Land ohne Äcker, betonreich

Die Bauwirtschaft ist einmal mehr die Branche mit den meisten Pleiten
In Österreich wird acht Mal so viel Fläche verbaut wie akzeptabel wäre.

Sauberes Wasser, reine Luft, intakte Wälder – die Umwelt liegt der österreichischen Bevölkerung am Herzen. Für gesunde Böden gilt das seltsamerweise bisher kaum.

Das Umweltbundesamt lässt nun allerdings mit einer drastischen Warnung aufhorchen. Unser Boden-Ökosystem drohe zu kippen, sagte Karl Kienzl, Vizechef des Umweltbundesamtes, zum KURIER. Er befürchtet irreparable Schäden – durch ein Problem, das seit Jahrzehnten bekannt ist: Österreich geht zu sorglos mit seinen Naturräumen und Grünflächen um. Für Siedlungen, Straßen und Industrie werden Tag für Tag 20 Hektar Boden verbaut – das entspricht der Fläche von 31 Fußballplätzen. Das Achtfache dessen, was in der Nachhaltigkeitsstrategie von 2002 als Zielwert definiert worden war.

Agrarfläche schwindet

Seither jagt zwar eine Konferenz die nächste. Im Frühjahr 2014 wurde eine "Bodencharta" unterzeichnet. Gebracht hat es wenig: Der Flächenfraß geht mit unverminderter Geschwindigkeit weiter. Die Statistik Austria sieht darin mittlerweile eine der größten Bedrohungen für Österreichs Wohlstand.

Die ökologischen Folgen sind gravierend. "In einer Hand voll gesundem Boden leben so viele Bakterien, wie es Menschen auf der Welt gibt", sagt Kienzl. Dieses Leben werde unter einer Decke aus Asphalt oder Beton, die kein Wasser durchlässt, erstickt. Und zwar fast irreversibel. Es dauere viele Jahre, bis ein entsiegelter Boden wieder gesund wird.

Besonders eklatant ist der rasante Verlust an Agrarland: "Österreich hält bei der Verbauung fruchtbarer Böden einen europäischen Negativrekord", warnt Kurt Weinberger, Chef der Hagelversicherung.

Bis 2050 werde die Einwohnerzahl um 15 Prozent steigen, die Ackerfläche nehme im selben Zeitraum aber um 20 Prozent ab. Pro Kopf stünden dann nur 1000 Quadratmeter Fläche für den Anbau zur Verfügung. Für eine Eigenversorgung wäre die dreifache Fläche notwendig – Österreich werde also noch stärker von Importen abhängig sein.

Der natürliche Lebensraum fehlt nicht nur für viele Tier- und Pflanzenarten, der Boden verliert auch die Speicherfunktion für Kohlenstoff und Wasser. Schäden durch Hochwasser oder Starkregen fallen noch dramatischer aus.

Kompetenz-Wirrwarr

Dass Österreichs Bevölkerung wächst, erklärt den Wildwuchs nicht – der Flächenverbrauch steigt drei Mal so rasch. Zum einen streben die Menschen nach immer mehr Wohnfläche. Wer es sich leisten kann, will ein Einfamilienhaus am Stadt- oder Waldrand bauen – aus ökologischer Sicht die teuerste und ineffizienteste Variante. Statt brachliegende Gewerbeflächen oder Wohnungen zu nützen, werden Lagerhallen, Einkaufszentren oder Siedlungen auf der grünen Wiese gebaut.

Lösungsansätze gibt es zwar, sie gehen aber im Kompetenz-Dickicht unter. Wer darf wo wie bauen? Das regelt die Raumordnung. Für deren Umsetzung sind die Länder und Gemeinden zuständig. Dort zählen Jobs, Steuereinnahmen und Wählerstimmen im Zweifelsfall mehr als der Boden, wenn neue Betriebe oder Einkaufszentren angesiedelt oder Parzellen zu Bauland gewidmet werden sollen. Stephan Pernkopf, Landesrat in Niederösterreich und Präsident des Ökosozialen Forums, wünscht sich deshalb eine Vereinbarung von Bund, Ländern und Gemeinden, um die Pflichten zu klären.

Anregungen könnte der Blick in Richtung Westen liefern: "In Vorarlberg ist mit der Vision Rheintal seit 10 Jahren ein leuchtendes Vorbild verwirklicht", sagt Monika Mörth aus dem Umweltministerium. Dort planen 29 Gemeinden ihre Neubauten gemeinsam, 112 Quadratkilometer Grünzone sind tabu.

Noch drängender ist das Flächenproblem in der Schweiz, die gleich viele Einwohner hat, aber nur halb so groß wie Österreich ist. Dort gibt es Bauverbote, wenn ungenutzte Flächen nicht getauscht werden, sagt Kienzl.

Land ohne Äcker, betonreich

KURIER: Warum sind Österreichs Böden in Gefahr?
Karl Kienzl: Wir belasten den Boden seit Jahrzehnten durch Düngung, Pestizide, Autoverkehr und schädliche Aerosole. Irgendwann kippt das Bodenökosystem, so wie die Seen in den 1970ern gekippt wären, hätten wir nicht Abwasserleitungen gebaut.

Land ohne Äcker, betonreich
Karl Kienzl, stv. GF Umweltbundesamt
Was heißt das: Der Boden kippt?
Wenn Nährstoffe fehlen, weil ein Boden ausgelaugt ist, kann Dünger das nicht endlos ersetzen. Darauf ist kein landwirtschaftlicher Betrieb möglich. Zudem werden Schadstoffe nicht zurückgehalten, sondern gehen direkt ins Grundwasser. Und ein gesunder Boden speichert pro Kubikmeter 200 Liter Wasser. Wir verbauen täglich 20 Millionen Liter Speicher. Was das bei Hochwasser heißt, muss ich nicht erklären.

Warum ist das Problem so wenigen Menschen bewusst?
Viele haben den Eindruck: Wenn ich vor die Tür gehe, ist Fläche genug da. Es fehlt das Bewusstsein dafür, dass wir wertvolle, nährstoffreiche Böden verschwenden. In einer Hand voll gesunder Erde leben so viele Lebewesen und Bakterien, wie es Menschen auf der Erde gibt. Die Hälfte unseres Flächenverbrauchs wird wasserundurchlässig versiegelt. Das Leben darunter ist zerstört.

Warum schafft Österreich es nicht, das zu reduzieren?
Es fehlt eine strategische Flächenplanung. Unsere Bauweise ist verhüttelt und zerstreut, gerade im ländlichen Raum. Statt in die Höhe planen wir in die Fläche. Und statt Brachflächen, leer stehende Gewerbegebiete und Wohnungen zu nutzen, vergeuden wir neuen Boden.

Wer müsste dem einen Riegel vorschieben?
Solange ein Bürgermeister, der gewählt werden will, Bauland widmet, gibt es Interessenskonflikte. Wenn ihm beim nächsten Hochwasser eine Klage droht, wird er die Verantwortung allerdings gerne abgeben. Wir brauchen eine europäische Strategie: Welche Flächen sind wofür nutzbar? Wo gibt es Reserven?

Beim Häuslbauen will sich jeder selbst verwirklichen. Braucht es da strengere Vorschriften?
Eine Diktatur wollen wir nicht. Die individuelle Freiheit endet aber dort, wo ich der Gesellschaft Schaden zufüge. Auf Bundesebene könnte der Verbrauch von Ressourcen besteuert oder eine verdichtete Bauweise in den Dörfern gefördert werden.

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