Was Kern und Kreisky gemeinsam haben

Kanzler Kern in der SPÖ-Bundeszentrale in der Löwelstraße (Foto: SPÖ/Stohanzl).
Der Sonnenkönig als Vorbild – und wo sich der Kanzler eher am Schuldenkaiser orientiert.

Bei Fotos überlässt Kanzler Christian Kern nichts dem Zufall. Wie ist das Signal zu deuten, wenn er sich in eine Reihe mit dem SPÖ-Übervater Bruno Kreisky stellt: Eine Reminiszenz an bessere Zeiten? Oder doch ein bewusstes wirtschaftspolitisches Statement? Eine Spurensuche.

War Kreisky wirklich der Schuldenkaiser, als der er bis heute gilt?

Dieser Ruf liegt vor allem am berühmten Zitat: "Ein paar Milliarden (Schilling) Schulden mehr bereiten mir weniger schlaflose Nächte als ein paar hundert Arbeitslose." Die Schulden stiegen in Kreiskys Amtszeit von 1970 bis 1983 tatsächlich, aber eher wegen der Ölpreisschocks als wegen fehlender Disziplin. Heute haben wir mehr Arbeitslosigkeit und mehr Schulden denn je. Was nicht allein Kreisky anzulasten ist, sondern fast allen späteren Regierungen (Grafik).

Was Kern und Kreisky gemeinsam haben

Sind Schulden nun gut oder schlecht?

Kommt darauf an, wen man fragt. Für linke Ökonomen treiben sie in Krisenzeiten den Wirtschaftsmotor an. Wenn es die anderen nicht tun, soll zumindest der Staat mehr Geld ausgeben.

Für konservative Ökonomen sind Schulden nicht die Lösung, sondern das Problem. Wo ein Rucksack auf dem Staat lastet und höhere Steuern drohen, werden private Investitionen und somit das Wachstum nicht in Gang kommen. Die pragmatische Antwort: Ob Schulden gut oder schlecht sind, hängt davon ab, was mit dem Geld angestellt wird. Verpufft es in der Verwaltung oder ist es gewinnbringend investiert?

Und wie hält es Kern mit den Schulden?

Er hält sich bedeckt. Im viel beachteten Gastbeitrag für die FAZ kommt das Wort "Investitionen" neun Mal vor, "Schulden" hingegen gar nicht. Den Staatsapparat will Kern offenbar nicht aufblähen – die Abgabenquote (also Steuerbelastung) soll nicht steigen. Allein das wertet so mancher SPÖ-Ideologen bereits als Affront. Obendrein will er die Staatsschulden unter 80 Prozent der Wirtschaftsleistung senken.

Kern fordert mehr Investitionen. Hat er recht?

Ja, darin sind sich die Ökonomen einig. Europas Wachstum schwächelt, weil sich die Investitionen seit der Krise nicht erholt haben. Kern fordert deshalb, dass der "Juncker-Fonds" mehr als verdoppelt wird. Das ist ein Topf, der mit möglichst wenig EU-Geld möglichst viel Geld privater Kofinanciers anlocken will. Kritiker sind skeptisch, ob die Rechnung aufgeht. Denn mit nur 21 Mrd. Euro EU-Mitteln sollen Projekte um 315 Mrd. Euro über drei Jahre finanziert werden – vom Energiepark Bruck bis zu griechischen Regionalflughäfen. "Die Idee ist gut", sagt Ökonom Marcus Scheiblecker, Vizechef des WIFO. Er glaubt aber, dass viele Projekte so oder so umgesetzt worden wären. Und die Auswahl folge weniger strategischen Plänen, sondern sei ein "Fleckerlteppich", der alle EU- Länder zufriedenstellen soll.

Weniger Schulden, trotzdem mehr Investitionen: Wie soll sich das ausgehen?

Die entscheidende Frage. Im Idealfall kommt das Geld aus Einsparungen, dem Abbau von Doppelgleisigkeiten in der Verwaltung. Allerdings ist Kern ein Fan der "goldenen Regel": Die Staaten sollen Investitionen aus der Berechnung des offiziellen EU-Budgetdefizit ausklammern dürfen. Das ist eine Idee, die vor allem Italiens Premier Matteo Renzi sehr befeuert. Kritiker befürchten dadurch einen Freibrief für neue Schulden.

Schaffen Staatsausgaben heute noch Arbeitsplätze?

Traditionelle Bauprojekte locken in Österreich viele Arbeitskräfte aus dem Ausland an, der direkte Jobeffekt ist also oft gering. Indirekt profitieren aber alle Unternehmen, etwa wenn neue Glasfaserkabel die Internetverbindung beschleunigen. "Nicht nur der Beton, auch die Köpfe gehören dazu", sagt Scheiblecker. Der Staat dürfe nicht auf Bildungsinvestitionen vergessen.

KURIER: Kanzler Kern fordert einen radikalen Kurswechsel in der EU-Wirtschaftspolitik und eine massive Erhöhung der öffentlichen Investitionen. Hat er damit recht?
Stephan Schulmeister: Im Grunde hat er recht. Allerdings geht für mich als Wirtschaftsforscher seine Kritik nicht weit genug. Hoffnungslosigkeit, Arbeitslosigkeit und zunehmende Ungleichheit in der Gesellschaft sind ein wesentliches Krisenelement, da hat Kern recht. Aber das sind nur Symptome einer Systemkrise. Unser Problem ist, wie Profitanreize gesetzt werden, weil Finanzveranlagungen und Spekulationen seit Langem bessergestellt werden als Unternehmertum. Das muss sich ändern.

Was sollte sonst geschehen?
Der Junckerplan für mehr Investitionen ist für mich viel zu spät und zu klein dimensioniert. Der Grundgedanke hätte sein müssen, nach dem schweren Einbruch der Wirtschaft 2009 nicht nur kurzfristig Bankenrettung und Konjunkturprogramme umzusetzen, sondern die zunehmende Unsicherheit durch Sparpolitik, Stagnation, steigende Arbeitslosigkeit und Diskriminierung der Jungen zu bekämpfen. Denn nur dann sind die Unternehmen wieder bereit, in der Realwirtschaft zu investieren. Daher braucht es ein gemeinschaftliches EU-Wachstumsprogramm.

Kern plädiert ja für einen New Deal, liegt er da richtig?
Wenn er schon Roosevelts New Deal aus den 1930er-Jahren nennt, wäre es schön, wenn er bedenkt, was damals gemacht wurde. Der erste Schritt war nämlich eine strikte Regulierung der Finanzmärkte. Das haben wir in Europa nicht gemacht, wohl aber die USA. Das massenhafte Spekulieren wurde nicht eingedämmt. Daher belebte die Nullzinspolitik der EZB die Aktienspekulation und nicht die Realinvestitionen.

Wer hat denn richtig reagiert?
Die USA waren nicht so dogmatisch in ihrer Politik wie die Europäer. Die haben Budgetdefizite in zweistelliger Höhe des BIP in Kauf genommen und nun ein deutlich besseres Wachstum.

KURIER: Brauchen wir in Österreich mehr Investitionen?
Bernhard Felderer: Absolut! Investitionen bestimmen nicht nur das Wachstum der Gegenwart, sondern auch die Produktivität der Zukunft. Wenn die Unternehmen kein Geld in die Hand nehmen, veraltet ihr Maschinenpark. Besonders dringend brauchen wir aber Investitionen in die Erneuerung und Erweiterung der Kapazitäten.

Woher soll der Impuls kommen?
Vom Tischler in Tirol bis zum Industriellen in Oberösterreich sagen mir alle dasselbe: Die Menschen, die Geld haben, haben keinen Anreiz, zu investieren. Man hat sie jahrelang mit neuen Steuern und ständig geänderten Immobilien- und Stiftungsgesetzen gerupft. Das wichtigste wäre, dass der Staat für stabile Bedingungen sorgt.

Könnte der Staat nicht einen finanziellen Anstoß liefern?
Öffentliche Investitionen machen nur 10 bis 15 Prozent aus, der Großteil muss aus dem Privatsektor kommen. Wogegen ich nichts habe ist, wenn der Staat sich dort einbringt, wo es für private Investoren noch nicht rentabel ist und zum Beispiel Nanotechnologie an den Universitäten fördert. Aber das löst nicht unser Problem.

Die Zinsen sind auf null. Ist das nicht genau der richtige Zeitpunkt, Schulden zu machen?
Natürlich ist das günstig, damit ist aber auch die Versuchung groß, viel Geld rauszuschmeißen. Die Niedrigzinsen haben schwere Nachteile, sie zerstören unsere Struktur der Alterssicherung, Pensionsfonds werden geschröpft.

Der Kanzler will den Juncker-Fonds mehr als verdoppeln. Gut?
Ich habe meine Zweifel, ob das so gut läuft. Viele frühere EU-Förderungen gingen ins Leere. Wenn Wanderwege auf den spanischen Balearen mit EU-Geld befestigt wurden, ist das schön, bringt aber keinen neuen Touristen. Und in Österreich haben wir die wichtigste Verkehrsinfrastruktur wie Bahn und Straße schon. Was wir dringender brauchen, ist die Förderung des Humankapitals.

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