Mythen, falsche Zahlen: Mehr Steuerfairness - aber ehrlich

Steueroasen gibt es auch in der EU und den USA
Ja, das Steuersystem ist ungerecht. Das zu ändern würde Österreichs Fiskus aber nicht gefallen.

Das Grazer Espresso Erika, das brav Steuern zahlt, während es sich die US-Kaffeehauskette Starbucks richten kann. Oder Apple, das angeblich weniger Steuern zahlt als "jede Würstelbude in Wels und Umgebung". Die Beispiele aus der "Plan A"-Rede von Kanzler Kern sind der Stoff, aus dem Empörung gemacht wird. Am Montag widmete sich noch eigens eine SPÖ-Enquete im Parlament dem Thema Steuergerechtigkeit.

Die Debatte ist berechtigt. Sie ist aber zu wichtig, um auf Basis von Mythen, Halbwahrheiten und falschen Zahlen geführt zu werden.

Die Magie der großen Zahl

Da war sie wieder, die große Zahl: Eine Billion Euro, also 1000 Milliarden, gingen den EU-Staaten Jahr für Jahr an Steuern verloren, behauptete der britische Ökonom und Aktivist Richard Murphy (Tax Research). Die Zahl ist groß, rund, leicht zu merken. Also perfekt, um damit Politik zu machen.

Sie stimmt nur leider nicht. Diese Berechnung sei "grottenfalsch, unverantwortlich, einfach nicht seriös", sagt der Linzer Professor Friedrich Schneider. Und wenn das jemand beurteilen kann, dann wohl er: Auf seine Studie berief sich Murphy nämlich 2012 mit seinem Papier für die Sozialdemokraten im EU-Parlament (PDF). Seither wird die Zahl landauf, landab zitiert. Unverändert und unhinterfragt.

Mythen, falsche Zahlen: Mehr Steuerfairness - aber ehrlich
Richard Murphy, Tax Justice Network, SPÖ Parlamentsenquete Steuergerechtigkeit, 30. Jänner 2017
Der Brite schätzte, dass 860 Milliarden an Steuern durch Pfusch und Schwarzarbeit verloren gingen. "Eine Horrorzahl, die vorne und hinten nicht stimmt", sagt Schneider zum KURIER. Er lässt als Steuerausfall bestenfalls ein Drittel der 860 Milliarden Euro gelten – und das sei noch zu hoch gegriffen.

Legal oder illegal, egal?

Aber wie kommt Murphy zu seiner Billion? Indem er auf die 860 weitere 160 Milliarden Steuerausfall draufpackt, weil Apple, Google und Co. Gesetzeslücken der EU-Staaten ausreizen. Das mag unmoralisch sein, ist aber legal.

SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder legte das am Montag großzügiger aus: "Umgehung ist ein euphemistischer Begriff für beinharte Steuerhinterziehung und Betrug", sagte er. Legal oder illegal, am Ende alles eins?

Diese Vermischung regt Schneider maßlos auf: "Dagegen wehre ich mich vehement. Das haben unsere Parlamente so beschlossen und ermöglicht."

Schuldig: Konzerne oder Staaten

Womit sich die Schuldfrage stellt. Sind wirklich die Konzerne schuld? Oder nützen sie nur die Lücken, die Staaten aufmachen, um ihren Nachbarn ein Stück des Kuchens abzujagen? Die EU-Kommission heimste viel Lob ein, weil sie dem US-Riesen Apple eine saftige Steuernachzahlung von 13 Milliarden Euro in Irland aufbrummte.

Das könnte man allerdings ebenso gut als Gipfel der Unfairness werten, gab der Linzer Uni-Professor Georg Kofler in der Arbeiterkammer Wien (AK) kürzlich zu bedenken: "Erst hat Irland Apple unzulässige Begünstigungen gewährt. Und dann kriegt es noch die vollen Steuern zugesprochen." Was somit doppelt zulasten der anderen EU-Staaten geht.

Die Pointe dabei: Irland will dieses Geld von Apple gar nicht und beruft gegen die Entscheidung der EU-Kommission. Das stützt wiederum die These, dass einige Staaten in Wirklichkeit als Beitragstäter der Konzerne zu sehen sind.

Wahrer Kampf: Reich gegen arm

Wie müsste ein faires globales Steuersystem aussehen? Radikal anders. Denn derzeit saugen reiche Staaten Gewinnsteuern aus ärmeren Ländern ab. Was historische Gründe hat. "Unser Steuersystem basiert auf den Interessen der Kolonialstaaten; es ist günstig für sie, aber schlecht für Entwicklungsländer", erklärte der frühere EU-Generaldirektor für Steuern, Heinz Zourek, in der AK. Das blieb aber solange unbeanstandet, bis die reichen Länder anfingen, sich gegenseitig Steuergeld abzujagen.

Ein echter Systemwechsel ist aber gar nicht gewollt. Deshalb macht die OECD mit Tausenden Seiten Regelwerk alles immer noch komplizierter. Denn würde konsequent dort besteuert, wo die Waren verkauft werden, wären die Exportländer massiv betroffen. Am Ende hat Deutschland aber doch kein großes Interesse, dass Mercedes dort Steuern zahlt, wo es riesige Gewinne erzielt – in China.

Wir können nur gewinnen?

Alle Kämpfer für Gerechtigkeit erwarten, dass Österreich mehr Steuern lukrieren könnte. Sicher? "Da wird nur darauf geschaut, was hinausgezahlt wird, aber nicht, was reinkommt", sagt der Steuerberater Gottfried Schellmann. Nach seiner Rechnung fließen 8 Mrd. Euro ab, dafür kommen 8,7 Mrd. Euro rein – eine ziemlich ausgeglichene Bilanz. Österreich zähle als Kapitalexporteur mit seinen großen Direktinvestitionen in Osteuropa zu den Profiteuren.

Und würde die Körperschaftsteuer im Sinne der Transparenz EU-weit gleich berechnet, wäre Österreichs Bemessungsbasis schmäler statt breiter. Heißt: Es würde weniger Steuern einbringen statt mehr.

Sonderfaktor USA

Eine zwielichtige Rolle spielen die USA. Sie sind selbst Opfer reparaturbedürftiger Gesetze: US-Firmen parken lieber Tausende Milliarden Dollar Auslandsgewinne in Steueroasen, statt sie daheim zu versteuern. Zugleich ist aber der Bundesstaat Delaware ein florierender Hub für Briefkastenfirmen.

Und die USA sind nicht zimperlich, wenn es darum geht, ihre Interessen durchzusetzen, erzählte Korruptionsjäger Mark Pieth von der Uni Basel aus dem Nähkästchen: So habe die US-Notenbank 2005 gedroht, Liechtensteins Banken die Lizenz zu entziehen, wenn sie nicht die Namen von Stiftungsbegünstigten rausrücken. Damals ging es um Korruptionsermittlungen rund um das UN-"Food for oil"-Programm mit dem Irak. Später zwangen die USA die Schweizer Banken auf ähnliche Art praktisch zur Aufgabe ihres Bankgeheimnisses.

Mythen, falsche Zahlen: Mehr Steuerfairness - aber ehrlich
Mark Pieth, Universität Basel, Strafrecht, SPÖ Parlamentsenquete Steuergerechtigkeit
Selbst sind die USA hingegen sehr zurückhaltend mit Bankdaten. Und ob sich Präsident Trump am OECD-Kampf gegen Steuerflucht beteiligen wird, ist eher fraglich. "Aus den USA haben wir im Moment nicht viel zu erwarten", sagte Pieth.

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