Österreichs Bürokratie "wie Schärdinger Granit"

Die Schieflage im Land verstärkt sich unbemerkt.
Deutscher Blick auf Österreich: Worüber sich Handelsblatt-Korrespondent Siebenhaar wundert und was er vorschlägt.

Das "verführerisch schöne Land zwischen Neusiedler See und Bodensee" zu erkunden, war seine Mission schon als Student. Der Deutsche Hans-Peter Siebenhaar wollte nahtlos von den USA nach Österreich wechseln, erlebte aber am eigenen Leib den Umgang Österreichs mit besser gebildeten Immigranten: Er scheiterte an der Bürokratie.

Viele Jahre später nun ist Siebenhaar Österreich- und Südosteuropa-Korrespondent für das Handelsblatt. Und trotz aller Sympathie wagt er einen überaus kritischen Blick hinter die hübsche Fassade der "zerrissenen Republik". Um – wie er sagt – seinen Beitrag zu leisten, das Land wieder dort hinzubringen, wo es hingehört: "an die politische und wirtschaftliche Spitze in Europa".

Lautloses "Servus"

Der Befund des Deutschen: Man lebt hierzulande über die Verhältnisse – trotz viel zu hoher Abgabenlast – und hat einen fatalen Hang zum Mittelmaß. Die Bürokratie sei so beweglich "wie ein Kubikmeter Schärdinger Granit", der Staatseinfluss zu hoch. Heimische Unternehmen glänzen als Weltmarktführer in ihren Nischen, werden zu Hause aber als notwendiges Übel betrachtet. Der Industriestandort bröckle leise. Investoren ziehen in die Nachbarländer, Unternehmer "sagen fast lautlos Servus". Doch kein politisch Verantwortlicher schlage deshalb Alarm oder leite gar tiefgreifende Reformen ein.

Nur ein deutlich höheres Wirtschaftswachstum werde Österreich auf Dauer "aus der Patsche helfen" und die gestiegene Arbeitslosigkeit wieder senken, sagt der Autor.

Siebenhaar wundert sich auch darüber, dass Österreich einerseits Profiteur der Globalisierung, gleichzeitig aber auch größter Skeptiker von Freihandelsabkommen wie TTIP sei. Er ortet eine vom Bildungs- und Mediensektor mitverursachte "diffuse Wirtschaftsfeindlichkeit und tiefes Misstrauen gegenüber Selbstverständlichem wie dem Wertpapierhandel. Daher sei es auch kein Wunder, wenn manche "ATX für ein neues Modell des oberösterreichischen Motorradherstellers KTM halten". In Österreich sei auch viel zu lange verkannt worden, dass Banken eine essenzielle Grundlage für eine gesunde Ökonomie seien.

Neue Finanzkultur

Der Politik schlägt der Journalist (und Präsident des Verbandes der Auslandspresse in Wien) daher vor, "eine neue Finanzkultur zu fördern". Den Populismus sieht der Korrespondent in der Mitte der Gesellschaft angekommen und nicht nur bei der FPÖ beheimatet (deren Erfolg er mit fasziniertem Schauer fast zu ausgiebig betrachtet).

Lob gibt es, wenn auch nur wenig: zum Beispiel für die hohe Forschungsprämie (was tatsächlich Firmen anzieht, aktuell investiert Boehringer Ingelheim zum Beispiel 700 Millionen in den Standort Wien).

Siebenhaar plädiert für Anstand und Mut. Die politischen Eliten müssten ihr "Gefängnis aus Reformunfähigkeit, Selbstgefälligkeit und Postenschieberei" verlassen. Die zerrissene Republik gaukle Veränderung nur vor, bleibe aber ihrem Koordinatensystem – zwischen Intoleranz und Ineffizienz – treu.

Dabei sei es Zeit für einen grundlegenden Umbau der Zweiten Republik, damit Österreich seine Wettbewerbsfähigkeit in einer globalisierten Wirtschaft wieder verbessern könne. Österreich brauche keinen New Deal, bei dem es nur um das Verteilen von Geld gehe. Es brauche ein "New Business Model, mit dem mehr Geld erwirtschaftet wird". Sprich: "Österreich muss sich neu erfinden."

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