Prognosen sind fast immer daneben? Macht nichts!

Rationalität statt Hysterie: Ohne Prognosen würde "nebulösen Akteuren" wie Wahrsagern das Feld überlassen
Sinn und Unsinn von Konjunkturprognosen: "Vermitteln das Gefühl, dass man die Zukunft im Griff hat."

Wirtschaftsprognosen sind unersetzlich, auch wenn sie nicht immer stimmen. Das ist der Kern einer Diskussionsveranstaltung am Institut für Höhere Studien (IHS). Jede einzelne Investition sei eine Wette auf die Zukunft und daher von Prognosen abhängig, und auch eine Blasenbildung könne man damit erkennen, meinte OeNB-Gouverneur EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny.

Prognosen würden dem Wunsch nach Planbarkeit entsprechen - und heute sehe man, dass der Bedarf stark zunehme, sagte der im Wirtschaftsforschungsinstitut für BIP-Prognosen verantwortliche Wifo-Vizechef Marcus Scheiblecker am Montagabend. Vieles an Prognosen sei aber nur eine Art Sensibilitätsanalyse, sogar von einer „Unberechenbarkeit“ des BIP könne man sprechen. So wisse man eigentlich bis heute nicht genau, was „Produktion“ sei und wie sie zu messen sei. Ähnliches gelte für „Output-Lücke“ oder „strukturelles Defizit“.

Sehr wichtig an Prognosen sei „das Narrative“, so Scheiblecker, also die Äußerung, die sich auf etwas Historisches bezieht: „Es geht um das Gefühl, dass man die Zukunft im Griff hat.“ So habe man vor Erfindung des Blitzableiters Hirschgeweihe aufgestellt. Die Gefahr der Rückwirkung einer Prognose auf die Menschen gebe es schon - anders als etwa bei einer meteorologischen Vorhersage, auf die das Wetter nicht reagieren könne.

"Jubelzahlen" gehen nach hinten los

Sicher nicht könne man sich allerdings mithilfe geschönter Prognosen „selbst herausziehen aus dem Morast“, erst recht nicht als kleine Volkswirtschaft wie Österreich. Wenn etwa solcherart bei uns die Konsumstimmung angekurbelt werden sollte, würde wegen des hohen Importanteils „ Deutschland davon mehr profitieren als wir“, meinte Scheiblecker. „Jubelzahlen schwindeln wir nicht hinein“, betonte er, „denn wir würden die Glaubwürdigkeit über drei Jahre verlieren.“ Nicht alle Vorhersagen seien aber haltbar, denn es habe seinerzeit vor dem Crash auch „schöne Prognosen über die Nachhaltigkeit der Immobilienpreise in den USA“ gegeben. Das zeige, dass gerade die Gleichschaltung von Prognosen die Tür für eine Blasenbildung öffnen könne.

Wenn etwa Investitionen jährlich um 30 Prozent klettern oder Bankkredite um 40 Prozent, so sei eine Blase und das Risiko von Ausfällen schon zu erkennen, erzählte Nowotny aus einer früheren Tätigkeit für ein börsennotiertes Unternehmen, als über ein Werk im Ausland zu entscheiden war, „wo man eine Prognose auf 30 Jahre abgeben“ musste. Selbst wenn es nur um die Anschaffung einer Maschine für zehn Jahre gehe, spielten die Erwartungen zum Absatz in der Zeit eine Rolle.

Natürlich benötige jede Prognose auch eine Theorie dahinter - etwa für mittelfristige Wechselkursprognosen, meinte Nowotny, gelernter Jurist und Ökonom. Auch die viel zitierte „immanente Stärke der US-Wirtschaft“ sei da zu nennen. Wann die Blase platzt, habe die Theorie aber nicht sagen können - obwohl gerade das für bestimmte Händler besonders interessant gewesen wäre.

"Rationalität statt Hysterie"

Für den OeNB-Gouverneur ist es eine wichtige Rolle von Notenbanken, Rationalität in Prognosen hineinzubringen und damit Hysterie zu senken und der Versuchung zu widerstehen, schlechte Nachrichten zu Sensationen zu machen. Wegen der möglichen Rückwirkung auf die Wirtschaftsakteure sollten jene, die Prognosen erstellen, wirklich das prognostizieren was richtig ist. Denn eine Prognose etwa, die das Wifo vor einer Lohnrunde herausgebe, sei ohnedies immer den einen zu hoch und den anderen zu niedrig, so Nowotny.

Wenn Wirtschaftsprognosen immer früher verlangt werden - etwa vom EU-Statistikamt Eurostat womöglich demnächst die erste nationale BIP-Schätzung jeweils schon 30 Tage nach Quartalsende statt nach 45 Tagen, „dann gibt es durchaus einen Zielkonflikt zwischen Schnelligkeit und Genauigkeit“, gab Prof. Roland Döhrn vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) zu bedenken. Bessere methodische Ansätze ließen sich kaum noch finden, bessere Daten wahrscheinlich schon. Manche Bereiche würden aber vielleicht „weiße Flecken“ bleiben, so Döhrn der beim RWI den Bereich „Wachstum, Konjunktur, Öffentliche Finanzen“ leitet: Über den Dienstleistungssektor „erfährt man in Deutschland sehr wenig. Da kollidiert man mit dem Ziel der Deregulierung“, hier der „Abschaffung der Statistik“; „früher waren wir dichter am Puls der Zeit“.

Die „Grenzen von Prognosen“ sieht Döhrn dort, wo es entweder eine unklare Ausgangslage gibt - „wir schießen auf sehr viele bewegliche Ziele“ - oder wenn der Zeitraum zu weit in die Zukunft gerichtet sei. Prognosen über einen sehr langen Zeitraum seien einfach ungenau, dennoch werde womöglich eine Prognose für das jeweils übernächste Jahr bald ins Pflichtenheft der Institute kommen, meinte der RWI-Experte. Wifo und IHS etwa haben zuletzt bei ihrer Herbstprognose noch nicht mit Vorschauen auf 2017 aufgewartet. Manchmal, so Döhrn, sei es auch hilfreich, einfach die durchschnittliche Veränderungsrate etwa der letzten zehn Jahre einzusetzen; „das ist vielleicht das Genaueste; der Rest ist Konjunkturlyrik“.

Wettbewerb ist wichtig

Wichtig sei auch Konkurrenz unter den Prognoseinstitute: „Ja, es sollte hier durchaus Wettbewerb herrschen“, so Döhrn. Der Nutzen von Prognosen sei unbestreitbar. Sie würden die Grundlage für Budgetplanung, mittelfristige Haushaltsplanung und Steuerschätzung bilden. Und in Deutschland laute die Regel, dass die Prognose der Regierung nicht zu sehr von der Gemeinschaftsprognose der Institute abweichen sollte; dabei ist das IHS Partner-Institut des RWI. Österreich pflegt das System regierungsunabhängiger Prognosen bereits seit den 1960er-Jahren, erinnerte Alfred Katterl, Abteilungsleiter Allgemeine Wirtschaftspolitik, im Wiener Finanzministerium: „Dieses Modell machte also Schule.“

Als Handlungsanleitung

Ja, Wirtschaftsprognosen seien „sinnvoll und wichtig“, betonte auch Werner Reichmann von der Uni Konstanz, der kurz seiner Habilitierung zum Thema Wirtschaftsprognostik steht. „Eigentlich ist uns die Zukunft nicht zugänglich“, knüpfte er an ein von Döhrn gebrachtes Zitat aus Oskar Morgensterns Habil-Schrift an, wonach die „ökonomische Prognose grundsätzlich unmöglich“ sei. Aus wissenschaftssoziologischer Perspektive stellte Reichmann als eine These auf, dass Prognosen „weniger mit der Zukunft als mit der Gegenwart zu tun“ hätten.

Sie würden ihre handlungsleitende Wirkung im Heute entfalten, Ziel sei eine „Konsenszukunft“ und eine „Synchronisation der Erwartungen“. Natürlich brauche der Staat als Verwaltungseinheit Wirtschaftsprognosen. Doch es gebe schon zu viele: „Ich bekomme circa 40 Prognose-Mails pro Monat allein aus Deutschland“, und in den Medien sei die Zahl der Konjunkturprognoseberichte unüberschaubar: „Es gibt nichts, was noch erfolgreicher ist - außer der Wetterprognose, weil Christa Kummer jeden Abend fünf Minuten reden darf.“

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