Mehr Urlaub statt Lohnerhöhung

Der Verbrauch der „erkauften“ zusätzlichen Freizeit kann nach Absprache mit dem Arbeitgeber stundenweise, aber auch in größeren Blöcken erfolgen.
Die neue Form der Arbeitszeitverkürzung soll bestehende Jobs absichern und neue schaffen.

Mittelfristig sichert die Freizeitoption, wenn sie in vielen Industriebranchen angewendet wird, bestehende Arbeitsplätze ab oder schafft neue." Für Markus Marterbauer, Leiter der Wirtschaftswissenschaft in der Arbeiterkammer, ist der Tausch von Lohnerhöhungen in zusätzliche Freizeit "eine der größten sozialen Innovationen in den letzten Jahren".

Und wird seiner Meinung nach in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen. Denn durch die weitere Digitalisierung der Produktion – Industrie 4.0 – würden die Arbeitsplätze in der Industrie weiter unter Druck geraten. Mittelfristig sei, ist Marterbauer überzeugt, "ein Rückgang der hohen Arbeitslosigkeit nicht möglich, wenn es nicht zu Arbeitszeitverkürzungen kommt. Die Freizeitoption ist ein Teil dieser Arbeitszeitverkürzung."

Erfolgsmodell

Die Gewerkschaften Proge (Metaller) und GPA wollen das vor drei Jahren erstmals in der Elektroindustrie vereinbarte "Erfolgsmodell" denn auch kräftig ausbauen. GPA-Vize Karl Proyer: "Wir sind auf der Suche nach innovativen Unternehmern." Die Freizeitoption wurde inzwischen für weitere Branchen – Bergbau/Stahl, Fahrzeugindustrie, Papierindustrie – ausgehandelt, in Summe können mittlerweile 100.000 Industrie-Mitarbeiter dieses Arbeitszeitverkürzungsmodell zumindest theoretisch nutzen.

Dass es laut Gewerkschaft in Summe nur gut vier Prozent sind, liegt zu einem Gutteil am Widerstand der Unternehmer. Proyer: "Der häufigste Grund, dass die Umsetzung der Option trotz Interesse seitens der Mitarbeiter scheitert, ist die Ablehnung durch die Unternehmen." Denn für die Umsetzung ist eine freiwillige Betriebsvereinbarung notwendig (siehe unten).

Das Modell sei, rechnet Proyer vor, für beide Seiten ein Gewinn. Die Unternehmen ersparten sich Geld durch die ausfallende Lohnrunde, für die Mitarbeiter bedeute es – bei einer Lohnerhöhung um rund zwei Prozent – fast eine Woche Urlaub mehr pro Jahr.

Argumente, die in einigen Unternehmen auf sehr fruchtbaren Boden fielen. Etwa im Grazer Drehgestelle-Werk von Siemens mit rund 1000 Beschäftigten. Zentralbetriebsratsobmann Josef Harb zum KURIER: "Im ersten Jahr haben sich auf Anhieb 20 Prozent der Belegschaft dafür gemeldet. Das Management und auch wir waren sehr überrascht, wie groß das Interesse war." Für Überraschung sorgte auch, dass das an sich eher für ältere Arbeitnehmer gedachte Modell quer über alle Alters- und auch Einkommensschichten Anklang fand. Mittlerweile arbeitet ein Viertel der Siemens-Belegschaft im Grazer Werk kürzer.

Bei der heurigen Herbstlohnrunde wollen GPA und Proge die Freizeitoption wieder zum Thema machen. Wenig Chancen dürfte es aber beim größten Arbeitgeber-Verband, der Maschinen- und Metallwarenindustrie (FMMI) mit seinen 120.000 Beschäftigten geben. Dieser pocht zwar auf größere Flexibilität bei den Arbeitszeiten, hat die individuelle Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich bisher aber abgelehnt.

Öfter mal früher heimgehen, später kommen oder eine Woche mehr Urlaub. Mehr Freizeit und Erholung statt einer zweiprozentigen Lohnerhöhung: Das klingt in einer stressigen Arbeitswelt echt verlockend. Damit dieses Tauschgeschäft allerdings nicht zu einem Kuhhandel wird, sollten die Betroffenen etliches bedenken, bevor sie in die "Ich bekomme mehr Urlaub, juhu"-Falle tappen.

Ja, auch aus gesellschaftlicher Sicht ist die sogenannte Freizeitoption zu begrüßen. Entspanntere Mitarbeiter werden wohl länger gesünder und dadurch auch länger im Arbeitsleben bleiben. Krankheitsbedingte Frühpensionen könnten durchaus sinken.

Und ja, bei der derzeitig winzigen Inflation ist ein Verzicht auf eine Lohnerhöhung leichter wegzustecken. Trotzdem ist zu bedenken, dass das Lebenseinkommen dadurch kleiner ausfallen wird. Zwei Prozent weniger schmälern die Basis für die Jahre bis zur Pension.

In früheren Zeiten wäre es bei den Gewerkschaften absolut verpönt gewesen, für eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich einzutreten. Genau das ist aber diese jetzt so propagierte Freizeitoption. Fein, dass sich Gewerkschaften bewegen, sie sollten dies aber nicht als die Neuerfindung des Rades verkaufen.

Dass dadurch Jobs geschaffen werden, darf in einer Arbeitswelt, die sich mitten im digitalen Wandel befindet, ohnehin bezweifelt werden. Beinahe menschenleere Produktionshallen werden keine reine Utopie bleiben (Stichwort Industrie 4.0). Im besten Fall werden durch die Freizeitoption Arbeitsplätze abgesichert und nicht durch Roboter ersetzt. Das bedeutet aber auch, was alle aus den üblichen Urlaubszeiten kennen: Ist einer weg, müssen die Kollegen mehr ran. Auch das man muss bedenken, wenn man über ein Mehr an Freizeit jubelt.

Um die Lohnerhöhung in Freizeit umzuwandeln, reicht eine Vereinbarung der Arbeitgeber mit der Gewerkschaft im Rahmen der Kollektivvertragsverhandlungen nicht aus. Die wichtigsten Eckpunkte für die Vereinbarung der Freizeitoption bzw wie die zusätzliche Freizeit konsumiert werden kann:

Betriebsvereinbarung Die freiwillige Betriebsvereinbarung zwischen Unternehmen und Betriebsrat ist die Basis für die Einzelvereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Überzahlung Der Ist-Lohn muss über dem kollektivvertraglichen Mindestlohn liegen. Mitarbeiter, die nur den Mindestlohn bekommen, würden beim Tausch Freizeit-Lohnerhöhung unter den KV-Lohn fallen, das ist verboten.

Verbrauch Die zusätzliche Freizeit kann geblockt oder auch in einzelnen Stunden oder Tagen konsumiert werden. Sie kann auch über mehrere Jahre angesammelt werden und dann auf einmal konsumiert werden. In Summe sammelt sich bei einer Lohnerhöhung um 2 Prozent etwa eine Woche Mehrurlaub pro Jahr an.

Mitnahme Die Vereinbarung gilt nur für den Betrieb, mit dem sie abgeschlossen wurde. Bei einem Jobwechsel kann sie nicht mitgenommen werden, im neuen Unternehmen gilt wieder die „alte“ Arbeitszeit.

Teilzeit Die Freizeitoption kann auch von Teilzeit-Beschäftigten in Anspruch genommen werden.

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