Ökonomen: "TTIP-Emotion hat viele schockiert"

Handelspakt und Totengräber: TTIP-Protest in Amsterdam
Lagerbildung und Radikalisierung bereitet Experten Sorge – wirtschaftliche Argumente zählen wenig.

Handelsverträge galten jahrzehntelang als stinklangweilig. Umso mehr wurden die Ökonomen von der Wucht der Anti-TTIP-Kampagne überrollt. "Diese Emotion hat alle überrascht und viele schockiert", sagte Gabriel Felbermayr vom ifo-Institut München vor Journalisten. Die wirtschaftlichen Vorteile von TTIP würden hingegen kaum thematisiert, wunderte sich der Österreicher.

Er sucht die Fehler aber auch bei seiner Zunft: "Wir haben es nicht geschafft, ein solides Narrativ zu entwickeln." Es sei falsch gewesen, sich auf Debatten einzulassen, ob der EU-US-Pakt 0,5 Prozent oder 3,9 Prozent Wachstum bringen könnte. Wegen unterschiedlicher Szenarien sei irrtümlich der Eindruck einer "Kakophonie" entstanden, obwohl sich die Experten einig seien, dass das Abkommen Vorteile bringe.

Eine einzige "Studentenarbeit" von der US-Uni Tufts habe sehr negative Auswirkungen errechnet. "Und genau die erhielt das größte Medienecho und wurde in fünf Sprachen übersetzt", sagte Felbermayr. Er sieht die Handelsabkommen der vergangenen 50 Jahre und Österreichs große Zahl an Weltmarktführern ("Hidden champions") als empirischen Beweis dafür, dass offener Handel den Wohlstand erhöht.

Felbermayr war einer der Handelsexperten bei einer Veranstaltung von Wirtschaftskammer (WKO) und Nationalbank in Wien.

Polarisierung

"Bist du dafür oder dagegen? Das ist eine dumme Frage", sagte der Niederländer Jacques Pelkmans von der Denkfabrik CEPS. Diese "Lagerbildung" führe dazu, dass sich jede Seite gegen Argumente abschotte und keine andere Meinung gelten lasse. Die negative TTIP-Stimmung werde von 39 NGO angeheizt, die für 96 Prozent der Einträge bei Facebook, Twitter & Co. verantwortlich seien: "Das ist eine Sekte von radikalen Globalisierungsgegnern", sagte Pelkmans.

Ernsthafte Vertreter der Zivilgesellschaft wie die Konsumentenorganisation BEUC oder der Gewerkschafter-Verband ETUC seien nicht Teil dieser Anti-TTIP-Allianz.

Die Bevölkerung habe das Vertrauen in die Politik verloren, stellte der Brite Simon Evenett fest, der an der Uni St. Gallen lehrt. Er nimmt auch die Journalisten in die Pflicht. Da wenige Ahnung vom Handel hätten, beschränke sich die Berichterstattung auf das Schema "A sagt, B sagt".

Dass die heiklen Punkte ans Ende geschoben wurden, wertete Gary Hufbauer vom Peterson Institute (USA) als schlechtes Zeichen. Begraben sei TTIP damit aber nicht: "Wenn es zustande kommt, wird es die Richtschnur für die Verträge der nächsten 30, 40 Jahre sein, weil es alle Bereiche abdeckt."

Fakten statt Bauchgefühl

"Lasst uns TTIP auf Augenhöhe fertigverhandeln", plädierte WKO-Vizepräsident Jürgen Roth. Dann könne man immer noch urteilen: "Aber bitte auf Basis von Fakten, nicht aus dem Bauch heraus."

Kommentare