Telefonieren ist bald Steinzeit

Schnell wischen statt lange reden: Spielerisch steigen Kinder in die faszinierende Welt aus Bildern, Videos und Emotionen ein.
KURIER-Serie "Alles wird gut": Heute erledigt das Smartphone, wofür vor 20 Jahren noch viele Dienstleister nötig waren.

Piep, piep, piep. Wenn der Nachbar telefonierte, war die Leitung besetzt ... Noch in den 1970er-Jahren mussten viele österreichische Haushalte ihren Telefonanschluss teilen, Viertel- und Halbanschlüsse waren die Regel. Und selbst auf diese mussten Haushalte auf dem Land sehr lange warten. Einziger Anbieter war die staatliche Post- und Telegrafenverwaltung, die Minuten-Tarife unterlagen der staatlichen Preisregulierung. Eine längere Plauderei außerhalb der Ortszone kostete mehr als ein Wocheneinkauf, sich am Telefon kurz zu fassen war nicht nur Pflicht, sondern Tugend einer ganzen Generation. Wer billiger telefonieren wollte, musste auf nach 18 Uhr oder das Wochenende warten. Die Telefonzelle konnte laut Aufschrift Leben retten, bei einem Herzinfarkt in den Bergen halfen nur Hoffen und Beten.

Im Gegensatz dazu herrschen heute geradezu paradiesische Zustände in der Telekommunikationswelt. Telefonieren ist nur noch eine "App" von vielen, das Smartphone ein Multifunktionsgerät zur Bewältigung des Alltags. Doch ist deshalb wirklich alles besser geworden?

Innovation Zweifellos zählt die Telekombranche zu den innovativsten Branchen überhaupt. Egal, ob Nachrichten versenden, den Rasenmäher steuern, Einkäufe tätigen, den Urlaub buchen oder Tickets bestellen: Ein Gerät und eine schnelle Internetverbindung reichen heute aus, wofür vor wenigen Jahren noch eigene Dienstleister aufgesucht werden mussten. Dieser Autonomie- und Zeitgewinn für jeden Einzelnen ist für Karim Taga, Telekom-Experte beim Beratungsunternehmen Arthur D. Little, einer der größten Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte. Apples Zauberding iPhone war dafür der entscheidende Treiber: "Das iPhone steht für unglaubliche Kreativität, man kann darauf Hunderttausende Anwendungen ermöglichen, die für Menschen relevant sind", schwärmt Taga. Noch wichtiger sei aber die Demokratisierung des Internet durch den technologischen Fortschritt. "Heute hat jeder Private eine Computerkapazität in der Hosentasche, die vor 20 Jahren maximal die NASA hatte."

Die Entwicklung ist noch lange nicht zu Ende. Die Maschine-zu-Maschine-Kommunikation ("Internet der Dinge") steht erst am Anfang und wird das Smartphone bald alt aussehen lassen. Das Bankwesen wird durch sogenannte FinTechs revolutioniert, zum Bezahlen an der Kassa könnte künftig ein "Selfie" reichen.

Kommunikationsverhalten Warum sprechen, wenn WhatsApp am Handy ist? Texten statt reden lautet die Devise, das Gesprächsvolumen in Österreich sinkt. Im Vorjahr wurden 21 Milliarden Minuten vertelefoniert – zwei Jahre zuvor waren es noch 22,66 Milliarden. Das mobile Datenvolumen hat sich seither mehr als verdoppelt. Fast jeder Jugendliche besitzt heute ein Smartphone, mehr als zwei Drittel benutzen täglich Social-Media-Dienste wie WhatsApp, Instagram oder Snapchat. Im Schnitt verbringt jeder Handybesitzer noch immer 3,65 Stunden im Monat mit Telefonieren, 13- bis 17-Jährige jedoch nur noch halb so viel. "Seit viel mehr als nur Sprache übertragen werden kann, macht Telefonieren keinen technischen Sinn mehr", sagt Experte Taga. Bilder, Videos, ja sogar Gefühle oder gesundheitsbezogene Daten werden heute ausgetauscht. Die Schattenseiten: Der Mensch wird "gläsern", kann ständig überwacht werden, die Strahlenbelastung steigt, viele Menschen können nicht mehr "abschalten", die Konzentration lässt nach.

Kosten Die vollständige Liberalisierung des Telekommarktes 1998 und der Siegeszug des Mobilfunks haben zu einem Preisrutsch bei den Telefonkosten geführt. Die neuen Anbieter lieferten sich wahre Preisschlachten. Die Minutentarife waren jahrelang unter den niedrigsten in Europa. Die vermehrte Nutzung von Datendiensten führte dann zur Umstellung auf Monatspauschalen.

Telefonieren ist bald Steinzeit
Heute gibt ein österreichischer Haushalt durchschnittlich 49 Euro im Monat für Kommunikation (Post, Telefonie und Internet) aus. Das sind 1,7 Prozent der Gesamtausgaben. Auch wenn das wenig erscheinen mag, vor der Liberalisierung 1993/’94 lag der Anteil mit 1,9 Prozent nur knapp darüber. Nicht mitgerechnet sind in dieser Statistik Ausgaben für kostenpflichtige Anwendungen (etwa Spiele- oder Streaming-Dienste wie Netflix).

Tarifdschungel Die Konsumenten haben die Qual der Wahl. Es gibt in Österreich inzwischen mehr als 30 verschiedene Mobilfunk-Marken. Die Preisvergleichsseite durchblicker.at verweist auf zwei Millionen Tarif-Kombinationen. Wer Angebote vergleicht, kann bis zu 250 Euro im Jahr sparen. Aber wer tut das schon? Die Wechselrate im Mobilfunk ist gering, der Umstieg auf neue Tarife wird Kunden nicht immer leicht gemacht. Kündigungsfristen, Portierungskosten sowie Aktivierungsentgelte halten viele von einem Wechsel ab.

Internationalisierung War früher Telefonieren eine überwiegend nationale Angelegenheit, rückt die Welt via Internet zusammen. Die Vernetzung quer über die Kontinente wird für immer mehr Menschen leistbar, teure EU-Roaming-Gebühren fallen schon 2017 zur Gänze. Die Internationalisierung nützt globalen Konzernen, die ihre Marktmacht ausweiten. Seit der Mehrheitsübernahme der Telekom Austria durch die mexikanische America Movil befinden sich in Österreich sämtliche überregionale Netzbetreiber in ausländischer Hand. T-Mobile gehört zur Deutschen Telekom, Drei zur chinesischen Hutchison, Kabelnetzbetreiber UPC (früher Telekabel) der britischen Liberty Global. Im Internet beherrschen US-Riesen wie Facebook, Google oder Apple das Geschehen. Das Internet-Business schuf jedoch auch zahlreiche Jobs im Inland.

Zur Serie: www.kurier.at/alles-wird-gut

Teil 1: Wellness, Städtetrip und dann noch auf eine Kreuzfahrt

Teil 2: Globalisierung: Das Ende extremer Armut wird greifbar

Teil 3: Lebensmittel sind so sicher wie noch nie

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