"Österreich muss lernen zu nehmen"

Demonstranten in Johannesburg: Für Beatrice Achaleke gibt es hier viel zu tun
Beatrice Achaleke, eine der wichtigsten Stimmen für mehr Vielfalt, verlässt Wien in Richtung Johannesburg.
"Österreich muss lernen zu nehmen"
Beatrice Achaleke
20 Jahre lang war die Juristin und Soziologin Beatrice Achaleke eine der kritischsten Stimmen in Sachen Vielfalt in Österreich. Wieso die Österreicherin jetzt nach Johannesburg zieht.

KURIER: Sie sind vor 20 Jahren, fünf Sprachen sprechend, nach Wien gekommen. Sie haben studiert, sind unternehmerisch tätig, lehren, haben Kinder bekommen. Jetzt gehen Sie. Was sagt das über das österreichische System aus?

Beatrice Achaleke: Ich lasse das System für sich sprechen. Ich habe meinen Teil des Integrationsvertrags erfüllt – ich habe die Sprache gelernt, mich engagiert, viel gearbeitet. Ich bin dennoch in eine Lage gekommen, in der ich fast delogiert wurde – trotz meiner vielen Tätigkeiten konnte ich zwei Monate die Miete nicht zahlen. Ich kann hier nichts mehr tun, es gibt nichts, was ich noch sagen könnte.

Was kritisieren Sie?

Ich kritisiere nicht, ich übernehme die Verantwortung für mein Leben und das meiner Kinder. Manchmal müssen schreckliche Dingen passieren, damit wir aufwachen und das tun, was wir längst hätten tun sollen. Ich brauchte den Schreck der Fast-Delogierung, um den Mut aufzubringen, aus einem System auszubrechen, das offensichtlich mit vielseitigen Menschen wie mir nichts anzufangen weiß.

Ist es ein endgültiger Abschied von Österreich?

Ich bin Österreicherin. Meine Kinder sind hier geboren. Es ist kein Aufnimmerwiedersehen. Ich möchte versuchen, von außen ein bisschen diese verschlossene, sicherheitsbedürftige österreichische Gesellschaft zu verändern. Denn unsere Gesellschaft altert. Wir brauchen nicht nur Zuzug, sondern etwa Menschen mit Behinderung, Ältere, Asylwerber. Man müsste aufhören, sie als Hilfsbedürftige zu sehen und ihre Erfahrung zu nützen. Das Problem ist: Österreich denkt, es müsse nur Geben und dann das Geben stoppen, weil sonst nicht mehr genug da sei. Vielleicht müssten Österreich und Europa lernen zu nehmen – das täte uns allen gut.

Woher kommt diese Einstellung?

Weil nur Bilder von Armut gezeigt werden. Bilder, die vermitteln, dass Afrika ein wirtschaftlich wachsender Kontinent ist, dass es viele Menschen gibt, die vor Tatendrang sprudeln, werden nicht verbreitet. Dass 70 Prozent der Migration in Afrika Binnenmigration ist, dass immer mehr europäische Unternehmen dort erfolgreich sind, wird nicht vermittelt. Würde man darüber berichten, würden auch manche Ängste verschwinden. Dann würden wir beginnen, Menschen zu sehen, die zum Kuchen beitragen werden und nicht nur den Kuchen wegfressen.

Wieso Johannesburg?

Weil es eine lebenswerte Stadt ist – auch wenn hier ein anderes Bild gezeigt wird. Manche denken, dass Südafrika gefährlich ist – aber das Land ist gerade erst 21 Jahre alt. Über 80 Jahre lang herrschte die Apartheid – nennen Sie mir ein Land der Welt, das so etwas so schnell überwinden konnte. Es ist eine Welt im Aufbruch, von der man sehr viel lernen kann.

Zum Beispiel?

Dort ist die uralte Ubuntu-Philosophie zu Hause. Diese Philosophie hat Nelson Mandela nach dem Ende der Apartheid angewendet, um die Bevölkerung Südafrikas zu vereinen.

Was ist der Kern der Philosophie?

Ein Satz: Ich bin, weil wir sind.

Sie haben die Ubuntu-Philosophie ausgebaut und auf die Business-Welt umgelegt.

Ja. Globuntu – für Menschen die global leben und arbeiten. Globuntu steckt aber noch in den Kinderschuhen – ich werde in Südafrika weiterforschen. Bisher habe ich drei Trainingsmodule ausgearbeitet, mit denen wir trainieren können, wie wir besser miteinander und mit unseren Unterschieden umgehen können. Denn wir sind alleine nicht vollständig, wir bedingen einander. Unsere Schwächen werden von anderen ergänzt. Dazu muss man respektvoll miteinander umgehen.

Sie haben ein Buch über Ihren Abschied von Österreich geschrieben, "Follow me to Africa". Wieso?

Es war ein bisschen Selbstcoaching für mich, denn vor allem das vergangene Jahr war schwierig. Ich wollte die Ownership für meine Geschichte übernehmen. Damit niemand interpretiert, warum ich weggehe. Das Buch zeigt, wie ich mich mit der Globuntu-Philosophie durch schwierige Lebenssituationen coachen konnte und lernte, gelassen und glücklich zu sein – wie Nelson Mandela.

Wie bauen Sie in Johannesburg Ihr professionelles Leben auf?

Jeder von uns hat zwei Koffer, der Rest bleibt hier. Wir beginnen von null. Wir werden uns etwas aufbauen. Ich möchte die Globuntu-Academy for happy minds aufbauen, wo ich dieses Mindset, das ich entwickelt habe, weiterbringe. Wir werden ein Programm für Unternehmen anbieten, mit dem wir sie auf den afrikanischen Markt vorbereiten. Und ich möchte Arbeitsuchende darauf vorbereiten, in einer globalen Organisation zu arbeiten. Meine neue Mission ist: Mehr Arbeitsplätze in Afrika zu schaffen, damit weniger Menschen ihr Leben bei der Flucht nach Europa verlieren. Hier in Europa zu sitzen und zu sagen, wie man das tut, will ich nicht. Wenn meine Dienste in Österreich gebraucht werden, komme ich gerne. Aber ein neues Umfeld gibt mir die Möglichkeit zu wachsen – das Privileg, mich neu erfinden.

Beatrice Achaleke ist eine der wichtigsten und kritischsten Persönlichkeiten in Sachen Vielfalt in Österreich. Sie wurde 1970 in Kamerun geboren, studierte Jus, engagierte sich politisch, kam vor 20 Jahren nach Österreich, um Soziologie zu studieren. Seit Jahren kämpft Achaleke gegen Diskriminierung und berät Firmen bei Diversitäts-Themen. Achaleke gründete den European Diversity, Business & Inclusion Congress EDIC und schrieb drei Bücher. Bald geht sie nach Südafrika.

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