Überzogene Rechnungen beim KH Nord: Bis zu 200 Millionen zu viel

Überzogene Rechnungen beim KH Nord: Bis zu 200 Millionen zu viel
Beim Wiener Skandalbau Krankenhaus Nord sind überzogene Rechnungen aufgeflogen.

Baumaschinen und Arbeitstrupps sind abgezogen. Am 3. Dezember wird der Wiener Krankenanstaltenverbund KAV bei der MA 37 die Baufertigstellungsanzeige für das Krankenhaus Nord einreichen. Das Projekt hätte das Prestige-Spital der Stadt Wien werden sollen, wurde aber bekanntlich zum Desaster. Mit der Größenordnung völlig überfordert und gegenüber den Baufirmen hilflos, flogen dem KAV Kosten und Zeitplan davon.

Die Fehler auf der Baustelle sind passiert, da kann auch das beste Sanierungsmanagement nachträglich nichts mehr korrigieren. Jetzt aber geht’s ums Geld. Die zahlreichen ausführenden Firmen haben begonnen, ihre Endabrechnungen zu legen. Und etliche wollen sich so richtig üppig bedienen.

In Summe, schätzen Rechnungsprüfer, dürften die Firmen versuchen, dem zum Rathaus gehörenden KAV zwischen 100 und 200 Millionen Euro an Mehrkosten hinauf zu dividieren.„Der KAV ist kein Briefkasten, wo man Rechnungen einwirft und hinten kommt das Geld heraus“, ärgert sich einer der Experten.

Die „Zuschläge“ beginnen bei zehn Prozent und reichen bis knapp an die 90 Prozent.

Aktuell gehen Rathaus und KAV von 1,341 Milliarden Euro Baukosten aus. Diesen Rahmen gab SPÖ-Gesundheitsstadtrat Peter Hacker dem KAV vor. Die Korrekturen und Abzüge für die überhöhten Rechnungen sind in dieser Summe schätzungsweise bereits berücksichtigt.

Zur Erinnerung: Als der damalige Bürgermeister Michael Häupl und Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (die sich im U-Ausschuss als Politikerin ohne Einfluss präsentierte) 2012 den Grundstein für Wiens neue „Wohlfühlkrankenhaus“ legten, budgetierte das Rathaus die Gesamtkosten mit 825 Millionen. Der Vollbetrieb war für 2016 geplant, tatsächlich aber werden die ersten Patienten im Sommer 2019 einziehen.

So manche Firmen dürften sich heute weniger wohl fühlen. Der neue KAV-Direktor Herwig Wetzlinger, seit November 2017 an Bord, hat die Prüfverfahren streng verschärft. Nicht korrekte Abrechnungen werden umgehend zurückgeworfen.

Firmen, die ungerechtfertigt abkassieren wollen, müssen sich warm anziehen. Die Prüfer wurden schon fündig, bei großen Aufträgen ebenso wie bei kleineren Arbeiten. Dem KURIER liegen Rechnungen vor, die teilweise drastisch korrigiert wurden (siehe Faksimiles). Eine kleine Auswahl:

Überzogene Rechnungen beim KH Nord: Bis zu 200 Millionen zu viel

Für zusätzliche Erdarbeiten verrechnete ein Auftragnehmer 73.739 Euro. Nach Prüfung durch die ÖBA (Örtliche Bauaufsicht) wurden nur rund 9000 Euro freigegeben. Entspricht einer Korrektur von fast 88 Prozent.

Rund 120.000 Euro verrechnete eine Firma an Mehrkosten im Bereich der Bodenplatten. Freigegeben wurden nach Prüfung allerdings nur knapp 82.000 Euro, um rund 32 Prozent weniger.

Ein Stahlbauunternehmen forderte 4,17 Millionen Euro. Nach sachlicher und rechnerischer Prüfung wurden 411.700 Euro gestrichen und den Steuerzahlern immerhin zehn Prozent erspart.

Eine Rechnung über rund 76.000 Euro wurde um 40 Prozent auf 30.000 Euro zusammen gestrichen.

Fragt sich, wann nicht korrekte Rechnungen zum Fall für die Strafjustiz werden. Hängt vom Einzelfall ab, erklärt ein Staatsanwalt. Zahlt der Bauherr zu viel, kann er unter die Untreue fallen. Wer nicht erbrachte Leistungen bewusst verrechnet, dem kann Betrug drohen.

Die Korruptionsstaatsanwaltschaft wurde bereits aktiv und hat den 95.000-Euro-Auftrag an einen Energetiker sowie Vorwürfe des Rechnungshofes geprüft. Der Vorhabensbericht liegt bei der Oberstaatsanwaltschaft.

Überhöhte Rechnungen ausstellen, Leistungen gar nicht oder nur teilweise erbringen, aber verrechnen oder dem Bauherrn Zusatzleistungen reindrücken – diese Praktiken haben in der Bauwirtschaft offenbar System. Vor allem, wenn der Auftraggeber die öffentliche Hand ist. Denn dort winken die wirklich großen Projekte.

Die Hauptaufträge müssen ausgeschrieben werden, „und der Wettbewerb ist derart hart, dass die Firmen meist unterpreisig anbieten und keinen Gewinn erzielen können“, erklärt ein Bausachverständiger. Die Margen würden sich die Professionisten über die Mehrkosten bzw. über Zusatzleistungen holen. „Die Bauwirtschaft verdient nicht mehr durch Leistung“, kritisiert ein Gutachter die „Selbstbedienungsmentalität der ausführenden Firmen“.

Die umso heftiger ausfalle, „je schwächer die Bauherren-Organisation ist“. „Claimmanagement“ (Nachforderungs-Management) lautet der überaus treffende Fachterminus dafür. Der Bauherr wiederum braucht zur Abwehr Know-how im „Anti-Claimmanagement“.

Der Rechnungshof befasst sich damit im Leitfaden „Management von öffentlichen Bauprojekten“. Die Erfahrungen von 55 Bauprojekten wurden zusammen gefasst, vom desaströsen Terminalprojekt „Skylink“ am Flughafen Wien bis zu Tunnelbauten. Meist fehlt es im öffentlichen Bereich am Know-how der Bauherren, resümiert der Rechnungshof. Aber auch wenn noch so viele externe Experten für Planung, Bauaufsicht, Projektsteuerung und Kontrolle eingesetzt werden, für die Letztentscheidung ist immer der Bauherr zuständig.

Die Prüfer in und um den KAV werden noch die nächsten zwei Jahre gut ausgelastet sein. Das standardisierte Prüfsystem ist mehrstufig aufgebaut. Mehrkostenforderungen durchlaufen die örtliche Bauaufsicht, die Planung, die Projektsteuerung (Architekturbüro Moser) und die begleitende Kontrolle. Jeder Prüfschritt wird digital dokumentiert. Am Ende entscheidet der KAV, ob und wie viel ausbezahlt wird.

Kann man sich mit einer Firma nicht einigen, kann der Auftragnehmer seine Forderung bei Gericht einklagen. Oder es startet ein Clearing-Verfahren vor einem Schiedsgericht, wie im Streit mit der Haustechnik-Arbeitsgemeinschaft.

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