Experte: Neues Erbrecht bringt mehr Streitigkeiten

Gibt es über das Vermögen kein Testament, kann es unter den Hinterbliebenen leicht zu Streitigkeiten kommen
Kinder, Ehepartner und Lebensgefährten profitieren ab 2017, aber viele offene Fragen.

Wenn in einem Testament plötzlich etwas steht, das so vorher gar nicht ausgemacht war. Oder wenn nach Jahren plötzlich ein neues Testament auftaucht, das das alte außer Kraft setzt. Oder wenn nach dem Todesfall aus der Wohnung des Verstorbenen wertvolle Gegenstände, Sparbücher bzw. Bargeld fehlen, die kurz davor noch da waren. Die Entwendung ist zwar strafbar, aber wer den Wohnungsschlüssel hat und es einigermaßen geschickt anstellt, wird ohne Prozess davonkommen: "Ich habe das alles schon oft erlebt", berichtet der Präsident der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich, Michael Schwarz, aus seiner langjährigen Erfahrung.

40.000 Erbschaften

In vielen Fällen enden solche Konflikte vor Gericht. Mit der ab 2017 gültigen Novelle des Erbrechts werden die Streitigkeiten noch zunehmen, glaubt der Experte. Jährlich gibt es in Österreich rund 40.000 Erbschaften. Alleine in NÖ kommt es dabei zu rund 900 juristischen Auseinandersetzungen. Hochgerechnet auf ganz Österreich wären dies mehr als zehn Prozent aller Erbschaften, die im Streit enden. "Wir gehen davon aus, dass die Zahl, bei der kein Anwalt eingeschaltet wird, weitaus höher ist. Und wir rechnen mit einer Zunahme an Streitigkeiten, weil das neue Gesetz viele Detailprobleme offen lässt", sagt Schwarz. Diese würden wohl erst im Laufe der nächsten Jahre über die Rechtssprechung geregelt werden.

Pflichtteilberechtigte Großes Streitpotenzial gibt es laut Schwarz bei der Neuregelung der Pflichtteilberechtigten. Die großen Gewinner seien nun zwar die Kinder und Ehepartner. Denn (Groß)eltern bzw. Geschwister des Verstorbenen sind künftig nicht mehr pflichtteilberechtigt. "Das kann dazu führen, dass der Familienbesitz im Todesfall an die angeheiratete Familie geht." Wer es sich nicht leisten kann, einen Begünstigten auszuzahlen, erhält nun die Möglichkeit einer Ratenzahlung auf fünf Jahre – allerdings mit einer Verzinsung von vier Prozent.

Lebensgefährten Eine Besserstellung gibt es auch für kinderlose Lebensgefährten, die mit dem Verstorbenen für mindestens drei Jahre einen gemeinsamen Wohnsitz geteilt haben. Diese können noch ein weiteres Jahr dort wohnen, auch wenn ihnen testamentarisch kein Wohnrecht eingeräumt wurde bzw. sie die Objekt nicht geerbt haben.

Pflege Konflikte könnte es auch bei der Aktualisierung des Pflegevermächtnisses geben. Pflegeleistungen werden somit im Erbschaftsfall klarer berücksichtigt. Allerdings zählen bereits 20 Stunden Betreuung im Monat für mindestens sechs Monate als Pflege – auch der tägliche Besuch im Altersheim.

Neue Formvorschriften Ein letzter Wille ist etwa bei fremdhändigen Testamenten nur gültig, wenn mit handschriftlichem Zusatz wie etwa "Das ist mein letzter Wille" unterschrieben wird. Zudem müssen drei Zeugen ununterbrochen und gleichzeitig anwesend sein, um die Gültigkeit zu bestätigen.

Enterbung Weiters wird es erleichterte Enterbungsgründe geben; wenn etwa die Ehefrau seit mehr als 20 Jahren getrennt lebt oder die Kinder sich in diesem Zeitraum nicht mehr melden. Eine Scheidung hebt übrigens ein Testament zugunsten des Ehepartners auf.

Schenkungen Für Pflichtteilberechtigte werden Schenkungen unbegrenzt anrechenbar, für alle anderen Erben gibt es eine Frist von zwei Jahren.

Österreicher sind übers Erben zu wenig informiert

Nur 13 Prozent der Österreicher über 18 Jahre verfügen über ein Testament. Das zeigt eine Online-Umfrage von meinungsraum.at unter 500 Privatleuten und 300 Unternehmern. Demnach besitzen auch bei den 50- bis 70-Jährigen nur 20 Prozent einen letzten Willen. Ein Drittel weiß nicht, dass auch Schulden vererbt werden können. Und 76 Prozent der Unternehmer haben noch nicht ihre Nachfolge in der Firma geregelt. „Das ist eine alarmierende Zahl“, sagt Christoph Sauer, Experte der Rechtsanwaltskammer NÖ. Nicht nur für den Betrieb, der beim plötzlichen Tod des Eigentümers vor dem Aus stehen könnte, sondern für den gesamten Standort.

Um die Menschen übers Erben aufzuklären, hat die Kammer auf ihre Webseite www.raknoe.at die wichtigsten Änderungen des Erbrechts sowie Tipps zum Erben gestellt. Dazu zählen:

Erstellung Sobald man eine Familie gründet oder Eigentum – wie z. B. Immobilien oder Unternehmensbeteiligungen – erwirbt, ist die Erstellung eines Testaments jedenfalls sinnvoll.

Lebensgefährten Sobald Vermögen vorhanden ist, sollten vor allem Lebensgefährten unbedingt ein Testament errichten.

Fremdhändig Ein nicht handschriftlich verfasstes Testament sollte nur vor einem Rechtsanwalt oder Notar gemacht werden, aufgrund der komplexen Formvorschriften sind Fehler sonst kaum vermeidbar.

Gültigkeit Einmal erstellt ist ein Testament bis zum Tode gültig. Sind mehrere Testamente vorhanden, gilt das jüngste. Eine Überprüfung auf Aktualität etwa alle fünf Jahre wird empfohlen.

EU-Ausland Sollte der Alterswohnsitz im EU-Ausland liegen, empfiehlt es sich, sich über die Vor- und Nachteile des national geltenden Rechts zu informieren.
Verwahrung Das Testament muss sicher verwahrt werden, damit es im Todesfall gefunden wird.

Ein vom Anwalt erstelltes Testament kostet ab 250 Euro, eine Rechtsberatung dazu rund 120 Euro.

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