"Ökostrom-Boom wird unsozial"

Verbund, Vorstand, DI, Wolfgang Anzengruber, Interview im Büro am Hof
Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber sprach mit dem KURIER über die Gefahr eines ungebremsten Förder-Wachstums.

KURIER: Am Strommarkt spielt sich etwas Kurioses ab: Die Großhandelspreise sind so tief wie schon lange nicht mehr, die Kunden zahlen aber immer mehr für Strom. Streifen die Versorger da nicht fette Gewinne ein?

Wolfgang Anzengruber: Nein. Die Margen im Endkundenbereich sind sehr dünn. Da gibt es ja Wettbewerb, der Lieferantenwechsel ist einfach. Der Strompreis für die Kunden hängt ja nicht am Tagespreis für Strom an der Börse. Dieser schwankt sehr stark, das wäre Kunden gar nicht zumutbar. Die Kunden werden mit geglätteten Preisen auf Basis längerfristiger Stromeinkäufe der Energieunternehmen versorgt. Der Energiepreis macht zudem nur ein Drittel des Endkundenpreises aus. Ein Drittel ist der Netzpreis, ein Drittel sind Steuern und Zuschläge.

Wer ist also Schuld am hohen Endkunden-Strompreis?

Was steigt, sind die Ökostromzuschläge. Die Kunden aber differenzieren hier nicht. Ihnen geht es natürlich um den Gesamtpreis.

Wird Ökostrom überfördert?

Ich sage: generell keine Förderung in Systemen, in denen es Wettbewerb gibt. Wenn wir so weiter fördern wie bis jetzt, besteht die Gefahr, dass die Unzufriedenheit der Kunden so groß wird, dass sie die Energiewende nicht mehr unterstützen. Die Kunden werden sagen: Das zahle ich nicht mehr.

Sehen Sie die Belastungsgrenze der Stromkunden bald erreicht?

In Deutschland ist das schon ein Thema. Und wenn wir ungebremst so weitermachen, wird der Ökostrom-Boom auch bei uns unsozial.

Warum?

Eine Fotovoltaik-Anlage mit risikofreier besserer Rendite als am Sparbuch kann nur jemand am Dach haben, der auch ein Haus hat. Die Förderung dafür aber zahlen auch alle Mieter. Das Problem darf nicht unterschätzt werden. Wenn das hochkommt, wird sich die breite Bevölkerung von der Energiewende abwenden. Zudem wird es für die Politik nicht immer leicht sein, die Industrie zu schonen und die Privaten zahlen zu lassen.

Steht die Energiewende damit vor dem Scheitern?

Sie wird jedenfalls nicht das erreichen, was sie sollte. Wir brauchen dringend eine Korrektur, sonst fährt die ganze Energiewende gegen die Wand.

Wie könnte so eine Korrektur aussehen?

Anstatt der derzeitigen Ökostrom-Förderung über langfristig fixe Einspeisetarife samt Vorrang für Erneuerbare, sollte ein Quotensystem (Erklärung siehe nebenan) eingeführt werden. Dann würden nur die effizientesten Anlagen gebaut, für die auch ein Netzanschluss machbar ist. Derzeit werden ja Windräder aufgestellt, die gar keine Leitungsanbindung haben. Das wäre für die Energieversorger früher undenkbar gewesen.

Zum Verbund: Der Aktienkurs fällt und fällt. Was ist da los?

Der Verbund ist vor allem Stromerzeuger. Daher treffen uns die tiefen Großhandelspreise direkt. Wenn die Preise fallen, sinken die Erträge, und die Bewertung wird geringer. Wenn es nach oben geht, wird der Kurs aber auch genauso rasch steigen. Unabhängig davon steht der Verbund unter den europäischen Versorgern gut da. Unsere Bewertung liegt sogar im Spitzenfeld. Die Wasserkraft ist ein äußerst wertvolles Erzeugungsportfolio. Die Aktionäre brauchen sich daher keine Sorgen zu machen.

Haben Sie die Auswirkungen der Energiewende unterschätzt?Was die gesamte Strombranche falsch eingeschätzt hat, ist, wie rasch und wie viel an Förderungen für die neuen Erneuerbaren aufgebracht werden – vor allem in Deutschland. Daher findet am Strommarkt jetzt ein Förderwettbewerb statt. Es wird nur noch dort investiert, wo es auch Förderungen gibt. Im Wettbewerbsbereich gibt es derzeit keine Investitions-Anreize. Auch wir bauen nur mehr Anlagen, die höchst rentabel sind, wie etwa das Grenzkraftwerk am Inn.

Der Verbund hat doch 2010 eine Milliarde an frischem Kapital für den Ausbau der Wasserkraft bekommen. Was ist mit diesem Geld passiert?

Damit wurde das Eigenkapital gestärkt, um leichter Finanzierungen für unsere Investitionen zu bekommen. Wir investieren rund 800 Millionen Euro im Jahr, früher waren das nur 100 Millionen Euro jährlich. Seit der Kapitalerhöhung sind 2,5 Milliarden Euro investiert worden: in das Pumpspeicherkraftwerk Reißeck, die Murkraftwerke, ein Kraftwerk an der Salzach und natürlich in den Netzausbau.

Die Beteiligung in der Türkei wurde gegen Wasserkraftwerke am Inn getauscht. Wird der Verbund wieder ein kleiner regionaler Versorger?

Die Welt hat sich in den vergangenen fünf Jahren stark geändert. Der Strompreis war einmal bei 75 Euro je Megawattstunde mit Zielrichtung 100 Euro. Jetzt liegt er bei 40 Euro. Wir konzentrieren uns daher auf das, was wir gut können: Jede neue Investition geht in die erneuerbare Energie, also in Wasserkraft und teilweise in Onshore-Windparks, etwa in Rumänien oder Bulgarien. Das Geschäft in der Türkei war zwar gut. Der Expansionshunger ist dort groß. Aber für den Verbund wäre es eine hohe finanzielle Anspannung gewesen.

Wolfgang Anzengruber

Karriere Der 1956 in Steyr (OÖ) geborene Anzengruber studierte Betriebswirtschaft und Maschinenbau. Der erste große Karrieresprung gelang ihm 1993, als er in den Vorstand der ABB Energie AG einzog. 1999 wechselte er an die Spitze der Salzburger Stadtwerke, ab 2003 stand er dem Salzburger Kranhersteller Palfinger vor. Seit Anfang 2009 leitet er den Verbundkonzern.

In den Bau neuer Gaskraftwerke, die als Ergänzung zu Wind- und Sonnenenergieanlagen nötig wären, wird daher in ganz Europa nicht investiert. Ab 2020 könnte das Stromangebot eng werden, lauten die Prognosen.

Der Verbund, aber auch große deutsche Versorger, machen sich daher für mehr Marktwirtschaft in der Ökostrombranche stark: ein Quotensystem soll das aktuelle System fixer Einspeisetarife ersetzen. Bei diesem Quotenmodell gibt die Politik den Stromlieferanten in bestimmten Jahresabständen einen wachsenden Prozentsatz an erneuerbarer Energie vor, der gewünscht wird. Sie mischt sich aber nicht in die Art der Energiequelle ein. Damit würden nur jene Anlagen gebaut, die effizient sind und die über einen Netzanschluss verfügen. Die neuen Ökostromanlagen müssten im Rahmen der vorgegeben Quoten konkurrieren.

Damit würden die Kosten des Systems niedriger. Es gebe keine Fehlanreize mehr. Mit der aktuellen Förderung würden dagegen zum Beispiel auch dort Windräder aufgestellt, wo vergleichsweise wenig Wind blase. Oder: Diese Einspeiseförderung hat in Deutschland dazu geführt, dass in Bayern fast jedes Dach mit Fotovoltaik-Paneelen zugedeckt ist, auch wenn die Sonnenstunden dort gering sind.

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