Geflüchtete Akademiker: Willkommenskultur im Job

Lisa-Maria Sommer, Nina Poxleitner und Julian Richter sind die Gründer.
Das Start-up "More than one perspective" hilft geflüchteten Akademikern, am Jobmarkt Fuß zu fassen. 80 Prozent der Betroffenen haben schon nach drei Monaten einen hoch qualifizierten Job.

KURIER: "More than one perspective" (MTOP) bereitet anerkannte Flüchtlinge mit Uni-Abschluss auf die Besonderheiten des österreichischen Arbeitsmarktes vor. Welche sind das?

Julian Richter: Es ist mehr das gesamte europäische System, das anders ist. Es gibt einen ganz geordneten Prozess, wie man sich bei Firmen bewirbt. Der ist oft die erste große Hürde, weil viele Firmen nach Formalitäten gehen und rasch aussortieren. Wer Rechtschreibfehler macht und angibt, dass er verheiratet ist und zwei Kinder hat, wirkt nicht perfekt vorbereitet. Auch das Bewerbungsgespräch ist besonders: Hier muss man sich präsentieren, über Stärken und Schwächen sprechen, vielleicht noch eine zweite, dritte Runde absolvieren.

Was außerhalb Europas nicht unüblich ist.

Unsere Teilnehmer kommen hauptsächlich aus dem arabischen Raum, da ist das Bewerben ein viel informellerer Prozess.

Was lernen die Teilnehmer bei MTOP?

Wir haben ein sechsmonatiges Weiterbildungsprogramm für geflüchtete Akademiker und haben auch die Möglichkeit, sie in den Arbeitsmarkt zu vermitteln. Nachdem wir gemeinsam erarbeiten zu welchen Firmen die Associates passen und wie man sich in Österreich bewirbt, bringen wir ihnen die Arbeitskultur näher: Wie bestehe ich die ersten Wochen im Job, wie verhalte ich mich im Meeting, kann ich einfach beim Chef anklopfen, wie pünktlich muss ich sein? Aber auch die rechtliche Seite: Wie funktioniert unser Steuersystem, welche Arbeitsverhältnisse gibt es, was ist ein Arbeitsvertrag? Insgesamt haben wir bis jetzt 40 Teilnehmer gehabt. 80 Prozent von ihnen haben innerhalb von drei Monaten danach einen Job gefunden, der ihrer Qualifikation entspricht.

Sie coachen Akademiker mit Technik-, IT- oder Wirtschafts-Abschluss. Fachkräfte, die ohnehin gesucht werden. Was ist Ihr Beitrag?

Es ist paradox: Man würde erwarten, dass Menschen mit dem höchsten Bildungsstand auch am schnellsten einen Job finden. Diese Akademiker werden aber nicht schnell genug vermittelt, die Bewerbungsprozesse für hoch qualifizierte Mitarbeiter sind sehr rigoros. Es kann sein, dass sehr gut qualifizierte, potenzielle Mitarbeiter aussortiert werden, weil der Lebenslauf Fehler hat. Eine Deloitte-Studie zeigt: zwei von drei Unternehmen würden gerne einen Menschen mit Fluchthintergrund anstellen. Nur ein Prozent hat es zu dem damaligen Zeitpunkt auch getan.

Mit welchen Schwierigkeiten haben sie noch zu kämpfen? Gibt es Vorurteile?

Ich habe noch mit keinem Unternehmen gesprochen, das gesagt hätte: Wir wollen eine Person nicht, weil sie geflüchtet ist. Es scheint Unternehmen heute egal, ob ein guter Mitarbeiter aus Syrien, Amerika oder Oberösterreich kommt.

Wie wollen die Akademiker hier arbeiten?

Wir hören ganz oft: "Ich möchte einfach nur wieder arbeiten." Aber natürlich wollen der Bauingenieur aus dem Irak und die Architektin aus Syrien wieder in ihre Bereiche und das macht ja auch Sinn. Alles, was wir in Österreich – durch das Studium, Praktika, Netzwerke – erlernt haben, hilft uns, einen Job zu finden. Das müssen die Neuankömmlinge erstmal nachlernen. Und genau das versuchen wir mit dem Programm auszugleichen.

Auch das AMS hilft Geflüchteten bei der Jobsuche. Was machen Sie anders?

Wir haben sehr gute Verbindungen zum AMS und sehen uns als gute Ergänzung für das Segment mit dem höchsten Bildungsniveau der geflüchteten Community.

Was schätzen die Firmen an den Bewerbern?

Das Feedback war bisher: Es sind sehr gut ausgebildete, loyale und top motivierte Menschen. Und sie freuen sich extrem über die Chance, das bekommt man als Unternehmen zu spüren. Ein Vorteil ist auch, dass sie in den vergangenen Jahren ganz viel aktiv lernen mussten und die Lernkurven wahnsinnig hoch sind.

Forbes wählte Ihre Co-Gründerinnen heuer in die Top 30 unter 30 Liste Europas.

Das hat uns einen riesen Aufmerksamkeits-Schub gegeben. Es ist schön, dass man auch mit einer positiven Botschaft über Geflüchtete Schlagzeilen machen kann.

Geflüchtete Akademiker können sich bis 25. Februar online unter www.mtop.at bewerben. Dauer: 200 Tage. Teilnahmegebühr: 180 Euro. Gesucht werden auch Mentoren, die Geflüchtete unterstützen und Partner-Unternehmen. Bis jetzt haben etwa die Strabag, Deloitte oder Western Union MTOP-Teilnehmer eingestellt. Finanziert wird das Programm vom AMF – Asyl-, Migration- und Integrationsfond – und einem Stiftungsnetzwerk.

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