Mit Lust am Rollenspiel

Sabine Derflinger
Tatort-Regisseurin Sabine Derflinger im Porträt.

„Das ist die wahre Größe. Ohne Monika wäre das alles gar nicht möglich“. Wie der Zirkusdirektor, den Löwenbändiger ankündigt, stellt Sabine Derflinger die dunkelhaarige, etwas ältere Dame vor, die überraschend im Schneideraum steht. Die Produktionsleiterin Monika Maruschko ist verzückt, schlägt die Hände zusammen, es ist ihr keinesfalls unangenehm, wahrscheinlich hört sie das nicht zum ersten Mal. Cutterin Niki Mossböck dreht sich auf ihrem Sessel, weg von den drei Bildschirmen, die vor ihr in Reih und Glied stehen, lächelt. Sabine Derflinger lungert in dem grünen mit Samt bezogenen Sessel neben Niki. Und wartet.

Nur Frauen hier im Schneideraum. Obwohl Männer die Filmbranche dominieren. Schon immer. Allmählich verbessert sich das Geschlechterverhältnis und die Tarantinos und Hanekes dieser Welt bekommen Konkurrenz. Vielleicht Sabine Derflinger.

Sie ist Regisseurin. Eine, die mit Rollen spielt. Eine Frau mit Lieblingsfeinden. Die mag sie nicht mal missen. Eine geschminkte, Lederjacken tragende, gepiercte Frau, die Rucksack trägt. Die Gefallen an Szenen, Menschen und Macht hat. Dem Diskurs, ebenso wie an der Harmonie. Die Oberösterreicherin, die in Wien und Berlin lebt, war die erste Frau, die bei einem österreichischen Tatort Regie geführt hat. „Falsch verpackt“, hieß die im März ausgestrahlte Folge. Am Montag hat sie im Rathaus den Wiener Frauenpreis bekommen.
Monika ist weg. „Er schaut heute schon ganz anders aus“, sagt Niki. Und Sabine Derflinger hebt die Augenbrauen, sie setzt sich auf. Schauspielerin Adele Neuhauser – in Tatort spielt sie Bibi Fellner – wirft die Stirn in Falten. Eingefroren, so bleibt sie am Bildschirm, bis Niki den erlösenden Knopf auf der Tastatur drückt. Sie schneiden den neuen Tatort: „Angezählt“.

Als Kind wollte Sabine Derflinger Schauspielerin werden. Vor der Kamera, das war schnell klar, war nicht ihr Platz. Zu unprätentiös. Sie exponiere sich nicht gerne, führt sie wortreich aus. Aber sie würde merken, was andere brauchen, um die Rolle zu sein.

Die Impulsgeberin„An Sabine schätze ich, dass sie einen Impuls gibt, aber dann auch die Freiheit gibt, sich zu entwickeln“, sagt Cutterin Niki. Da würde es ganz andere geben. Ohne Worte, synchronisiert, arbeiten sie zusammen. Das ist der Vorteil, wenn man sich, wie Sabine Derflinger, die Menschen, mit denen man zusammenarbeitet, auswählen kann. Beim Film trägt jeder hohe Eigenverantwortung, Sabine Derflinger hat sie für den ganzen Film, für die kreative Umsetzung, für das Team und fürs Budget. Viel Verantwortung braucht viel Charakter.

Sabine Derflinger ist eine direkte Person, aber nicht leicht zu lesen. Das eigene Rollenbild zu finden, ist schwer, sagt sie. Das Älterwerden sei dabei hilfreich. „Wenn man jung ist, geht es um die Attraktivität, mit der man spielen kann, gleichzeitig wird man schnell als Mauserl runtergemacht. Aber wenn man laut ist, wird man als hysterisch abgetan. Wenn man älter ist, kann man die Mutterrolle ganz gut umsetzen“, sagt sie. Dann erzählt sie, Großmutter zu sein.

Diese Großmutter trägt ein Nasenpiercing. Der goldene Stecker kommt aus Indien. Schon ihr Vater importierte Klamotten aus Indien, ihr Haus in Vöcklabruck sei immer voll mit Indern gewesen. Oft war sie bei einem Filmfestival in Indien. Sie drehte den Kurzfilm „In den Straßen von Delhi.“ Für den Film begleitete sie einen Elfjährigen in seinem harten Kinderalltag. Deswegen mag sie ihren Job so. „Es ist die Kunstform, die dem Leben am nächsten ist.“ Reichweite ist ihr nicht das Wichtigste.
Der letzte Film, der sie beeindruckt hat? Da muss sie nachdenken. Es fällt ihr nicht ein, sie will am Laptop nachschauen, dann kommt es ihr in den Sinn: „Der Prophet“. Sabine Derflinger glaubt nicht daran, dass man das Universum von vorne bis hinten durchplanen kann.

Vielleicht ist es ihr deswegen ein Anliegen, Filmen zu schaffen. Etwas, das bleibt.

2007–2011 Im Beirat des Filminstituts.
2008 Jurymitglied Filmfestivals Goa/Indien
2007/2008 Marte Meo Ausbildung
2007 Jurymitglied Filmfestival Max Ophüls Preis, Int. Studentenfilmfestival in Wien, Int. Kurzfilmfestival in Wien
2006/2007 Lehrbeauftragte Uni Wien
2004/2006 Lehrbeauftragte Donauuniversität Krems
2000 Gründungsmitglied von dok.at
1999–2001 Jurymitglied im Filmbeirat des Bundeskanzleramtes

Werk in Zahlen
Gesamt 22 Titel stehen in ihrer Filmografie gelistet. Darunter Filme wie „Eine von 8“, „In den Straßen von Delhi“, „Vollgas“ und „Tag und Nacht“. Am Montag wurde sie mit dem Wiener Frauenpreis ausgezeichnet.

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