Kritik am "destruktiven Populismus"

Interview mit dem neuen Chef des WIFO Christoph Badelt am 5.09. 2016 in Wien
Christoph Badelt ortet oberflächliche Debatten und Entscheidungsschwäche bei den Regierenden.

Der neue Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO über Niedriglöhne, Flüchtlinge, Maschinensteuer und bedingungsloses Grundeinkommen.

KURIER: Weil in den Augen der Wirtschaft das WIFO in den letzten Jahren zu sehr nach links rückte, wurden zwei weitere Institute – ecoaustria und Agenda Austria – gegründet. Werden Sie das WIFO wieder mehr in die Mitte bringen?

Christoph Badelt: Ich will nicht in eine Schublade gesteckt werden. Mit meinen Äußerungen werde ich mal den einen, mal den anderen keine Freude bereiten.

Man könnte polemisch fragen, wozu man überhaupt Wirtschaftsforscher braucht, wenn die ihre Prognosen binnen kurzer Zeit wieder ändern.

Prognosen sind eine unserer Kernaufgaben. Alle – Politik, Wirtschaft, Medien – wünschen sich eine quantitative Exaktheit, die es aber nie geben wird. Das sind Schätzungen. Das fast schon krankhafte Schauen auf Zehntelprozentpunkte halte ich für unsachlich. Ich möchte von dieser absoluten Zahlengläubigkeit wegkommen.

Warum veröffentlichen Sie dann nicht einfach die Schwankungsbreite?

Weil die Erwartungshaltung anders ist. Viele Unternehmen bauen ihre Marktstudien auf diesen Zahlen auf. Prognosen beeinflussen auch die reale Entwicklung.

Als WIFO-Chef ist man das wirtschaftspolitische Gewissen des Landes. Haben Sie sich an diese Vorstellung schon gewöhnt?

Weil Politiker oft nicht mutig genug sind, Entscheidungen zu treffen, finden sich Wirtschaftsforscher plötzlich in der Rolle, sagen zu müssen, wo es langgehen soll. Das halte ich für falsch. Wir machen in erster Linie "Wenn-dann-Aussagen". Also: Wenn ich die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs steigern will, dann muss ich unter anderem die Steuerbelastung reduzieren.

Eines der politischen Hauptstreitthemen ist Integration. Der neue deutsche ifo-Chef Clemens Fuest hält freie Migration für eine Gefahr für europäische Sozialstaaten wie Österreich und Deutschland. Denn dann würden sich gerade jene, die nicht sonderlich produktiv sind, in Länder mit gut ausgebauten Sozialsystem niederlassen. Was sagen Sie dazu?

Die oft kolportierte Meinung, ein Rumäne oder Bulgare müsse nur nach Österreich kommen und sich hier die Mindestsicherung oder die Ausgleichszulage abholen, ist einfach falsch. Es gibt in der EU eine juristische Diskussion, unter welchen Umständen wem konkret eine solche Sozialleistung gewährt oder verweigert werden kann. Urteile des Europäischen Gerichtshofs bestreiten, dass jemand Mindestsicherung beanspruchen kann, ohne hier vorher erwerbstätig gewesen zu sein. Aber natürlich ist es generell schwer, Länder mit unterschiedlichen Wohlstandsniveaus rasch anzugleichen, noch dazu, wo das Wirtschaftswachstum schwächelt.

Und jetzt kommen noch die Flüchtlinge dazu. Es gibt die Forderung nach Deckelung der Mindestsicherung und mehr Naturalleistungen.

Die Mischung aus Geld und Sachleistung halte ich für ein seriös zu diskutierendes Thema, besonders, was das Thema Wohnen betrifft. Ein Problem ist, dass die Mindestsicherung für einen Alleinverdiener mit mehreren Kindern nah am Einkommen in Niedriglohnbranchen liegt. Da wird man über Einschleifregelungen nachdenken müssen. Aber man sollte das differenziert diskutieren. Ich halte es für inakzeptabel, Menschen Sozialleistungen in einer Weise zu kürzen, dass sie nicht genug Geld zum Leben haben. Es geht ja auch darum: Wie sehr kann man zulassen, dass die Marktlöhne sinken – in Relation zu dem, was als Mindestlebensstandard betrachtet wird?

Aber ein afghanischer Analphabet wird einen zweiten Arbeitsmarkt brauchen, um überhaupt Chancen auf Arbeit zu haben.

Das ist ein ernstes Thema, über das man frei von Polemik nachdenken muss.

Was halten Sie von bedingungslosem Grundeinkommen? Es wurde heuer dank Yanis Varoufakis in Alpbach diskutiert.

Nichts – weil ich glaube, dass ein arbeitsfähiger Mensch auch arbeiten soll. There is no free lunch. Die Befürworter meinen, das sei dann die einzige Sozialleistung, die man kriegt. Das ist aber je nach Lebenssituation dann oft dramatisch zu wenig.

Der Kanzler hat mit der Forderung nach Maschinensteuer überrascht.

Eine tabulose Diskussion über das Abgabensystem wäre notwendig. Ich glaube, wir brauchen eine Entlastung bei den Sozialabgaben, vor allem im unteren Bereich. Doch die momentane Debatte dient nur einem destruktiven Populismus, in dem Reizworte über Medien ausgeschickt werden. Was für die SPÖ die Wertschöpfungsabgabe, ist für die ÖVP das Thema Mindestsicherung und Ein-Euro-Jobs.

Inwiefern?

Damit wird der fälschliche Eindruck erweckt, dass Flüchtlinge nur faul herumsitzen und nichts tun wollen. Ein-Euro-Jobs könnte man nur als Integrationsmaßnahme für Leute einführen, die auf ihren Asylbescheid warten.

Kanzler Kern hat auch Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich gefordert.

Das wäre ein massiver Anschlag auf die Wettbewerbsfähigkeit des Landes.

In Österreich ist man globalisierungsmüde, EU-kritisch, antiamerikanisch, gegen Freihandelsabkommen. Müssen Sie den Österreichern die Vorteile freier Märkte erklären?

Es gibt ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber "jenen da oben". Natürlich muss man die Sorgen der Leute ernst nehmen, etwa bei Lebensmittel-Standards. Aber gerade beim Abkommen CETA mit Kanada wissen wir, dass wir uns da nicht sorgen müssen. Da wird mit oberflächlichen Schlagworten um sich geschmissen. Wenn das jetzt auch noch die Regierenden tun, dann frage ich mich schon: Wer in diesem Land will eigentlich noch rationale Entscheidungen treffen?

Das WIFO als Korrektiv?

Wir werden zumindest aufgefordert sein, die sachlichen Argumente zu liefern. TTIP ist ja noch nicht einmal ausgehandelt: Dann formulieren wir doch einmal klare Verhandlungsvorgaben! Es wirkt außerdem so, als wäre das alles der bösen EU-Kommission eingefallen. Dabei stehen Aufträge des Europäischen Rats dahinter, wo auch der österreichische Bundeskanzler mitgestimmt hat. Allein Österreich hat übrigens 60 bilaterale Handelsabkommen.

CHRISTOPH BADELT, Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes

Der langjährige Rektor der Wirtschaftsuniversität Wien ist am 1. September Karl Aiginger an der Spitze des WIFO nachgefolgt. Badelt hat auch die Funktion des Rektorenchefs ausgeübt, er war streitbar, erreichte viel für „seine“ Wirtschaftsuni, die nun auf einem brandneuen Campus logiert. Badelt (65) gilt als Bürgerlicher mit Eigensinn. Er trat bildungspolitisch für Elitestudium und Zugangsbeschränkungen ein, befürwortete aber die Gesamtschule. Sein bisheriger Forschungsschwerpunkt war die Sozialpolitik.

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