur deshalb funktioniert, weil den von der SPÖ nominierten konservativen Kirchschläger, der sogar vorher ÖVP-Mitglied war, wirklich niemand als Sozialdemokraten eingestuft hat. Kreisky hat offenbar das Balancebedürfnis der Wähler gespürt und berücksichtigt. Der Gefahr, dass eine Macht-Kaskade entsteht, ist er damit bewusst aus dem Weg gegangen.

Halten Sie jetzt eine rot-blaue Koalition auf Bundesebene für möglich?

Ich war selbst kurze Zeit Minister in einer rot-blauen Koalition. Natürlich war damals die FPÖ anders gestrickt als heute. Das ist aber in Hinblick auf eine sachliche Regierungsarbeit nicht unbedingt relevant. Jedenfalls erinnere ich mich gerne an die wirklich gute Zusammenarbeit mit den damaligen FPÖ-Regierungskollegen. Ich muss sogar sagen, dass ich mich in meinen folgenden sechs "ÖVP-Koalitionsjahren" in jeder Hinsicht mit den ÖVP-Partnern bei der Lösung der damals anstehenden Probleme viel schwerer getan habe.

Wie würde das heute aussehen?

Wenn im Fall des Zusammengehens mit der FPÖ die von ihr nominierten Regierungsmitglieder in erster Linie die Problemlösungen und nicht den Populismus im Auge haben. Und wenn sie sich an die genau definierten Rahmenbedingungen halten und die gemeinsam festgelegten Ziele zügig mit anstreben und vereinbarte Projekte und Pläne konstruktiv mit realisieren wollen, kann ich mir eine Koalition auch mit der FPÖ vorstellen. Es kommt aber wie immer in erster Linie auf die handelnden Personen an. Ein Fan von Rot-Blau bin ich allerdings nicht.

Glauben Sie, dass es bald Neuwahlen geben könnte?

Neuwahlen sind das allerletzte Mittel, das man einsetzen muss, wenn man zur Erkenntnis kommt, dass die geplanten Programme nicht mehr umgesetzt und Ziele nicht mehr verfolgt werden können. Also wenn politischer Stillstand, aus dem man nicht mehr herauskommen kann, entstanden ist. Sie waren nie populär und immer mit dem schalen Beigeschmack des Davonlaufens vor den Problemen verknüpft. Die Regierung müsste sie beantragen oder eine der Regierungsparteien müsste sie durch Austritt aus der Koalition auslösen. Das ist im Augenblick nicht wahrscheinlich, weil die Regierungsparteien in einem so hohen Maß verlieren würden, dass man von einem politischen Selbstmord sprechen könnte. Ich glaube, dass das beide sehr genau wissen und daher alles tun werden, um aus dem Stillstand herauszukommen.

Was wäre jetzt die richtigere Strategie?

Die Regierungsparteien müssen jetzt – und das werden sie tun – die vorhandenen Projekte nachschärfen und das eine oder andere auch neu entwickeln. Das wichtigste ist, dass sie gemeinsam Führungsstärke zeigen und etwaige Differenzen – so wie es in der Steiermark in den letzten Jahren eindrucksvoll geschehen ist – hinter dem Vorhang und nicht in der Öffentlichkeit austragen. Diese positive Art der Zusammenarbeit hat in der letzten Zeit am meisten gefehlt. Die Rechnung wurde ja präsentiert.

Was ist vorrangig für Sie?

Die drängendsten Probleme sind die hohe Arbeitslosigkeit und das schwache Wachstum. Wie könnte man das Wirtschaftsklima verbessern? In der heutigen globalen Verflechtung der Wirtschaft gibt es keine einfachen Rezepte. Aber wenn man sich den Wust an Vorschriften anschaut, mit denen Unternehmen konfrontiert sind, ist es offensichtlich, dass es Reformen geben muss, um die Investitionen wieder in Gang zu setzen.

KURIER-Serie: Zweite Republik - war's das?

Politik

1986 wurde Rudolf Streicher Bundesminister für Öffentliche Wirtschaft und Verkehr. Bei der Bundespräsidentschaftswahl 1992 verlor er mit 43 Prozent in der Stichwahl gegen Thomas Klestil. Im ersten Wahlgang war er noch vorne gelegen.

Wirtschaft

Streicher war von 1981 bis 1986 Generaldirektor und Vorstandsvorsitzender der Austria Metall AG. Von 1992 bis zum Verkauf der Firma an Frank Stronach im Jahr 1998 war er Generaldirektor der Steyr-Daimler-Puch AG.

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