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Deutschland

Karstadt will sechs Häuser schließen

2000 Jobs wackeln. Aufsichtsratschef Fanderl wird neuer Chef der angeschlagenen Warenhauskette.

10/24/2014, 11:15 AM

Aufräumen bei Karstadt: Sechs Häuser des deutschen Krisenkonzerns sollen noch 2015 geschlossen werden. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt kündigte der neue Karstadt-Chef Stephan Fanderl am Donnerstag erste Schließungen an.

Betroffen sind zwei der noch verbliebenen 83 klassischen Warenhäuser in Hamburg-Billstedt und Stuttgart, die bis Mitte nächsten Jahres ihre Tore schließen sollen. Ferner betroffen sind die Filialen der auf junge Mode spezialisierten Kette "K-Town" in Köln und Göttingen sowie die Schnäppchenmärkte des Konzerns in Paderborn und Frankfurt/Oder.

Zehn weitere Schließungen?

Zudem geht Fanderl davon aus, dass neben der angekündigten Schließung von sechs Häusern weitere Standorte dichtgemacht werden. In einem Interview mit demHandelsblatt (Freitagsausgabe) sagte Fanderl, es gebe "weitere acht bis zehn Filialen, bei denen die Situation ähnlich ist".

Karstadt werde dort individuelle Lösungen suchen, etwa mit den Vermietern sprechen, ob es andere Möglichkeiten zur Nutzung der Häuser gebe oder eine Chance bestehe, früher aus den laufenden Mietverträgen herauszukommen.

"Die Sanierung wird uns viel abverlangen"

Fanderl betonte: "Die Sanierung wird uns viel abverlangen. Ohne zum Teil sehr schmerzliche Entscheidungen wie auch Filialschließungen wird es nicht gehen, um das Überleben des Gesamtunternehmens zu sichern." Man habe aber auch in kürzester Zeit ein Zukunftskonzept erarbeitet, mit dem das Unternehmen strategisch neu ausgerichtet werden könne. Bereits im nächsten Jahr sollten einzelne neue Warenhaus-Konzepte an den Start gehen. "Alle Anstrengungen müssen parallel darauf ausgerichtet bleiben, operativ besser zu werden und die Filialrentabilität zu verbessern", erklärte Fanderl.

Der Karstadt-Aufsichtsrat berief den 51-jährigen Manager am Donnerstag zum neuen Konzernchef und füllte damit nach drei Monaten die durch den überraschenden Abgang von Eva-Lotta Sjöstedt hinterlassene Lücke. Fanderl war bisher Aufsichtsratsvorsitzender der Warenhauskette. Seinen Posten übernahm Wolfram Keil, der als Vertrauter des österreichischen Karstadt-Eigentümers Rene Benko gilt und auch Geschäftsführer der für das Handelsgeschäft zuständigen Benko-Firma Signa Retail GmbH ist.

Keil kündigte einen "tiefgreifenden und umfassenden Wandel" des Unternehmens an. Sanierung und Zukunftskonzept bedingten sich gegenseitig. "Wir stehen erst am Anfang eines langen Prozesses", sagte er.

"Dunkler Tag für die Beschäftigten"

Der Karstadt-Gesamtbetriebsratchef Hellmut Patzelt sprach von einem "dunklen Tag für die Beschäftigten". An den sechs betroffenen Standorten hätten damit heute bis zu 240 Mitarbeiter die Mitteilung bekommen, dass sie ihre Job verlieren. Zusätzlich sei der Abbau von rund 2000 Stellen in den übrigen Warenhäusern und der Zentrale geplant. Karstadt hat derzeit noch insgesamt 17.000 Beschäftigte. Die Verdi-Vertreterin im Aufsichtsrat, Stefanie Nutzenberger, kritisierte, das Konzept der Karstadt-Führung wolle lediglich Kosten reduzieren, nicht Umsätze steigern.

Benko: Kaufhof-Übernahme?

Karstadt-Eigentümer Benko signalisierte unterdessen einem Medienbericht zufolge erneut Interesse an einer Übernahme der Warenhauskette Kaufhof. Der Kaufpreis solle bei 2,5 Milliarden Euro bis 2,7 Milliarden Euro liegen, schrieb dieLebensmittel Zeitungunter Berufung auf Insider. Konkrete Verhandlungen über einen Verkauf der Metro-Tochter hätten jedoch noch nicht begonnen.

Ein Sprecher des österreichischen Benko-Unternehmens Signa wies die Meldung allerdings zurück. "Der Bericht entbehrt jeder Grundlage. Die Signa konzentriert sich zusammen mit dem Management von Karstadt voll und ganz auf das Sanierungs- und Zukunftsprogramm für die Karstadt Warenhaus GmbH", erklärte Signa-Sprecher Robert Leingruber. Der Kaufhof-Mutterkonzern Metro lehnte eine Stellungnahme zu "Marktgerüchten und Spekulationen" ab.

Stephan Fanderl - Vom Karstadt-Aufseher zum Chef

Stephan Fanderl hat die wohl schwerste Aufgabe übernommen, die zurzeit im deutschen Einzelhandel zu vergeben ist: Er soll Karstadt retten. Zugutekommen dürfte dem 51-jährigen Sohn eines bayerischen Edeka-Händlers bei seiner neuen Aufgabe als Karstadt-Chef, dass er die Grundlagen des Handelsgeschäfts sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen hat.

"Ich bin im deutschen Handel groß geworden. Meine Familie, das sind Kaufleute in der fünften Generation", sagte der Manager dem "Handelsblatt" (Freitag). Im Gegensatz zu seinen Vorgängern Andrew Jennings und Eva-Lotta Sjöstedt kennt er den Markt in Deutschland, die Kundschaft und den Wettbewerb. Er habe schon jeden Job auf der Verkaufsfläche gemacht, davon profitiere er in seinen täglichen Entscheidungen, sagt Fanderl von sich selbst.

Der Manager hatte in seinem Berufsleben bereits für viele große Handelskonzerne - für die Metro, Rewe und Wal Mart - gearbeitet, bevor er 2013 den Aufsichtsratsvorsitz beim krisengeschüttelten Karstadt-Konzern übernahm. Dort fiel ihm schnell die Rolle einer grauen Eminenz zu. Dabei machte er nie einen Hehl daraus, dass er harte Einschnitte zur Sanierung des Unternehmens für nötig hielt.

Sein Credo fasst der Manager in dem Satz zusammen: "Handel ist nichts für Helden." Es gehe darum, dem Kunden zu dienen. Und der wichtigste Ort, an dem sich alles entscheide, sei die Ladenkasse.

Handelsexperten halten den Manager vielleicht auch wegen dieser Bodenständigkeit für eine gute Wahl. Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg jedenfalls findet lobende Worte: "Herr Fanderl ist sicherlich der mit Abstand beste Mann, der so kurzfristig für diese schwere Aufgabe zu gewinnen ist und sicher auch der beste Manager, den Karstadt seit einer Reihe von Jahren gehabt hat."

Karstadt in der Krise

2009:

9. Juni: Der Mutterkonzern Arcandor und damit seine Töchter Karstadt und Quelle sind pleite.

1. September: Das Insolvenzverfahren für Arcandor und Karstadt wird offiziell eröffnet.

7. November: Der Insolvenzverwalter und die Beschäftigten verständigen sich auf Eckpunkte für einen Sanierungsbeitrag der Belegschaft.

10. November: Die Gläubiger stimmen für die Fortführung des Unternehmens. Der Insolvenzverwalter kündigt die Schließung von sechs Filialen an.

1. Dezember: Der Sanierungsplan wird verschärft: Insgesamt 13 Filialen mit 1200 Beschäftigten werden geschlossen. 120 Filialen sollen erhalten bleiben.

12. Dezember: Der Verkauf von Karstadt beginnt offiziell.

2010:

12. April: Die Gläubiger stimmen dem Insolvenzplan zu.

23. April: Der europäische Finanzinvestor Triton legt ein Kaufgebot vor.

21. Mai: Der US-deutsche Investor Nicolas Berggruen reicht eine Offerte ein.

28. Mai: Die Bieterfrist endet. In letzter Minute legt auch das Karstadt-Vermieterkonsortium Highstreet ein Angebot vor.

7. Juni: Der Gläubiger-Ausschuss wählt Berggruen als Karstadt-Käufer aus.

8. Juni: Berggruen und der Insolvenzverwalter unterzeichnen den Kaufvertrag. Er tritt nur in Kraft, wenn Highstreet auf Mieteinnahmen für Gebäude von Karstadt verzichtet.

30. Juni: Das Kartellamt genehmigt die Übernahme von Karstadt durch Berggruen.

2. September: Die Investoren von Highstreet stimmen den von Berggruen geforderten Mietnachlässen grundsätzlich zu.

3. September: Nachdem alle Highstreet-Gläubiger den Mietvertrag mit Berggruen unterschrieben haben, tritt der Kaufvertrag in Kraft. Das Amtsgericht Essen billigt den Insolvenzplan für Karstadt und damit den Verkauf.

2011:

1. Jänner: Der frühere Chef der südafrikanischen Kaufhauskette Woolworths, Andrew Jennings, übernimmt die Leitung bei Karstadt.

2012:

16. Juli: Karstadt verkündet Stellenstreichungen. Bis Ende 2014 sollen 2000 Arbeitsplätze wegfallen.

30. September: Karstadt schafft die Trendwende nicht: Im Ende September endenden Geschäftsjahr 2011/2012 macht der Konzern 158,4 Millionen Euro Verlust.

22. Dezember: Die Signa-Gruppe des Tiroler Unternehmers René Benko kauft für 1,1 Milliarden Euro die Immobilien des Berliner KaDeWe und 16 weiterer Warenhäuser. Karstadt bleibt zunächst Mieter.

2013:

13. Mai: Karstadt steigt aus der Tarifbindung für den Einzelhandel aus.

16. September: Berggruen verkauft die Mehrheit der Karstadt-Premium-Gruppe und von Karstadt Sport für 300 Millionen Euro an die Signa-Gruppe.

23. September: Management und Gewerkschaft Verdi starten ihre Verhandlungen über eine Rückkehr Karstadts in die Tarifbindung.

30. September: Karstadt hat auch im Geschäftsjahr 2012/2013 einen hohen Verlust gemacht. Der Konzern erwirtschaftete ein Minus von über 120 Millionen Euro.

2014:

24. Februar: Die ehemalige Ikea-Managerin Eva-Lotta Sjöstedt wird neue Karstadt-Chefin. Sie übernimmt das Amt von Jennings, der seinen Vertrag nicht verlängert hatte.

7. Juli: Sjöstedt gibt ihr Amt nach nur gut vier Monaten wieder auf. Sie fühlt sich von Berggruen nicht gut genug unterstützt.

11. Juli: Medien berichten über Übernahme-Verhandlungen zwischen Berggruen und Benko.

14. Juli: Aufsichtsratschef Stephan Fanderl stimmt auf neue harte Einsparungen ein: Über 20 der 83 Filialen werfen nicht genug Profit ab.

15. August: Signa kündigt die Komplett-Übernahme von Karstadt an. Geld fließt nicht.

21. August: Das Kartellamt genehmigt die Übernahme.

10. September: Der Karstadt-Aufsichtsrat berät über die Sanierung, trifft aber keine Beschlüsse

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