Höheres Pensionsalter nur ein Statistik-Trick

Höheres Pensionsalter nur ein Statistik-Trick
Das Pensionsantrittsalter steigt nicht, sagt der Leiter der Sozialpolitik in der Wirtschaftskammer.

Das Pensionsantrittsalter in Österreich ist nicht wirklich gestiegen - das sei vorwiegend ein statistischer Trick: Diesen ernüchternden Befund stellt Martin Gleitsmann, Leiter der Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit in der Wirtschaftskammer, dem österreichischen Pensionssystem aus.

So gebe es seit 1. 1. 2014 zwar die befristete Invaliditätspension für unter Fünfzigjährige nicht mehr, die Betroffenen bekommen Reha- oder Umschulungsgeld. Doch dieses komme weiterhin aus dem Pensionstopf und sei sogar höher als die Pension. Die Bezieher werden nicht mehr als Pensionisten gezählt, was das statistische Pensionsantrittsalter logischerweise ansteigen ließ.

Prinzipiell sei es zwar richtig, die Leute wieder ins Arbeitsleben zurückzubringen, doch dazu brauche man dann auch die nötige Konsequenz, sprich: Berufswechsel oder Gehaltsverlust sollten leichter möglich sein. Die Zumutbarkeitsschwelle sei leider sehr niedrig angesetzt worden. Nur neun Personen aus dieser Gruppe beziehen Umschulungsgeld und besuchen ein Berufsbildungszentrum.

Höheres Pensionsalter nur ein Statistik-Trick
"Aber für einen 52-Jährigen ist es doch im Grunde besser, wieder zu einem etwas niedrigeren Gehalt arbeiten zu können, als ewig in Pension zu bleiben", meint Gleitsmann im Gespräch mit dem KURIER.

Wobei er einräumt, dass es für Ältere schwierig sei, wieder einen Job zu finden. Die diskutierte Pönale für Firmen, die zu wenig Ältere einstellen (wie für Behinderte), hält er dennoch für falsch: Der Arbeitsmarkt in Österreich sei ohnehin schon überreguliert, jede Firma habe andere Bedürfnisse und sollte sich ihr Personal selbst aussuchen dürfen. Eine Diskothek werde keine Älteren beschäftigen können.

Die Pensions-Aufwendungen steigen weiterhin stark – stärker als das Bruttoinlandsprodukt –, während alle anderen Staatsausgaben sinken (müssen). Prinzipiell werde den Österreichern der Gang in die Pension zu einfach gemacht, meint der Sozialexperte. So gebe es zwar sicher viele psychisch Erkrankte, aber nicht so viele wie behauptet – und in Pension geschickt. Und wenn man ein Schlupfloch schließe, dann flüchte man eben ins andere.

Schlupflöcher

So erwartet er sich nun zum Beispiel, dass die Schwerarbeitspension an Attraktivität zunehmen werde. In dieses Modell hätten sich bereits viel zu viele Berufe hineinreklamiert. Wer über diesen Weg pensioniert wird, kann mit 60 Jahren abschlagsfrei in den Ruhestand treten. Dass die Deutschen diesen Weg nun auch (befristet) wählen, sei zwar ebenfalls problematisch, aber budgetär könne es sich das Nachbarland wenigstens leisten. Im Gegensatz zu uns.

Die österreichische Regierung werde sich "ermannen" und das Pensionsantrittsalter erhöhen müssen. Weil: "Wir buttern alles ins Pensionssystem hinein, da bleibt für Zukunftsinvestitionen kein Spielraum übrig."

Länger arbeiten heiße keineswegs automatisch eine Erhöhung der Arbeitslosigkeit, weist Gleitsmann das häufigste Gegenargument zurück. Die Betriebe müssten ihre Arbeitnehmer dann eben länger behalten. Das Gefühl, dass Ältere nur hinausgedrängt werden, stimme gar nicht: "Unsere Betriebe hatten noch nie so viele ältere Beschäftigte wie jetzt."

Bei den ÖBB hingegen würden nur 3,9 Prozent und bei der Post nur 0,5 Prozent der Versicherten in die reguläre Alterspension gehen. Beinahe die Hälfte werde wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig pensioniert.

Zu viel Alkohol

Kritik übt Gleitsmann, der selbst als Vertreter im Hauptverband der Sozialversicherungsträger saß, auch am heimischen Gesundheitssystem. Gemessen an der Höhe der Ausgaben sei das Ergebnis (wie beim Bildungswesen) bescheiden. Bei der Anzahl der gesunden Lebensjahre schneide Österreich nämlich im internationalen Vergleich eher unterdurchschnittlich ab. Und das, obwohl Österreich die zweithöchste Ärztedichte aller OECD-Länder (nach Griechenland) und die meisten Krankenhausaufenthalte aufweise. Österreich habe aber auch gleichzeitig den zweithöchsten Alkoholkonsum und einen hohen Raucher-Anteil, besonders bei Jugendlichen.

Wenig Anreiz

Sehr teuer komme Österreich auch sein System der Mindestsicherung zu stehen. Der Rechnungshof hat kürzlich mangelnde Arbeitsanreize und Großzügigkeit der Bundesländer kritisiert.

60 Prozent der Mindestsicherungsbezieher leben in Wien. Für Niedrigverdiener, die dann auch sämtliche Vergünstigungen verlieren, gebe es wenig Motivation, wieder ins Arbeitsleben einzusteigen, meint Gleitsmann. Hier müsse man sich wohl auch etwas überlegen. Unterm Strich, so meint er, gehe es Österreich noch immer gut. "Es geht ein bisserl bergab, aber die OECD bescheinigt uns, eines der reichsten Länder zu sein. Der Leidensdruck, etwas zu ändern, ist offenbar nicht groß genug."

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