Londoner Banker: Angst vor der Isolation

Londoner Banker: Angst vor der Isolation
Nach dem EU-Gipfel machen sich die britischen Medien Sorgen über die Auswirkungen des Alleingangs.

Dieser Sieg roch verdächtig nach Niederlage – und das fiel sogar den notorisch europafeindlichen britischen Boulevardzeitungen auf. Zwar feierten sie pflichtgemäß ihren "Helden der Woche", der die Insel vor dem bösen Europa verteidigt habe, doch kaum kleiner gedruckt folgten schon ernste Sorgen: Hatte Premier Cameron nicht mit seiner Entscheidung einen schweren "Rückschlag" riskiert? Würde der "Schurke Sarkozy", nicht auf Rache sinnen?

Abseits solcher Schlagzeilen macht man sich in London tatsächlich ernste Gedanken über die Folgen des britischen Alleingangs beim EU-Gipfel in Brüssel. Wenn nun Europa beginne, die gesamten Regeln für die Finanzwirtschaft neu zu gestalten, stünde man ohne Mitspracherecht am Rand.

Zwar verweist die Regierungskoalition hartnäckig darauf, dass alle Entscheidungen weiterhin in den offiziellen EU-Gremien gefällt werden müssten – und dort habe Großbritannien weiterhin politisches Gewicht. Doch Experten sehen die Lage viel skeptischer. Die Briten stünden mehr am Rand in Europa als je zuvor und hätten so wenig Einfluss auf EU-Entscheidungen wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Bei diesen Entscheidungen, so die Befürchtung in der britischen Hochfinanz, wird es bald um die Harmonisierung der Regeln für Finanzmarkt und Geldpolitik in Europa gehen, etwa die heftig diskutierte Finanztransaktionssteuer. Hauptbetroffener wäre dann natürlich Europas größter Börseplatz London.

Schwache Position

"Unsere größte Herausforderung ist es, Einfluss auf diese EU-Regulierungen zu nehmen, die große Auswirkungen auf die britischen Finanzdienstleister und deren Kunden haben", meint ein Banker gegenüber der Tageszeitung The Guardian.

Dass man diesen Einfluss aber auch tatsächlich ausüben kann, halten viele nach diesem Gipfel für wenig wahrscheinlich. Großbritannien, so die Sorge, habe zwar Europas größte Finanzwirtschaft, aber dennoch die schwächste Position am Verhandlungstisch.

Ähnlich skeptisch sieht auch Ralf Böckle, Österreichs Finanzattaché in London, die Situation der Briten. Kurzfristig werde London von einer Stabilisierung der Eurozone eher profitieren. "Längerfristig aber", meint der Diplomat gegenüber dem KURIER, "stellt sich für viele Investoren die Frage, ob ein Land, das in Brüssel nicht mehr so gehört wird, noch attraktiv ist. Jetzt wird noch sichtbarer werden, wie sehr Großbritannien an den Rand der EU gedrängt ist."

Manche der Banker sind dagegen um Optimismus bemüht. Schließlich müsse man sich um etwaige neue Regeln und Beschränkungen innerhalb der EU nicht kümmern, könne dadurch weltweit konkurrenzfähig bleiben. Außerdem, so ein Einwand, bleibe ja abzusehen, ob die neuen Regeln, Schuldenbremsen und Strafen für Budgetsünder auch tatsächlich umgesetzt würden. Manche Euroskeptiker in Großbritannien bezweifeln sogar deren Legalität.

Der klar pro-europäische Independent gibt dem traditionell britischen Eigensinn dagegen wenig Überlebenschancen: "Irgendwann sind wir ein isoliertes Steuerparadies wie die Cayman Inseln – nur ohne das schöne Wetter."

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