Lohndumping: Hitzige Debatte über Billig-Arbeiter

Polen entsendet die EU-weit mit Abstand meisten Arbeitskräfte.
Osteuropa gegen den Rest. EU-Sozialkommissarin Thyssen will Entsendungen bis zu zwei Jahren erlauben.

"Gleicher Lohn für alle? Sie wollen den Kommunismus wieder einführen!" Das habe ihr ein osteuropäischer Botschafter vorgeworfen, erzählte EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen am Donnerstag in Wien amüsiert. Natürlich sei das nicht ihr Plan. Aber: "Wir glauben, es ist fair, wenn zwei Menschen, die Seite an Seite arbeiten, dasselbe verdienen", sagte die Belgierin.

Gemeint sind Arbeitskräfte, die vorübergehend ins EU-Ausland geschickt werden, um Aufträge zu erledigen – sogenannte Entsendungen. Ein heikles Thema. Österreichische Firmen beklagen den ruinösen Wettbewerb durch Dumpinglöhne. Typischer Fall: Das ungarische oder polnische Bau-Unternehmen, das billige Arbeiter nach Österreich schickt. Weil die Lohnkosten aus dem Heimatland anfallen, werden einheimische Auftragnehmer verdrängt.

Neue Schutzregeln

Theoretisch setzt die EU-Entsenderichtlinie seit 1996 der ungleichen Behandlung Grenzen, weil zumindest lokale Mindestlöhne gezahlt werden müssen. Das lässt aber viele Schlupflöcher offen und kann in der Praxis kaum kontrolliert und bestraft werden. Burgenlands Soziallandesrat Norbert Darabos (SPÖ) forderte deshalb kürzlich, die Entsenderichtlinie ganz zu entsorgen.

Thyssen zeigte sich darüber verwundert, weil das kontraproduktiv wäre: "Wir hätten dann gar keine Regeln mehr, sondern völlige Dienstleistungsfreiheit."

Die EU-Kommissarin hat am 8. März Änderungen vorgeschlagen. Neu wäre: Für Zeitarbeiter sollen generell gleiche Bedingungen gelten. Sonst gelten als Untergrenze nicht mehr die Mindestlöhne, sondern umfassendere Ansprüche, samt Zulagen und Sonderzahlungen. Entsendungen sollen auf 24 Monate begrenzt sein, danach würden dieselben Rechtsansprüche gelten wie für lokale Kräfte.

Viel zu lange, befand Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) im März: Üblicherweise dauern Entsendungen kürzer als vier Monate. Thyssen will die Maximaldauer aber nicht verkürzen, weil sonst der bürokratische Aufwand immens wäre. Arbeiter, die alle paar Monate das Land wechseln, müssten jedes Mal neu bei der Sozialversicherung angemeldet werden.

"Gelbe Karte"

Gegen jede Verschärfung sind elf Länder, vor allem aus Osteuropa. Sie haben Thyssen kürzlich die "gelbe Karte" gezeigt und wollen Brüssel so die Kompetenz entziehen. Das Thema lasse sich besser national regeln. Bei einem Treffen mit zehn Ministerkollegen und der Kommissarin in Wien wollte Sozialminister Stöger Kompromisse ausloten. Thyssen denkt schon weiter. Nach der britischen "Brexit"-Abstimmung Ende Juni will sie Vorschläge zu den Sozialversicherungssystemen machen. Die sind freilich Sache der Mitgliedstaaten. Es gehe nicht um eine Harmonisierung, betonte die Kommissarin: "Aber wir können für mehr Konvergenz sorgen und Benchmarks setzen."

Papst: „Blutsauger“

Papst Franziskus verurteilte unterdessen Lohndumping und Schwarzarbeit als „Todsünde“ und rief zum Widerstand auf. Firmen, die andere für den eigenen Profit hungern ließen oder mit Kurzzeitverträgen ohne Absicherung beschäftigten, seien „Blutsauger“, sagte er am Donnerstag bei der Messe im Vatikan. In unseren Städten gebe es moderne Formen der Sklaverei.

Informationen der EU-Kommission zu Entsendungen

ÖGB zur osteuropäischen Allianz

Zweitägiges Treffen im Sozialministerium

Entsende-Fakten

2015 wurden 134.000 Arbeitskräfte nach Österreich entsandt, vor allem aus Osteuropa und vor allem im Bauwesen. EU-weit waren es 1,9 Millionen Personen. Die am Mittwoch im österreichischen Parlament beschlossenen Änderungen im Lohn- und Sozialdumping-Gesetz erleichtern Kontrollen und Strafen. So haftet künftig im Bauwesen der Auftraggeber, dass ausländische Arbeiter richtig entlohnt sowie die
Ruhezeiten und Urlaube eingehalten werden.

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