Re-Industrialisierung: Ohne Ingenieur wird’s schwer

Der Stellenwert der Produktion in Europa soll wieder deutlich gehoben werden.
EU-Kommissar Antonio Tajani will die Jugend zurück an die Werkbank bringen.

Wenn früh am morgen die Werksirene dröhnt ... Geht es nach den Willen der EU, muss für den Aufschwung wieder kräftig in die Hände gespuckt werden. Nur durch eine Re-Industrialisierung könnten in Europa neue Jobs entstehen und der Wohlstand abgesichert werden, wirbt EU-Vizekommissionspräsident Antonio Tajani bei einem Wien-Besuch für einen eigenen „Industriepakt“.

„Wir brauchen in Europa weniger Finanzexperten, dafür mehr Ingenieure“

Dieser sieht vor, dass die EU bis 2020 den Industrieanteil an der Wirtschaftsleistung von derzeit 15,3 auf 20 Prozent steigert. Österreich liege mit 18,2 Prozent schon „nahe dran“, lobt Tajani, der in der EU-Kommission für die industrielle Entwicklung zuständig ist. Die Produktion ankurbeln will er durch mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung, niedrigere Energiepreise sowie eine engere Verzahnung von Schule und Betrieb bei der Jugendausbildung.

„Wir brauchen in Europa weniger Finanzexperten, dafür mehr Ingenieure“, sagt Tajani und sieht Österreichs duales Ausbildungssystem als Vorbild. Dass auch Österreichs Industriebetriebe immer weniger Lehrlinge ausbilden, soll sich laut Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl bald ändern. „Wir verzeichnen wieder eine Trendwende, die Ausbildungsqualität in der Industrie ist gut.“ Im Vorjahr gab es ein Minus von 1,3 Prozent auf 16.000 Industrie-Lehrlinge (ohne Gewerbe). Zum Vergleich: Der Handel bildet fast 18.000 Lehrlinge aus.

Klimaschutz

Mit Blick auf die vom Gas- und Ölrausch angeheizte US-Industrie sprechen sich Tajani und Leitl für ein Umdenken in der Klimaschutzpolitik aus. „Manchmal ist ein zu großer Ehrgeiz bei der Umweltpolitik der Feind des Guten“, meint Tajani und warnt vor einer Verschärfung der bis 2020 fixierten Umweltziele. Es nütze dem Klimaschutz nichts, wenn Europas Industriebetriebe in Entwicklungsländer mit laxeren Umweltvorschriften abwandern.

Eine Schlüsselrolle für die Wettbewerbsfähigkeit spielen die Energiepreise. Leitl klagt, dass der Gaspreis innerhalb von sieben Jahren in Europa um 35 Prozent gestiegen und in den USA um 60 Prozent gesunken sei. Mit ein Grund, warum die voestalpine in den USA expandiert. Leitl hält auch die Strompreise in Österreich für um 15 Prozent zu hoch – „wo sind da die Konsumentenschützer?“ – und will Förderungen umlenken: „Wir sollten mehr Energieeffizienz fördern und weniger Einspeistarife.“

Tourismus

Als vorbildhaft für Europa bezeichnet der EU-Kommissar den heimischen Tourismus. Um noch mehr Nicht-EU-Bürger als Touristen zu locken, kündigt Tajani eine Erleichterung der Visumvergabe für Chinesen oder Russen an. Ein entsprechender EU-Vorschlag wird kommende Woche vorstellt. Die Österreichische Hoteliervereinigung (ÖHV) begrüßt eine weitere Erleichterung bei den Visa. Zugleich klagt ÖHV-Präsident Gregor Hoch aber über Nachteile gegenüber der Industrie bei der Substanzbesteuerung: „Die Industrie fährt mit ihren Grundstücken am Rand der Peripherie gut. Aber die Hotellerie braucht Top-Standorte und investiert darin noch. Hier muss die Politik ausgleichend eingreifen“, fordert Hoch.

Kommentare