Sparzwang: Weniger Gehalt, mehr Jobrisiko

Die Wirtschaftsprognosen lassen keine Freudensprünge zu – wir warten auf bessere Zeiten, doch sie wollen nicht kommen
Firmen investieren immer weniger. Wer aber ständig spart,verliert jede Kreativität.

Es stimmt nicht froh. "In Österreich haben wir das vierte Jahr in Folge ein Wirtschaftswachstum von weniger als einem Prozent", sagt Marcus Scheiblecker vom Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO. "Das konjunkturelle Auf und Ab würde uns keine Sorgen machen, wenn nicht der dahinterliegende Wachstumstrend so schwach wäre." Denn bei kurzfristigen Schwankungen würden Unternehmen weniger stark reagieren. Also etwa Mitarbeiter behalten oder in Kurzarbeit schicken, weil diese mit wachsender Auftragslage in absehbarer Zeit auch wieder gebraucht würden und Banken diese kurzen Durststrecken auch finanzierten. Doch schwaches Wachstum über Jahre hinweg, das verlange nach drastischeren Maßnahmen.

Unternehmen müssen also weiter sparen, fahren weit mehr als nur Ausgaben bei Büromaterial, Reisen und Kaffee herunter. Sie lagern Dienstleistungen weiter aus, schaffen Incentives und Privilegien ab, schütten keine Gewinne mehr aus, investieren nicht in Mitarbeiter, sondern kündigen Personal und kennen keinen Spielraum bei Gehältern mehr. Eine Tatsache, die oft weit mehr zerstört als das Offensichtliche: Durch ständigen Sparzwang werden wir "unlocker, verlieren jede Kreativität. Entscheidungen bleiben aus – was die Wirtschaft bremst. Wir sehen nicht mehr so gut und nicht mehr so weit", erklärt der Psychologe Jörg Zeyringer (siehe Interview unten).

Global aufgestellte Unternehmen in Wachstumsbranchen wie der Industrie 4.0 würden die Probleme weniger spüren als solche, die von der Binnennachfrage stark abhängig sind. "Wir bemerken, dass die Situation bei den Unternehmen sehr unterschiedlich ist. Einigen unserer Kunden geht es sehr gut, andere merken die schwache europäische Binnenkonjunktur", befindet Antonella Mei-Pochtler, Managing Director der Boston Consulting Group in Wien.

Dass die lange Flaute vor allem kleinere Unternehmen trifft, zeigt auch die Herbstumfrage der Creditreform: Österreichs Klein- und Mittelbetriebe (KMU), der viel bezeichnete Motor der Wirtschaft, kämpft mit Auftrags- und Umsatzrückgängen und baut insgesamt Personal ab. "Die KMU sind heute kein Jobmotor mehr, weil ihnen der Treibstoff ausgegangen ist", sagt Gerhard Weinhofer von der Creditreform. Wie die Umfrage zeigt, erwarten nur acht Prozent der 1700 Befragten, dass sie in den kommenden sechs Monaten Personal einstellen. Hingegen will sich jeder vierte Betrieb von einem Teil der Belegschaft trennen.

Arbeitsmarkt wird enger

Schon die vergangenen Monate ist die Arbeitslosigkeit gestiegen – im November erreichte sie ein neues Rekordhoch. Doch das sei nicht nur ein konjunkturelles, sondern auch ein strukturelles Problem, wie Manpower-Geschäftsführer Erich Pichorner meint. Viele Fachkräfte, die von Unternehmen gesucht werden, seien trotz hoher Arbeitslosigkeit schwer zu finden. Schwierig bleibe die Lage für über 50-jährige Arbeitsuchende: "Berufserfahrung zählt nicht mehr, sobald es Konkurrenz gibt, die jünger und billiger ist." Längerfristig werde die demografische Entwicklung Firmen aber dazu zwingen, Ältere zu beschäftigen, glaubt der Manpower-Chef.

Ebenso steige der Druck auf Junge: "Die Erwartungen an Berufseinsteiger ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Heute werden Auslandserfahrung, Praktika, vielfältige Kenntnisse vorausgesetzt. Sie suchen die eierlegende Wollmilchsau – und finden sie auch", sagt Gehaltsexperte Conrad Pramböck vom Executive Search Unternehmen Pedersen & Partners.

Beim Gehalt gibt es für die Alleskönner aber keinen Verhandlungsspielraum mehr. Auch die Gehälter von Managern würden mit rund 3,5 Prozent weniger wachsen als die Jahre davor. Zudem stagnieren die Reallöhne und Lohnzuwächse seit einigen Jahren – ein weltweiter Trend. Laut "Global Wage Report", den die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) kürzlich veröffentlichte, hat sich das Wachstum der Einkommen im vergangenen Jahr weiter verlangsamt. Ein angemessenes Gehalt ist jedoch auch in Zeiten der Sinnsuche ein Anreiz (siehe Interview unten) – auch für die Hochqualifizierten, die Österreich so dringend braucht. Ebenso dringend wie Investitionen in Bildung, Integration, Forschung & Entwicklung und eine Steuerstrukturreform.

Was jedes einzelne Unternehmen tun kann? Nicht aufgeben. "Jede Krise stellt eine Chance zur Veränderung dar", sagt Johann Risak von der WU Wien. "Man muss seine Fähigkeit zum Verändern aufbauen und umsetzen. Firmen, die das nicht rechtzeitig getan haben, aber mehr oder weniger gut durch die Krise gekommen sind, müssen jetzt durchstarten. Und zwar mit der Maxime: Lasst uns aus dem Vorhandenen das Beste machen." Denn Stimmung zu machen gehöre laut Risak ebenso zum Unternehmertum wie: "Zu wissen, so ist die Lage – und der Wille, sie zu verändern. Denn ohne Freude ist Wirtschaften nicht wirkungsvoll."

Sparzwang: Weniger Gehalt, mehr Jobrisiko

KURIER: Die Prognosen für Wirtschaft und Beschäftigung sind nicht erbaulich. Was macht Mangel an Geld mit Menschen? Wie verhalten wir uns, wenn wir ständigem Sparzwang unterlegen sind?
Jörg Zeyringer:
Es macht uns verschlossen. Wir werden unlocker, verlieren jede Kreativität. Entscheidungen bleiben aus, was die Wirtschaft bremst. Wir sehen nicht mehr so gut und nicht mehr so weit. Sparen ist wichtig, aber es gibt auch Grenzen: Denn wie sollen wir unter diesen Bedingungen auf innovative Lösungen kommen? Im privaten Leben macht uns finanzieller Druck über einen längeren Zeitraum krank, zeigen Studien. Das gilt nicht nur dann, wenn wir im objektiven Sinn nicht genug haben, sondern auch im subjektiven Sinn, wenn wir zu wenig für die Realisierung unserer Wünsche haben.

Wie viel Geld brauchen wir zum Glück?
Es gibt das Gesetz des abnehmbaren Grenznutzen: Von den meisten Dingen haben wir irgendwann genug. Nur bei Geld gilt das nicht. Wir malochen und arbeiten selbst dann weiter, wenn wir schon genug haben. Weil es keine Frage des absoluten Einkommens ist, sondern des sozialen Vergleiches.

Wir können also niemals ausreichend viel verdienen?
Nach objektiven Kriterien kann jemand natürlich ausreichend oder zu wenig verdienen. Aber das Entscheidende ist, was ich mir vorstelle, was ich will, wovon ich träume.

Über welchen Hebel motiviert Geld?
Geld vermehrt mich. Es macht mich als Subjekt mehr. Denn ich habe dadurch mehr Möglichkeiten und Optionen. Es gibt mir Zuversicht und Sicherheit und gibt mir das Gefühl, die Zukunft unter Kontrolle zu haben.

Studien zeigen, dass Geld als Motivator nicht taugt. Stimmen Sie dem zu?
Ich kennen diese Studien, aber ich bezweifle ihre Aussagekraft. Es gibt eine Vielzahl an Gründen, wieso Menschen sagen, dass Geld nicht motiviere. Die Wirtschaft nimmt Anleitung etwa in der römisch-katholischen Glaubenslehre, die ja propagiert, nicht nach Geld zu streben. Ich kann zwar nachvollziehen, in welchem Kontext die Idee, Geld vermöge nicht zu motivieren, entstanden ist. Ich sehe aber auch, dass diese Modelle dazu verwendet werden, Menschen nicht ordentlich zu bezahlen. Oft in skandalösem Ausmaß. Natürlich gibt es Einzelne, die sich tatsächlich nicht von Geld leiten lassen. Aber das ist die Minderheit. Geld ist für uns ein enormer Antrieb.

Verdirbt Geld den Charakter?
Das ist komplex. Wenn es zutrifft, dann ist es eher die Macht, die jemand durch viel Geld bekommt, die verdirbt. Das kann Menschen überfordern – vor allem, wenn sie sehr schnell zu Geld gekommen sind. Aber es gibt auch Gegenbeispiele, wie Warren Buffett und Bill Gates, die einen großen Teil ihres Vermögens spenden. Aber generell geben wir nicht gerne.

Die Kluft zwischen Arm und Reich ist der OECD zufolge heute so groß wie seit 30 Jahren nicht mehr: In der OECD verdiente Mitte der 1980er-Jahre das reichste Zehntel der Bevölkerung sieben Mal so viel wie das ärmste. Heute liege das Verhältnis bei 9,5 zu 1, geht aus einem Anfang der Woche veröffentlichten OECD-Arbeitspapier hervor.

Die gestiegene Einkommensungleichheit hemmte die wirtschaftliche Entwicklung. Dafür sieht die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vor allem einen Grund: Ärmere investieren in der Regel weniger in Bildung. Kinder aus sozial schwächeren Familien hätten daher weniger Bildungschancen. „Wachsen und gedeihen werden vor allem jene Länder, die alles daran setzen, dass ihre Bürger von klein auf gleiche Chancen haben“, so die OECD.
Eine Umverteilung von oben nach unten mittels Steuern und Transfers sei nicht zwangsläufig wachstumsschädlich, solange entsprechende Maßnahmen zielgenau angewandt werden. Eine solche Verteilungspolitik müsse sich vor allem auf Familien mit Kindern sowie auf junge Menschen konzentrieren und deren Lernchancen verbessern.

Ungleichheit in Österreich

Die Ungleichheit ist auch in Österreich in den Jahren der Finanzkrise gestiegen, geht aus dem OECD-Bericht hervor. Gemessen wird die Ungleichheit bei der Einkommensverteilung durch den sogenannten Gini-Koeffizienten. Liegt dieser bei 1, gehört einer einzigen Person alles – liegt er bei 0, gehört jedem genau gleich viel. In Österreich ist der Gini-Koeffizient von 0,269 im Jahr 2007 auf 0,282 im Jahr 2011 gestiegen. Einkommen und Vermögen waren also nach der Krise ungleicher verteilt als davor.
Zum Vergleich: In Norwegen lag der Gini-Index sowohl 2007 als auch 2011 bei 0,250. Demgegenüber ist in den USA die ohnehin stärker vorhandene ungleiche Einkommensverteilung durch die Finanzkrise noch weiter gestiegen: Der Gini-Koeffizient stieg von 0,378 (2007) auf 0,389 (2011). Immer ungleicher wird die Gesellschaft in Mexiko, dort stieg der Gini-Index von 0,475 (2007) noch weiter auf 0,482 (2011). Die stärkste Ungleichheit unter den 34 OECD-Ländern wies 2011 Chile mit einem Gini-Koeffizienten von 0,503 auf, die geringste Slowenien mit 0,245.
Die OECD fordert die Politik zum Gegensteuern auf. „Unsere Analyse zeigt, dass wir nur auf starkes und dauerhaftes Wachstum zählen können, wenn wir der hohen und weiter wachsenden Ungleichheit etwas entgegensetzen“, sagte Generalsekretär Angel Gurria.

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