"Wir müssen die ganze Geschichte erzählen"
CNN-International-Anchor Nina dos Santos erscheint zum Interview zu spät, dafür aber mit einem Teller Essen in der Hand. Gut so. Mit der Moderatorin der Wirtschaftssendung The Business View verhält es sich so wie mit den meisten Stars: Im echten Leben wirken sie kleiner, dünner, älter und lebendiger als am Bildschirm. Ihre Mutter inspirierte die Britin mit dem Bachelor in Biologie zu ihrer Karriere; die begann bei der Financial Times Group, ging weiter zu Bloomberg TV, Skynews und NBC News.
Für CNN International ist sie an allen Fronten tätig: Sie berichtete vom Arabischen Frühling ebenso wie von der royalen Hochzeit und sie war die erste Journalistin, die das Rücktrittsschreiben des verhafteten IWF-Chefs Dominique Strauss-Kahn in Händen hielt.
KURIER: CNN International ist ein sehr mächtiges Medienunternehmen. Wie viel Verantwortung haben Sie als Moderatorin?
Nina dos Santos: Wir haben 375 Millionen Zuseher aus allen Ecken des Globus und aus allen Einkommensschichten. Wir müssen Wirtschaftsthemen interessant und relevant machen und gleichzeitig einfach genug präsentieren, damit sie bis hinauf zur Chefetage alle verstehen: Eine große Herausforderung!
Wie groß aber ist Ihr persönlicher Einfluss?
Ich habe ein sehr gutes Team. Sehr viel Zeit und Arbeit geht in die Planung der Show. Nachrichten sammeln, bewerten, ein Programm erstellen, Korrespondenten einsetzen – meine Aufgabe ist der richtige Mix der Komponenten.
Haben Journalisten mehr oder weniger Macht, als sie denken?
Meine Mutter war lange Jahre Journalistin und hat immer davon gesprochen, dass Journalisten Macht haben, aber keine Verantwortung. Unser Job ist es, Entscheidungen zu kommunizieren, die andere treffen. Wir müssen objektiv sein, das ist entscheidend.
Steht man nicht manchmal vor einem Gewissens-Dilemma?
Nicht wenn man für eine gutes Unternehmen arbeitet, an dessen Werte, an dessen Sorgfalt und Urteilsvermögen man glaubt und in dem man selbst einen Input geben kann. Kein Job ist einfach. Aber ein einfacher Job würde auch keinen Spaß machen.
Was sind die speziellen Herausforderungen für Wirtschaftsjournalisten heute?
Man muss die Geschichte der 99 Prozent und die des einen Prozent zur gleichen Zeit erzählen und sie relevant für beide machen. Man muss erreichen, dass sie zuhören, damit die Welt daraus einen Nutzen ziehen kann. Die Methoden in den Medien verändern sich, das ist nicht einfach aber interessant. Ich habe im Print begonnen – damals haben wir gelernt, stilistisch ausgefeilte Leitartikel von 2000 Wörtern zu schreiben. Wer hätte gedacht, dass es zehn Jahre später genau so wichtig wird, Nachrichten in nur 120 Zeichen unterzubringen?
Sehen Sie sich als Rollenmodell?
Dazu bin ich wohl zu jung? Ich bin aber ein großer Fan von Mentoring. Ich hatte tolle Mentoren, zwei Drittel davon waren Frauen. Es wird eine Zeit kommen, wo das Thema X- oder Y-Chromosom keine Thema mehr sein wird. In der Medienbranche glaube ich, ist es kein Thema mehr. Aber das mag der Mikrokosmos sein, in dem ich arbeite.
Würden Sie sich als Optimistin bezeichnen?
Ja. Wirtschaftlich sind wir noch nicht ganz im Trockenen. Alles hängt davon ab, wo man auf der Welt ist. Um als Journalist gut zu berichten muss man alle Seiten des Spektrums sehen – denn sonst erzählt man nicht die ganze Geschichte. Und wir sind hier, um die ganze Geschichte zu erzählen.
Können Sie sich vorstellen, die Seiten zu wechseln? Einmal in die Politik oder in die Wirtschaft zu gehen?
Die Rolle als Moderatorin ermutigt sicher dazu, zu denken bevor man spricht: Doch im Moment sehe ich mich in keinem Job als diesem. Aber man soll nie nie sagen!
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