Österreich zieht sich selbst Boden unter den Füßen weg
Flächenverbauung nimmt zu - und damit auch Unwetterschäden. Heimische Lebensmittelsicherheit gefährdet.
12.10.15, 11:59
In Österreich wird täglich eine Fläche von 20 Hektar - das entspricht etwa 30 Fußballfeldern - verbaut. Damit ist unser Land "Europameister" im negativen Sinn bei der Verbauung und Zerstörung fruchtbarer Böden, sagte Kurt Weinberger, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung, bei einer Pressekonferenz in Wien.
Der Experte stellt in Österreich einen "sorglosen Umgang mit Grund und Boden" fest. In keinem anderen Land in Europa sei die Straßenlänge pro Kopf derart hoch (15 Meter pro Person), außerdem sei Österreich mittlerweile ein Land der Einkaufszentren. Durch die intensive Bebauung gehen auf der einen Seite Wasserspeicher verloren, dadurch nehmen Hochwasser- und Überschwemmungsschäden zu. Auf der anderen Seite gehen CO2-Speicher verloren und die Klimaerwärmung geht rascher voran.
Schweiz als Vorbild
Ein Vergleich der Nachbarländer: Österreich verbaut jährlich 0,5 Prozent der Agrarfläche, in Deutschland und der Schweiz sind es nur je 0,25 Prozent. Roland Norer, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Agrar- und Umweltrecht und Professor an der Universität Luzern, berichtete am Montag von einer Methode des Schweizer Gesetzgebers. Dieser versucht der Verbauung mit einem gesteigerten Kulturflächenschutz gegenzusteuern. Außerdem gibt es in der Schweiz Volksinitiativen zum Erhalt des Kulturlandes mit dem Hauptargument der Sicherstellung der Ernährungssicherheit.
Denn die Fläche, die notwendig ist, um die gesamte Bevölkerung mit eigenen, heimischen Lebensmitteln zu versorgen, existiert in Österreich gar nicht mehr. Pro Kopf benötigt jeder Einwohner 3.000 Quadratmeter Ackerfläche, um seinen persönlichen Lebensgewohnheiten nachkommen zu können. In Österreich stehen jeder Person aber nur mehr 1.600 Quadratmeter zur Verfügung, das heißt jeder beansprucht laut Weinberger irgendwo im Ausland bereits 1.400 Quadratmeter Boden. "Wir sind jetzt schon sehr verletzbar", kommentierte Weinberger die Tatsache, dass immer mehr unserer Lebensgrundlage unter Asphalt begraben und so die heimische Lebensmittelsicherheit gefährdet wird. Und ist der Boden einmal verbaut und versiegelt, ist er kaputt. "Einmal Mutter Erde zubetoniert, ist irreversibel. Was einmal tot ist, ist tot."
"Überörtliche Steuerung, die den Ermessensspielraum der Gemeinden bei der Flächenwidmung massiv einschränkt"
Leider gibt es laut Gottfried Holzer, Lektor an der Universität für Bodenkultur Wien, kein "Zaubermittel, um diesem rasanten Bodenverbrauch Einhalt zu gebieten". Er fordert allerdings einen Maßnahmenmix, der zur Verbesserung beitragen soll. Dieser reicht von Bewusstseinsbildung bis hin zu monetären Anreizen. Holzer fordert außerdem eine "überörtliche Steuerung, die den Ermessensspielraum der Gemeinden bei der Flächenwidmung massiv einschränkt". Eie Landwirtschaft müsse sich endlich aufraffen und ihre Ressourcen einfordern. "Wir sollten das verdammt ernst nehmen", bat Holzer. "Es kann einfach nicht mehr so sein, dass Landwirtschaft das ist, was übrig bleibt, wenn alle anderen Raumansprüche befriedigt sind."
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